Analysen

Kurz und kritisch

05.01.2014
Gerhard Hirschfeld und Gerd Krumeich beschäftigen sich mit der "gekränkten Psyche" der Deutschen; Ernst Piper widmet sich den kriegsbegeisterten Künstlern; Robert Gerwarth und John Home berichten von paramilitärischen Veteranen-Verbänden.
Vor zehn Jahren haben Gerhard Hirschfeld und Gerd Krumeich mit Irina Renz das Standardwerk "Enzyklopädie Erster Weltkrieg" herausgegeben. Nun widmen sie sich der deutschen Perspektive. Sie fragen, warum die Deutschen überzeugt waren, einen legitimen Verteidigungskrieg zu führen, obwohl ihre Truppen tief in Frankreich standen?
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Cover: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: Deutschland im Ersten Weltkrieg© S. Fischer Verlag
Trotz des enormen Wachstums seiner Industrie und Bevölkerung, sei Deutschlands "Weltgeltung" von den Großmächten nicht anerkannt worden. Diese Kränkung lässt es nachvollziehbar erscheinen, dass man sich 1914 nicht als Angreifer sah, sondern als jemand, der lediglich versuchte, den Platz, der ihm zustand, einzunehmen.
Nach der Niederlage fühlte man sich nicht nur um diesen Platz betrogen, sondern auch mit dem Vorwurf der Kriegsschuld konfrontiert. Diese zweite, noch größere Kränkung habe im demobilisierten Deutschland einen Hass geschürt, vor dem am Ende nichts in der Welt sicher gewesen sei, schließen die Autoren mit einem Auszug aus Hannah Arendts Studie über "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".
So bietet dieser Band einen guten Überblick zur Rolle Deutschlands im Ersten Weltkrieg und schlägt zugleich einen psychologischen Bogen zum Unheil, das ihm folgte.

Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: Deutschland im Ersten Weltkrieg
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2013
336 Seiten, 24,99 Euro, auch als ebook erhältlich.

In einem zuvor nie gekannten Ausmaß wurde 1914 auch die Kultur für den Krieg mobilisiert und instrumentalisiert. Ernst Piper belegt dies schon am Beispiel des großväterlichen Verlags, der seinerzeit Titel wie "Die Schlacht in Flandern" produzierte.
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Ernst Piper: Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs© Propyläen Verlag
Doch nicht genug damit, dass vielen zuvor international geachteten, weltläufigen Künstlern der Übergang zur chauvinistischen Kriegspropaganda erstaunlich leicht fiel, während die Stimmen der Vernunft übertönt wurden. Manche Künstler sahen sich sogar als Avantgarde.
So bescheinigt der Berliner Historiker den italienischen Futuristen, sie hätten den Krieg mit ihren schrillen Manifesten geradezu herbeiimaginiert. Und er verweist auf die frühexpressionistische Lyrik eines Georg Trakl oder eines Georg Heym, die den Krieg in den Untergangsvisionen ihrer Gedichte schon vorweggenommen hätten.
Zu solchen Vorahnungen hätte man sich hier freilich bisweilen ausführlichere Darstellungen der Nachwirkungen dieses Krieges in der Kultur gewünscht.

Ernst Piper: Nacht über Europa. Eine Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs
Propyläen Verlag, Berlin 2013
592 Seiten, 26,99 Euro, auch als ebook erhältlich.

Neben Millionen von Toten und Versehrten hinterließ der Erste Weltkrieg hinterließ auch Veteranen, denen die Rückkehr in das zivile Leben nicht gelang oder nicht erstrebenswert erschien. Aus diesem Heer der Unzufriedenen bildeten sich paramilitärische Verbände, denen die labile Nachkriegsordnung Europas kaum Einhalt gebot. Dieser "Krieg im Frieden" beschäftigt Robert Gerwarth und John Home, zwei Historiker, die im irischen Dublin lehren.
Cover: "Krieg im Frieden" (Wallstein Verlag)
Cover: "Krieg im Frieden"© Wallstein Verlag
Dem Russischen Bürgerkrieg geben sie den größten Raum, denn die Bolschewikenfurcht weckte militante Gegenströmungen weit über Europa hinaus. Neben dem italienischen Faschismus stellen Kollegen der beiden Herausgeber Bewegungen in Finnland, der Ukraine, dem Baltikum, dem Balkan, Irland und im zerfallenden Osmanischen Reich dar.
Etwas kursorisch im Rahmen der "besiegten Staaten Mitteleuropas" analysiert Gerwarth die Entwicklung in Deutschland. Überzeugend wendet er sich dabei gegen Georg Mosses These, die Brutalisierung der politischen Kultur sei durch den Krieg erfolgt. Vielmehr seien "Niederlage, Revolution und territoriale Amputation" die Erfahrungen gewesen, die zur Verrohung geführt hätten.
Ein bemerkenswertes Buch über die fatalen Nachwirkungen des Weltkriegs, die sich bis in die Gegenwart verfolgen ließen.

Robert Gerwarth und John Home: Krieg im Frieden. Paramilitärische Gewalt in Europa nach dem Ersten Weltkrieg
Wallstein Verlag, Göttingen 2013
347 Seiten, 29,90 Euro