An Peking führt kein Weg vorbei
China steht hierzulande dauernd in der Kritik. Menschrechtsverletzungen, mangelnde Pressefreiheit und nicht zuletzt das Vorgehen in Tibet werden der Regierung zur Last gelegt. Übersehen wird dabei jedoch, dass das Reich der Mitte in den vergangenen Jahren gewaltige Reformschritte gemacht hat. Georg Blume plädiert in seinem Essay "China ist kein Reich des Bösen" für eine engere Zusammenarbeit zwischen Berlin und Peking.
Rätselvolles China, Reich der Mitte seit tausenden von Jahren und heute im Aufstieg zur Weltmacht: Längst ist es die größte aller Herausforderungen für die Staatskunst des Westens, China einzubinden in eine neue, post-amerikanische, nonpolare Welt ohne Weltordnung. Das ist schwierig genug.
Die deutsche Außenpolitik aber macht es sich nicht dadurch leichter, dass sie "Werte" gegen "Interessen" ausspielt, wie im politologischen Studienseminar, so als ob in der realen Welt die Dinge nicht sehr viel komplizierter wären. Während die deutsche Politik das moralisch höhere Gelände besetzt, hat die Wirtschaft längst verstanden, wer heute und morgen der wichtigste Handelspartner in Asien ist. Selbst George W. Bush hat dankend zur Kenntnis genommen, dass in der koreanischen Atomfrage die Chinesen die Hauptarbeit übernahmen. In Deutschland darf man nicht vergessen, dass die gerührte Ergebenheit vor einem Religionsführer eine Sache ist, eine tragfähige Chinapolitik aber eine ganz andere.
In diesem Durcheinander ist deutliche Aussprache ein seltenes Gut. Georg Blume, erfahrener China-Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" hat die Revolte in Tibet als Augenzeuge wahrgenommen und berichtete aus Lhasa über den Zorn vieler Tibeter, vor allem junger Mönche. Dafür wurde er ausgewiesen – vorsorglich, zu seinem eigenen Schutz, wie die Behörden versicherten. Trotzdem ist sein Essay über China – "Kein Reich des Bösen" - eine abgewogene Analyse mit klarer These:
"Trotz Tibet muss Berlin auf Peking setzen."
Was sollte man denn sonst auch tun, ohne sich dem Spott auszusetzen, was es denn den Mond kümmere, wenn ihn die Hündlein anbellen?
Blume nennt seinen 100-Seiten-Essay einen Standpunkt. Er ist mit Zorn und Eifer geschrieben. Ärger hat ihn diktiert:
"Ärger über die Arroganz des Westens gegenüber dem chinesischen Modernisierungsprozess …"
Dieser Ärger hat gute Gründe. Nicht allein, weil China zu groß ist, um es wie Liechtenstein moralisch abzustrafen. Sondern auch, weil ohne China Weltordnung nicht denkbar ist.
"Wenige Wochen vor den olympischen Spielen in Peking hat es den Anschein, als habe der Aufstand der Tibeter aus den Deutschen, und nicht nur aus ihnen, ein geeintes Volk der China-Kritiker gemacht … Alle verehren den Dalai Lama. Alle verabscheuen die Kommunistische Partei Chinas … Kaum ein westlicher Politiker wagt in diesen Tagen noch, Respekt vor der Gesamtleistung der Pekinger Führung über die vergangene Reformperiode zu äußern."
Die Pekinger Genossen allerdings waren ihre eigenen schlimmsten Feinde, das räumt auch Blume ein, wenn sie den exilierten geistlichen Führer der Tibeter als "bösen Geist mit menschlichem Antlitz und dem Herzen einer Bestie" nannten.
"Ebenso unverhältnismäßig ist die komplette Nachrichtensperre, die Peking seit Beginn der Unruhen über die aufständischen Gebiete in Westchina verhängt hat. Sie weckt große Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der … massiven Polizeiaktionen … Der KP-Staat handelte mit purer Willkür."
Ist Tibet aber die einzige Wahrheit über China, oder sind es die Drohreden gegen Taiwan; samt Raketenkulisse? Blume verlangt von sich selbst und seinen Lesern Fairness der Betrachtung:
"Peking lenkt seit 30 Jahren das größte Modernisierungsprojekt der Menschheitsgeschichte, mit enormen Rückschlägen wie jetzt in den tibetischen Gebieten, aber auch mit fantastischen Erfolgen, wie zuletzt der Einführung eines neuen Arbeitsvertragsrechts für 800 Millionen Beschäftigte."
Was in Tibet geschah, war Protest gegen Sinisierung und Globalisierung.
"Lhasa hat sich in den letzten Jahren von einer tibetischen Mönchsstadt in ein chinesisches Handels- und Touristenzentrum verwandelt …Die Tibeter mögen unter diesem Schicksal aufgrund ihrer Geschichte besonders leiden. Sie entgehen ihm nicht."
Die Folgerung, die nicht nur für die Tibeter gilt, sondern via Globalisierung für die ganze Welt, ob durch Druck auf die Löhne oder Anstieg der Öl- und Gaspreise oder Knappheit aller Rohstoffe:
"Gegen Peking, gegen 1.3 Milliarden Chinesen und ihre explodierenden Bedürfnisse ist kein leichtes Auskommen. Nicht nur die Tibeter müssen am Ende wohl oder übel mit den Chinesen zusammenleben, auch wir alle."
Und damit zur Realpolitik, die man früher, zu Zeiten der Sowjetunion, friedliche Co-Existenz nannte: Das hat damals die Deutschen nicht gehindert, Geschäfte zu machen, und die Amerikaner nicht, Rüstungskontrollverträge zu unterschreiben und ein Kartell der Nuklearbesitzer gegen die Nichtbesitzer einzurichten, das bis heute gilt und an dem auch China teilhat. Weltordnung wird es nicht gegen China geben, sondern nur mit China. Das bedeutet Rechtsräume, Vertragsräume, Handelsräume. Das Interesse daran ist wechselseitig. Der Rechtsdialog China-Deutschland zeigt es, der China entscheidende Anstöße gab, Kernelemente des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs zu übernehmen. Der ist jetzt ins Stocken geraten, Blume gibt dafür der Kanzlerin und ihrer Behandlung des Menschenrechtsthemas die Hauptschuld: China sei ein Land, das sich an keine Regeln halte, sagte sie in den USA. Die Vorgänger, von Schmidt über Kohl bis Schröder, hatten das noch anders gesehen und gehandhabt – und mit mehr Erfolg. Blume macht kein Geheimnis daraus, dass er die alte neue Angst vor der gelben Gefahr für contraproduktiv hält, in der Tat eine Prophezeiung von der Art, die sich selbst erfüllt:
"Gegen diese Angstmache will ich hier argumentieren. Sie steht in der Tradition der vielen verzerrten China-Bilder, die unsere westliche Aufklärung bis heute produziert hat. Sie bedient sich maßloser Übertreibungen von der Gefahr militärischer Aufrüstung Chinas. Sie verkennt die Win-Win-Dynamik der Globalisierung. Vor allem aber ignoriert sie den gesellschaftlichen Fortschritt Chinas und die Verwestlichung der chinesischen Kultur."
Was Blume in seiner Skizze bietet, ist die optimistische Sicht Chinas: Fortschritt überall - so schreibt er und meint nicht nur den wachsenden Breitenwohlstand, sondern auch die Entspannung gegenüber Taiwan. Er nennt China ein Reich der Reformen. Aber er erkennt auch an, dass China noch einen weiten Weg zu gehen hat. Wie weit? Blume unterschätzt wahrscheinlich die unvorstellbare Vergiftung von Luft, Wasser und Erde, die Korruption des Staats- und Parteiapparats und die politische Verfolgung.
China und Russland sind gänzlich verschieden. Aber für beide gilt, dass der Westen Ausweitung seiner Spielregeln und Schaffung von Rechtsräumen betreiben soll, unter allen Umständen und mit Selbstbewusstsein. Aber die Arroganz des höheren moralischen Geländes und das damit untrennbar verbundene Misstrauen können nichts Gutes schaffen. Insofern ist die Warnung dieses kämpferisch-kritischen Essays angebracht und vielleicht nicht umsonst. Was Deutschland braucht, was die Europäische Union braucht, ist eine tragfähige, zukunftsfähige und positive China-Politik.
Georg Blume: China ist kein Reich des Bösen - Trotz Tibet muss Berlin auf Peking setzen
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2008
Die deutsche Außenpolitik aber macht es sich nicht dadurch leichter, dass sie "Werte" gegen "Interessen" ausspielt, wie im politologischen Studienseminar, so als ob in der realen Welt die Dinge nicht sehr viel komplizierter wären. Während die deutsche Politik das moralisch höhere Gelände besetzt, hat die Wirtschaft längst verstanden, wer heute und morgen der wichtigste Handelspartner in Asien ist. Selbst George W. Bush hat dankend zur Kenntnis genommen, dass in der koreanischen Atomfrage die Chinesen die Hauptarbeit übernahmen. In Deutschland darf man nicht vergessen, dass die gerührte Ergebenheit vor einem Religionsführer eine Sache ist, eine tragfähige Chinapolitik aber eine ganz andere.
In diesem Durcheinander ist deutliche Aussprache ein seltenes Gut. Georg Blume, erfahrener China-Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" hat die Revolte in Tibet als Augenzeuge wahrgenommen und berichtete aus Lhasa über den Zorn vieler Tibeter, vor allem junger Mönche. Dafür wurde er ausgewiesen – vorsorglich, zu seinem eigenen Schutz, wie die Behörden versicherten. Trotzdem ist sein Essay über China – "Kein Reich des Bösen" - eine abgewogene Analyse mit klarer These:
"Trotz Tibet muss Berlin auf Peking setzen."
Was sollte man denn sonst auch tun, ohne sich dem Spott auszusetzen, was es denn den Mond kümmere, wenn ihn die Hündlein anbellen?
Blume nennt seinen 100-Seiten-Essay einen Standpunkt. Er ist mit Zorn und Eifer geschrieben. Ärger hat ihn diktiert:
"Ärger über die Arroganz des Westens gegenüber dem chinesischen Modernisierungsprozess …"
Dieser Ärger hat gute Gründe. Nicht allein, weil China zu groß ist, um es wie Liechtenstein moralisch abzustrafen. Sondern auch, weil ohne China Weltordnung nicht denkbar ist.
"Wenige Wochen vor den olympischen Spielen in Peking hat es den Anschein, als habe der Aufstand der Tibeter aus den Deutschen, und nicht nur aus ihnen, ein geeintes Volk der China-Kritiker gemacht … Alle verehren den Dalai Lama. Alle verabscheuen die Kommunistische Partei Chinas … Kaum ein westlicher Politiker wagt in diesen Tagen noch, Respekt vor der Gesamtleistung der Pekinger Führung über die vergangene Reformperiode zu äußern."
Die Pekinger Genossen allerdings waren ihre eigenen schlimmsten Feinde, das räumt auch Blume ein, wenn sie den exilierten geistlichen Führer der Tibeter als "bösen Geist mit menschlichem Antlitz und dem Herzen einer Bestie" nannten.
"Ebenso unverhältnismäßig ist die komplette Nachrichtensperre, die Peking seit Beginn der Unruhen über die aufständischen Gebiete in Westchina verhängt hat. Sie weckt große Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der … massiven Polizeiaktionen … Der KP-Staat handelte mit purer Willkür."
Ist Tibet aber die einzige Wahrheit über China, oder sind es die Drohreden gegen Taiwan; samt Raketenkulisse? Blume verlangt von sich selbst und seinen Lesern Fairness der Betrachtung:
"Peking lenkt seit 30 Jahren das größte Modernisierungsprojekt der Menschheitsgeschichte, mit enormen Rückschlägen wie jetzt in den tibetischen Gebieten, aber auch mit fantastischen Erfolgen, wie zuletzt der Einführung eines neuen Arbeitsvertragsrechts für 800 Millionen Beschäftigte."
Was in Tibet geschah, war Protest gegen Sinisierung und Globalisierung.
"Lhasa hat sich in den letzten Jahren von einer tibetischen Mönchsstadt in ein chinesisches Handels- und Touristenzentrum verwandelt …Die Tibeter mögen unter diesem Schicksal aufgrund ihrer Geschichte besonders leiden. Sie entgehen ihm nicht."
Die Folgerung, die nicht nur für die Tibeter gilt, sondern via Globalisierung für die ganze Welt, ob durch Druck auf die Löhne oder Anstieg der Öl- und Gaspreise oder Knappheit aller Rohstoffe:
"Gegen Peking, gegen 1.3 Milliarden Chinesen und ihre explodierenden Bedürfnisse ist kein leichtes Auskommen. Nicht nur die Tibeter müssen am Ende wohl oder übel mit den Chinesen zusammenleben, auch wir alle."
Und damit zur Realpolitik, die man früher, zu Zeiten der Sowjetunion, friedliche Co-Existenz nannte: Das hat damals die Deutschen nicht gehindert, Geschäfte zu machen, und die Amerikaner nicht, Rüstungskontrollverträge zu unterschreiben und ein Kartell der Nuklearbesitzer gegen die Nichtbesitzer einzurichten, das bis heute gilt und an dem auch China teilhat. Weltordnung wird es nicht gegen China geben, sondern nur mit China. Das bedeutet Rechtsräume, Vertragsräume, Handelsräume. Das Interesse daran ist wechselseitig. Der Rechtsdialog China-Deutschland zeigt es, der China entscheidende Anstöße gab, Kernelemente des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs zu übernehmen. Der ist jetzt ins Stocken geraten, Blume gibt dafür der Kanzlerin und ihrer Behandlung des Menschenrechtsthemas die Hauptschuld: China sei ein Land, das sich an keine Regeln halte, sagte sie in den USA. Die Vorgänger, von Schmidt über Kohl bis Schröder, hatten das noch anders gesehen und gehandhabt – und mit mehr Erfolg. Blume macht kein Geheimnis daraus, dass er die alte neue Angst vor der gelben Gefahr für contraproduktiv hält, in der Tat eine Prophezeiung von der Art, die sich selbst erfüllt:
"Gegen diese Angstmache will ich hier argumentieren. Sie steht in der Tradition der vielen verzerrten China-Bilder, die unsere westliche Aufklärung bis heute produziert hat. Sie bedient sich maßloser Übertreibungen von der Gefahr militärischer Aufrüstung Chinas. Sie verkennt die Win-Win-Dynamik der Globalisierung. Vor allem aber ignoriert sie den gesellschaftlichen Fortschritt Chinas und die Verwestlichung der chinesischen Kultur."
Was Blume in seiner Skizze bietet, ist die optimistische Sicht Chinas: Fortschritt überall - so schreibt er und meint nicht nur den wachsenden Breitenwohlstand, sondern auch die Entspannung gegenüber Taiwan. Er nennt China ein Reich der Reformen. Aber er erkennt auch an, dass China noch einen weiten Weg zu gehen hat. Wie weit? Blume unterschätzt wahrscheinlich die unvorstellbare Vergiftung von Luft, Wasser und Erde, die Korruption des Staats- und Parteiapparats und die politische Verfolgung.
China und Russland sind gänzlich verschieden. Aber für beide gilt, dass der Westen Ausweitung seiner Spielregeln und Schaffung von Rechtsräumen betreiben soll, unter allen Umständen und mit Selbstbewusstsein. Aber die Arroganz des höheren moralischen Geländes und das damit untrennbar verbundene Misstrauen können nichts Gutes schaffen. Insofern ist die Warnung dieses kämpferisch-kritischen Essays angebracht und vielleicht nicht umsonst. Was Deutschland braucht, was die Europäische Union braucht, ist eine tragfähige, zukunftsfähige und positive China-Politik.
Georg Blume: China ist kein Reich des Bösen - Trotz Tibet muss Berlin auf Peking setzen
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2008