"An den Wissower Klinken ist eine schöne Symphonie hängengeblieben"

Gast: Frank Schneider / Moderation: Michael Dasche · 15.07.2012
Brahms' launige Bemerkung im Anschluss an einen Aufenthalt auf der Insel Rügen - zu Zeiten, da es die Wissower Klinken noch unversehrt gab - besagt nicht, dass er dort seine 1. Sinfonie vollendet hätte. Wohl aber bezeugt sie die Erleichterung des Komponisten, dass das Wesentliche an dem Werk endlich getan war.
Tatsächlich ging der Vollendung von Brahms' "Erster" eine Inkubationszeit von nahezu 20 Jahren voran. Gründe dafür lassen sich in Brahms' genereller Neigung zum Selbstzweifel und zu schonungsloser Selbstkritik ausmachen. Wichtiger wohl noch, wie sehr er (und auch andere seiner Generation) historisch unter Druck stand:

Der seit Beethoven gesetzte Anspruch an das sinfonische Metier schien kaum mehr einlösbar, ohne ins Epigonale zu verfallen. Ein Ausweg verhieß zwar die von Berlioz und Liszt inaugurierte Version der "Sinfonischen Dichtung" bzw. des Wagnerschen "Musikdramas". Beides kam aber für den jeder Art deskriptiver Musik abgeneigten "Klassizisten" Brahms nicht in Frage. Und so blieb ihm gar nichts anderes übrig, als sich dem Maßstab Beethoven zu stellen – allerdings nicht nur dem "Vorbild" zu folgen, sondern zugleich ein "Gegenbild" zu entwerfen.

In der 1. Sinfonie sind beide Arten, Beethoven zu "beerben", aufs Engste miteinander verwoben. Es ist die Sinfonie, welche die weit reichendste, bis zur Allusion gehende Nähe zu Beethoven (namentlich zur 5. und 9. Sinfonie) riskiert. Zugleich erfährt in ihr aber die klassische Durchbruchsidee "per aspera ad astra" eine völlig neue und eigene, dem beethovenschen Konzept entgegengesetzte Wendung.

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