Keine inklusive Verwaltung

Frust bei Menschen ohne deutschen Pass

10:00 Minuten
Rote Wartemöbel auf dem Gang einer Behörde
In deutschen Behörden fehlen oftmals die interkulturellen Kompetenzen. © picture alliance / Sodapix AG / Kisorsy Christine
Von Anh Tran · 16.11.2022
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Ausländerbehörden in Deutschland sind oft überlastet. Mehr Mitarbeiter mit internationaler Familiengeschichte wären wünschenswert, um die interkulturellen Kompetenzen zu erhöhen.
Es ist ein sonniger Vormittag. Marcus und Sofia kommen Händchen haltend aus der Straßenbahn.
Eigentlich führen sie ein schönes Leben: Die beiden sind verliebt, gerade erst haben sie ihre erste gemeinsame Wohnung bezogen.
Doch eine Sache trübt ihren Alltag: Sofia hat nur ein vorläufiges Aufenthaltsrecht – und das Dokument, was ihren legalen Status in Deutschland sichert, die Fiktionsbescheinigung, ist seit Sommer abgelaufen.
„Das Ding ist: ich wollte meine Fiktionsbescheinigung verlängern, schon vor ein paar Monaten, und ich kriege keine Rückmeldung. Seit vielen Monate weiß ich nicht, was ich bin. Bin ich noch legal? Bin ich schon illegal?“
Weil ihr Status unklar ist, spricht sie lieber unter anderem Namen.

Aus Südamerika nach Deutschland

Sofia kam aus Südamerika nach Deutschland. Geplant war eigentlich nur ein Jahr Working Holiday. Doch Sofia gefällt es in Deutschland so gut, dass sie bleiben und studieren will.
Sie geht 2019 zur Ausländerbehörde und bekommt von dem Mitarbeiter keine Beratung, sondern einen Zettel in Beamtensprech. Sofia spricht zu dem Zeitpunkt aber kaum Deutsch, sie fühlt sich erstmal hilflos.
„Ich habe das Papier genommen, habe es einfach übersetzt - natürlich mit Google. Und dann habe ich gefunden, dass ich zuerst Deutsch lernen muss und viele Unterlagen zeigen muss. Ein paar Wochen später habe ich diese Unterlagen gehabt und gezeigt und ich konnte einen vorbereitenden Kurs für ein Studentenvisum haben. Das bedeutet, man muss zuerst Deutsch lernen, und dann kann man sich bei einer Hochschule oder Universität bewerben.“
Und bekommt dann im Idealfall ein Studentenvisum.

Unterlagen eingereicht, keine Reaktion

Also besucht Sofia Deutschkurse, kellnert die restliche Zeit, um ihr Leben zu finanzieren, sammelt alle Unterlagen für die Bewerbung an der Hochschule.
Im Juli ist es tatsächlich so weit. Sie hat den Studienplatz in Düsseldorf: Sofia schickt ihre Nachweise über Job, die Krankenversicherung und das Sprachzertifikat an die Ausländerbehörde – damit ihre Fiktionsbescheinigung verlängert wird.
Das ist wichtig für alles, was Sofias Dasein in Deutschland betrifft: Krankenkasse, Meldebehörde, Arbeitgeber. Aber die Ausländerbehörde reagiert nicht. Bis heute.
„Ich kann zumindest studieren", sagt Sofia, "aber die anderen Sachen kann man gar nicht organisieren, wie zum Beispiel reisen, Familie besuchen oder Arbeit. Das ist sehr wichtig für mich. Niemand kann leben ohne Arbeit.“
Sofia und ihr Freund Marcus versuchen seitdem auf verschiedenen Wegen, mit der Behörde Kontakt aufzunehmen, bitten um Rückmeldung, versuchen Informationen zum aktuellen Bearbeitungsstatus des Antrags zu bekommen: über das Kontaktformular online, aber auch über die dreimal in der Woche für jeweils drei Stunden geöffnete Hotline – vergebens.

120 Anrufer von 2500 kommen durch

Auf Deutschlandfunk-Kultur-Anfrage erklärt eine Sprecherin der Stadt: „Für allgemeine Fragen und Informationen wurde eine Hotline eingerichtet. Diese ist dienstags und donnerstags von 16 bis 19 Uhr sowie freitags von 13 bis 16 Uhr erreichbar."
Dann nennt sie Zahlen: "Es gehen täglich ca. 2500 Anrufe ein. An den oben genannten Zeiten können jeweils ca. 120 Anrufe entgegengenommen werden.“
Also kann die Behörde nur fünf Prozent der Anrufe bearbeiten.
Das habe auch mit der Corona-Zeit zu tun, heißt es weiter – in der mussten demnach 10.000 Termine abgesagt werden. Daraus seien Rückstände entstanden, die sich bis in die Gegenwart auswirkten.
Hinzu kommt: nur ca. drei Viertel der Stellen in der Ausländerbehörde sind besetzt, 119 Beamte sind zuständig für rund 160.000 Menschen ohne deutschen Pass in Düsseldorf.
Seit Mai ist Vorsprechen ohne Termin nicht mehr möglich. Zu lang seien die Wartezeiten gewesen, erklärt die Sprecherin: Bis zu 10.000 Menschen am Tag hätten vor den Service-Punkten gewartet.
Sofia und Marcus haben durchaus Verständnis für die Situation auf dem Amt: „Vielleicht ist das ja wirklich so: Man kann sich das ja denken, dass wegen des Ukraine-Krieges viele Leute hier sind, die auch das Amt brauchen. Man kann sich ja denken, dass die einfach überarbeitet sind. Aber für uns existiert da gerade kein Ansprechpartner.“

Ist das mein Land?

Seitdem er seine südamerikanische Freundin bei Behördengängen und Anträgen unterstützt, erkenne er manchmal sein eigenes Land nicht mehr wieder, sagt Marcus.
„Ich dachte eigentlich immer, dass Deutschland sehr reguliert ist, es für alles Regeln gibt. Aber ich bin auch davon ausgegangen, dass, wenn man dann diese Regeln erfüllt, man dann auch weiterkommt. Dann kommt man zumindest mit den Ämtern klar", schildert er sein Bild von Deutschland.
"Man muss eigentlich nur diese Formalitäten verstehen, was natürlich für jemanden, der gerade hier ankommt, schwierig ist. Aber wenn man sie erfüllt, dann sollte es normal kein Problem sein", fügt er an. "Und deswegen bin ich da schon etwas schockiert, dass man da so existenziell an die Grenzen stößt.“
Ortswechsel: Kölner Innenstadt, an einem runden Tisch, draußen vor einem Café, wartet Tayfun Keltek. Der 75-Jährige trägt eine neongelbe Sportjacke – jeden Tag legt er zurzeit 50 Kilometer auf dem Fahrrad zurück.
Der ehemalige Sportlehrer hat ein rastloses Gemüt. Sein Ehrenamt treibt ihn, auch im Ruhestand.
Vor über 25 Jahren hat Keltek den Ausländerrat-NRW mitgegründet, die Vorgängerorganisation des heutigen Landesintegrationsrates. Dessen Vorstand ist er bis heute.
Sofia und Marcus sind für ihn ein Beispiel von zahlreichen: „Viele Fälle werden nicht behandelt, und für eine Antragstellung müssen sie wochenlang, monatelang warten. “

Wissenslücken in der Verwaltung

Der Landesintegrationsrat, mit insgesamt 111 Partnerstädten in Nordrhein-Westfalen, gibt Menschen mit internationaler Familiengeschichte im Bundesland eine Stimme.
Keltek vermeidet das Wort „Migrationshintergrund“, der ist seiner Meinung nach negativ konnotiert. Er will lieber über Möglichkeiten und die Potenziale von Menschen sprechen.
In der Verwaltung fehle es oft an Verständnis und Wissen über die Lebensumstände von Menschen mit internationaler Familiengeschichte: „Hintergrundinformationen, Lebensgeschichte fehlt, um das zu verstehen.“

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Kelteks Ansicht nach könnte es helfen, den Anteil der Beschäftigten mit Einwanderungsgeschichte zu erhöhen.
„Die junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit internationaler Familiengeschichte behandeln die Leute viel einfacher und viel schneller. Dadurch sparen wir auch sehr viel Geld.“

Eine Beamtin mit Migrationsgeschichte

Eine, die es vormacht, ist Souad Lamroubal, seit 16 Jahren Beamtin in NRW und Buchautorin. In "Yallah Deutschland, wir müssen reden!“ beschreibt Sie wie Integration funktionieren kann. Als Expertin für Antidiskriminierung sieht sie Handlungsbedarf in vielen deutschen Behörden. Dabei greift sie auch auf eigene Erfahrungen zurück: 

Ich habe mir schon als Kind gesagt, dass der Verwaltungsbereich für mich einer ist, an dem ich mitwirken möchte - nicht weil mich das faszinierte, sondern eher aus der Überforderung heraus. Ich habe selbst Migrationsgeschichte und meine Eltern auch und deshalb haben wir immer diese Überforderung seitens der Verwaltung gespürt, und da war einfach als Kind schon der große Wunsch, das irgendwann mit verändern zu können.

Souad Lamroubal, Beamtin mit Migrationsgeschichte

Sie habe dann den klassischen Weg eingeschlagen, über eine klassische Verwaltungsausbildung, sagt sie.
Aus ihrer Sicht ist Verwaltung ein sehr machtvoller Apparat, der häufig nicht auf Augenhöhe mit den Menschen kommuniziere.
Dabei seien eigentlich ganz häufig die steuerfinanzierten Behörden in der Bringschuld. „Ich glaube, das muss man sich innerhalb der Verwaltung immer wieder vergegenwärtigen: Für wen arbeiten wir eigentlich?" Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung stünden schließlich nicht auf verschiedenen Seiten, sondern seien eigentlich ein Team.
"Die Verwaltung arbeitet eigentlich ausschließlich im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, und die sind nun mal vielfältig", sagt die Beamtin. "Da können wir nicht sagen: Okay, dem einen können wir helfen, weil er die Sprache spricht, biodeutsch ist und eine Aufenthaltserlaubnis hat und dem anderen können wir nicht helfen, weil der nun mal etwas anderes braucht.“

Mehr interkulturelle Kompetenz

Dafür müsse Verwaltung flexibel sein und mit der Zeit gehen. Für die Kommunalbeamtin Lamroubal heißt das konkret: Angebote in verschiedenen Sprachen zu schaffen, niedrigschwellige Informationen zur Verfügung zu stellen und interkulturelle Schulungen verpflichtend zu machen.
Das führe im besten Fall zu einer Win-win-Situation auf beiden Seiten: „Wir verändern uns ein bisschen mit, wir öffnen ein bisschen unsere Strukturen. Das muss man einer Verwaltung immer wieder klarmachen."
Sofia und Markus sind indes zufällig auf einen Paragrafen im Aufenthaltsrecht gestoßen, der besagt: Wird fristgerecht die Verlängerung eines Aufenthaltstitels beantragt, gilt der bisherige Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde, auch nach dem Ablaufdatum.
„Das hat mir ein bisschen Hoffnung gegeben, jetzt konnte ich mich bei meinem Arbeitgeber melden und sagen: 'Hey, ich habe das gefunden, vielleicht kann ich weiterarbeiten'“, erzählt Sofia.
Ihr Arbeitgeber hätte allerdings gern eine amtliche Bestätigung von der Behörde, dass der Antrag pünktlich eingegangen ist und bearbeitet wird – aber auch die ist derzeit nicht zu bekommen.
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