Amitava Kumar: "Am Beispiel des Affen"

Was Affen mit Einwanderung zu tun haben

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Buchcover: "Am Beispiel des Affen" von Amitava Kumar (Hanser Verlag)
Buchcover: "Am Beispiel des Affen" von Amitava Kumar (Hanser Verlag) © Hanser Verlag / imago
Von Meike Feßmann · 28.02.2019
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Der Held des funkelnden Romans "Am Beispiel des Affen" geht wie sein Autor Amitava Kumar von Indien in die USA. Das Ungeheure der Immigration ist ebenso Thema des Buchs wie linke Utopien und die Freiheit des Geschichtenerzählens.
Er sei eine "Art sexuelles Wunderkind" gewesen, behauptet Kailash, der Ich-Erzähler des Romans von Amitava Kumar, der ebenso munter die Genres mischt, wie der aus Indien stammende Held durch die Betten seiner Gefährtinnen hüpft. Die kleine Selbstbeweihräucherung beispielsweise ist dezent in einer Fußnote versteckt. Kailesh kommt 1990, etwas später als sein Autor, von Ara nach New York, um in den USA zu studieren. Es ist die Zeit des großen Ausprobierens. Die Diskurse wirbeln durcheinander, das Begehren wird kultiviert, die Lüste erprobt. Die Professoren laden ihre Studenten zu geistreichen Partys ein, Marxismus, Dekonstruktion und postkoloniale Studien vermischen sich zu einem intellektuellen Setting, dessen Finessen von Jim Jarmuschs Filmen, dem Saxophon Ornette Colemans und der Stimme Laurie Andersons atmosphärisch umspielt werden.
"Am Beispiel der Affen", wie der Roman in der gekonnten Übersetzung von Nikolaus Stingl heißt, kombiniert Elemente des abschweifenden Romans Sternescher Prägung mit essayistischen und wissenschaftlichen Stilmitteln, historische Exkurse finden sich neben Zeitungsberichten und Fotos. W. G. Sebald und Teju Cole lassen grüßen. Dem nigerianisch-amerikanischen Kollegen ist der Roman gewidmet. Er hat prompt einen Blurb spendiert.

Spiel mit kulturellen Codes

Das Spiel mit den kulturellen Codes, das Verstehen und Missverstehen, das Deuten und Darstellen, das Befolgen, Unterlaufen und Überbieten – all diese Muster, die seit den 1960er-Jahren unter verschiedenen Flaggen universitär untersucht werden, bringen es in Geschichten von Einwanderern zu neuer Sinnfälligkeit. Wer sich wundert, dass die Postmoderne plötzlich wieder so lebendig wirkt, übersieht ihre permanente Erneuerung durch den Postkolonialismus.
Amitava Kumar, 1963 in Ara geboren, lebt in New York und lehrt am Vassar College. Er hat neben einem Gedichtband mehrere nicht-fiktionale Bücher publiziert, die zwischen den Genres oszillieren, etwa einen Band mit Passbildern von Einwanderern oder einen Reisebericht durch Indien und Pakistan, der vom Schreiben und religiöser Gewalt erzählt.
Indien und China spielen eine große Rolle in diesem Roman, dessen zentrale Figur neben dem Ich-Erzähler einer seiner Professoren ist. Elisaan Ali ist Eqbal Ahmad nachgebildet, dem pakistanisch-amerikanischen Politologen und Aktivisten, der in den 1970er-Jahren eine Entführung Henry Kissingers geplant haben soll. Das "Ungeheure" der Immigration ist ebenso Thema des Romans wie linke Utopien und die Freiheit des Geschichtenerzählens.

Starke Bilder und plastische Geschichten

Kailesh erzählt gern die Geschichte von dem Affen, der eines Tages ins Schlafzimmer seiner Cousine kam, die Pistole ihres Vaters auf das Mädchen richtete – und sich im letzten Moment selbst in den Kopf schoss. Im Lauf von mehr als 20 Jahren baut er diese Geschichte zu einem "breiteren Narrativ" aus: "Affen als Metaphern für Migration". Das reicht bis zu den Rhesusaffen, die zu wissenschaftlichen Zwecken von Indien in die USA gebracht und ins Weltall geschossen wurden. Starke Bilder und plastische Geschichten funkeln mit einem brillanten Intellekt um die Wette: ein von Fakten und Fiktionen überschäumender Roman, der im Original "Immigrant, Montana" heißt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Amitava Kumar: Am Beispiel des Affen
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Hanser Verlag, München 2019
318 Seiten, 23 Euro

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