Amadeu-Antonio-Stiftung: Rechtsextremes Gedankengut über Generationen tradiert

Anetta Kahane im Gespräch mit Joachim Scholl |
Nach Ansicht der Vorsitzenden der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, wurde die Rolle der Großelterngeneration in der Diskussion um den heutigen Rechtsradikalismus lange Zeit verdrängt. In Ost wie in West sei Gedankengut der NS-Zeit an die nachfolgenden Generationen weitergegeben worden.
Joachim Scholl: In dieser Woche hat uns ein Interview auf Gedanken gebracht. Das Interview hat der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer dem Magazin "Spiegel" gegeben. Anlass war der Abschluss der Langzeitstudie über Gewalt in der deutschen Gesellschaft, und in diesem Zusammenhang sagte der Wissenschaftler wörtlich: "Wir beobachten ja immer gerne die Jugend, die zum Teil gewalttätig auftritt und Schlagzeilen macht. Dabei sind es die älteren Menschen, die ab 60-Jährigen, die besonders feindselige Einstellungen aufweisen. Das hat Folgen. Die Einstellung der älteren Generation überträgt sich in vielen Fällen auf die jungen Leute." Zitat Ende. Über solcherlei Einstellung, über Wesen und Herkunft, diskutieren wir zurzeit wieder verstärkt angesichts der furchtbaren Mordserie der jungen Rechtsradikalen aus Zwickau. Im Studio begrüße ich jetzt Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Guten Tag, Frau Kahane!

Anetta Kahane: Guten Tag!

Scholl: Ist Opa also mit schuld an der rechten Gewalt durch die Enkel, Frau Kahane?

Kahane: Ja, also Opa ist immer an allem schuld sozusagen, so wie immer die Eltern an allem schuld sind. Nein, natürlich hat jeder Mensch auch die freie Wahl. Es ist nur klar, dass sich über die Generationen Dinge tradieren. Mich freut besonders, dass Herr Heitmeyer das jetzt auch so sieht, weil ich habe mich bereits vor 15 Jahren mit ihm darüber gestritten, weil er gesagt hat: Wir haben Befunde zu rechtsorientierten Jugendlichen in Ostdeutschland. Und ich habe ihn gefragt: Haben Sie mal gefragt, in welchem familiären Kontext sich diese Befunde zu Rechtsradikalismus äußern? Da sagte er: Nein, das haben wir nicht gefragt und da haben die das auch nicht geantwortet, also existiert das gar nicht. Also insofern war also sozusagen die Tradierung aus den Elternhäusern erst mal verdrängt. Und natürlich spielt sie eine ganz große Rolle. So wie sie im Westen eine große Rolle gespielt hat und spielt, so ist es auch im Osten.

Scholl: Was für Beobachtungen haben Sie speziell in dieser Richtung gemacht? Welche Inhalte, Einstellungen werden hier von den Großvätern propagiert?

Kahane: Na ja, das sind Deutschnationale zum Teil, also so auch so Chauvinistische im klassischen Sinne, nicht? Also gerade jetzt in der Euro-Krise kommt das auch wieder verstärkt hervor, die Deutschen als tapfere Soldaten, der Deutsche als überhaupt der toughe Mensch, der fleißig und genügsam und erfolgreich ist, im Gegensatz zu den fremden Gruppen oder zu den sogenannten Versagern der Gesellschaft - die hat ja Heitmeyer untersucht -, also Obdachlose, Langzeitarbeitslose, Fremde jeglicher Art und so weiter.

Und da gibt es natürlich – so wie es in allen Bereichen des kollektiven Gedächtnisses eine Tradierung gibt, gibt es die da an der Stelle natürlich auch. Also es ist so merkwürdig, dass gerade in der Diskussion um Rechtsextremismus die rechtsextreme – wenn man das so sagen darf – Nazivergangenheit dieses Landes, die ja sozusagen eine Generation erst überlebt ist, überhaupt keine Rolle zu spielen scheint. Und das ist aber trotzdem so, und deswegen ist es wichtig, dass wir uns darum kümmern.

Scholl: Wie kommt es dann aber bei den Enkeln an? Man könnte mal überspitzt folgern: Im Westen haben sich die kritischen Söhne der 68er-Generation von den Vätern ja nichts sagen lassen, und haben sich nicht leimen lassen – die Enkel schon?

Kahane: Ja, sicher. Es gibt zum einen immer so einen Übersprung, eine Generation nach den Vätern sind die Enkel wieder symbiotischer mit den Großvätern. Aber ich glaube, das kann man jetzt auch nicht so wörtlich nehmen. Über die 68er-Generation kann man auch das eine oder andere sagen. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass die Abgrenzung oder die Ablösung der Kindergeneration von den Eltern immer so wenig sich unterschieden hat von dem, was die Eltern gemacht haben. Aber gut, da gibt es heftige Diskussionen darüber.

Klar ist aber, dass sozusagen mit der 68er-Zeit sich der Zeitgeist in der Bundesrepublik geändert hat, ja, und dass da sozusagen die späte Aufbereitung des Nationalsozialismus auch in anderen gesellschaftlichen Schichten als die, die es unmittelbar betraf, begonnen hat. Das wissen wir alles. In der DDR jedoch – und Deutschland ist nun mal ein Gesamtes, das sich einen Teil nach der Vereinigung auch von den – sagen wir mal – von den Sünden, die man in der ehemaligen DDR gemacht hat, hat anstecken lassen.

In der DDR ist das alles nicht passiert. 1968 war nicht der Aufbruch, sondern der Abbruch, nämlich Tschechoslowakei, der Prager Frühling – und die Diskussion mit den Eltern über deren Vergangenheit hat in der DDR so überhaupt nicht stattgefunden, weil das nicht erwünscht war.

Scholl: Wenn Opa von der Nazizeit erzählt, über diesen Einfluss auf die jüngere Generation sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Nun wird beständig bemerkt, dass jugendlicher Rechtsextremismus im Osten Deutschlands weitaus stärker ist und weitaus sichtbarer ist als im Westen. Viel mehr Gewalttaten werden registriert, kommen vor. Aber jetzt noch mal zurück zu dieser unterschiedlichen historischen Einstellung:

Welche Rolle hat denn dann der verordnete Antifaschismus der DDR in dieser Hinsicht gespielt? Hat der dann alles unterdrückt, was jetzt sozusagen rauskommt und was sich jetzt dann als so eine Art stolze Wahrheit präsentiert – jetzt darf ich es endlich sagen?

Kahane: Es gibt einen Unterschied zwischen Tabu und Ächtung. Sagen wir mal, es war nicht geächtet, sondern es war ein komplettes Tabu, über die Vergangenheit innerhalb der Familien oder in den Kommunen oder in den Städten, in den Stadteilen, in denen man gelebt hat, überhaupt zu sprechen. Da kam auch in den Stadteilmuseen mitunter jüdisches Leben gar nicht mehr vor, weil man hätte dann irgendwas erklären müssen, und es wäre zu nahe rangekommen.

Das heißt also: Tabu bedeutet ein Gegenstand, nämlich der Nationalsozialismus, der Mord an den Juden ist komplett verschwunden, und ist ersetzt worden durch ein sehr pathetisches, exkulpierendes Statement des Staates, dass alle Unterdrückten der Welt, vom Kapitalismus Unterdrückten der Welt, gar keine Faschisten sein können, weil sie ja unterdrückt sind, und der Faschismus ja eine Erfindung des Kapitals ist und somit eine gigantische Exkulpation vonstatten gegangen ist. Es hat überhaupt gar keinen Grund gegeben, sich anders als eventuell sogar positiv auf die Familiengeschichte zu beziehen.

Ich bin in der DDR aufgewachsen, und ich kann mich genau erinnern, wie sozusagen in meinem Umfeld Kinder, die aus ganz normalen Soldatenfamilien gekommen sind, aufgewachsen sind, mit welchen Argumenten die über den Krieg reflektiert haben, nicht? Also das war sozusagen eigentlich genau so wie im Westen, nur dass es eben überhaupt nicht ausdiskutiert wurde.

Scholl: Also ich wollte gerade nachfragen: Ich komme aus dem Westen, und mein Vater war – obwohl schwer kriegstraumatisiert und fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft – immer noch hat er der Deutschen Wehrmacht so die Treue gehalten im Sinne, die Soldaten waren unschuldig, die Verbrecher waren die SS. Und da gab es also manchmal schon unschöne Szenen bei Familienfesten. Also war das praktisch die selbe Wertigkeit, die hier dann also zum Tragen, zum Ausdruck kam?

Kahane: Ja, das kann man schon so sagen. Ich kann es jetzt für meine Familie nicht sagen, weil ich bin auf der anderen Seite der Geschichte, was meinen Familienhintergrund betrifft. Meine Eltern waren ja als Juden und Kommunisten emigriert und haben auch gekämpft in Spanien und in Frankreich und so weiter, also die haben das von der anderen Seite gesehen. Aber ich kenne das natürlich aus meinem Freundeskreis. Da war das auch so. Das war also ganz normal, und insofern, ja, was erwartet man? Natürlich war deutsch deutsch, es war doch das gleiche, es ist ja nur eine ganz konstruierte Grenze gewesen dazwischen. Es ist nur unterschiedlich umgegangen worden mit der Art, wie man sich entschuldet hat.

Scholl: Wenn man nun diesen Komplex, dass also hier doch mehr tradiert wird über die Generationen, jetzt in die momentane Diskussion mit einbezieht, was würden Sie denn sagen, Frau Kahane, gibt es hier überhaupt Möglichkeiten, an die alten rechten Einstellungen ranzukommen, sozusagen: Die alten Opas, die Sturköpfe, denen bringt man doch nichts mehr bei, oder?

Kahane: Nein, aber es ist ja immer eine Frage des Umfeldes, und inwieweit man deren Ausstrahlung oder deren Unentgrenztheit man beschneiden kann. Also beispielsweise haben wir ein Projekt gemacht in Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern, wo wir Lokalgeschichte uns angeguckt haben, und zwar Lokalgeschichte nicht von damals, sondern Lokalgeschichte über die Frage: Wie hat man erinnert? Wie hat man in der DDR erinnert, in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen zum Beispiel, und wie hat man im Westen erinnert? Und wer ist verantwortlich für diese komischen Denkmale, die da stehen oder die da nicht stehen.

Und das hat die Kinder total interessiert, und die wollten natürlich ganz genau wissen, was die Eltern im direkten Umfeld gemacht haben. Wieso steht da das Denkmal jetzt außerhalb der Stadt? Wer hat das veranlasst? Also es war viel näher dran, auf diese Weise ist natürlich auch über Erinnerungskultur zu sprechen, und diese Auseinandersetzung der ganz Jungen mit ihren Eltern und Großeltern auf der Basis eines konkreten, zeitnahen Anlasses, das ist, finde ich, sehr erfolgreich, und das bringt dann auch sehr viel, auch um klarzumachen, was geht und was nicht geht. Weil davon ernährt sich der Rechtsextremismus, wenn die das sozusagen unwidersprochen verbreiten können.

Scholl: Wie rechte Einstellungen von Jugendlichen entstehen und welchen Einfluss die ältere Generation darauf hat, das war Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich einsetzt gegen rechtsextreme Entwicklung. Frau Kahane, ich danke Ihnen für das Gespräch und den Besuch!

Kahane: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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