Die alten Erzählungen der Ehemaligen über die braune Mordserie
Nun werden die alten Erzählungen wieder erzählt. Fast 20 Jahre ist es her seit der letzten Erzählstunde, also bitte das Ganze noch einmal von vorn. Die ehemalige Bürgerrechtlerin erzählt von 40 Jahren DDR und 20 Jahren Einheit.
Sie meint, die Partei Die Linke sei schuld an den Morden der vergangenen Jahre, da sie als ehemalige SED Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in der DDR gefördert habe. Die ehemalige Ausländerbeauftragte erzählt von 40 Jahren DDR und 20 Jahren Einheit.
Sie ist der Ansicht, der Westen sei schuld, weil ostdeutsche Neonazigruppen in den neunziger Jahren als Ostfolklore abgetan worden seien. Der ehemalige und heutige "taz"-Autor erzählt von 40 Jahren BRD und 20 Jahren Einheit. Er ist der Ansicht, die Morde der letzten Jahre seien der Beleg dafür, dass Ausländer kein arbeitsscheues Gesindel sind, wie Rechte immer unterstellen, bei den Opfern handle es sich schließlich um Kleinunternehmer. Andere geben zu bedenken, der Begriff Döner-Morde stelle eine Ausgrenzung dar, als hätten Deutsche damit nichts zu tun.
Und hinter all diesen Erzählungen grummelt stumm und laut die Haupterzählung. Sie handelt von Adolf Hitler und von einem Volk, das sich wieder schuldig gemacht habe. Der braune Schoß, die Saat, Sie wissen schon. Was hilft? Die ehemalige Bürgerrechtlerin: Zeitzeugen müssten her, die mit Schülern redeten. Aber löst das irgendeines der Probleme, die gerade bekannt geworden sind?
In diesen Tagen frage ich mich manchmal, warum täglich dieselben Nachrichten zu dem Thema kommen. Hin und wieder habe ich den Eindruck, es sind auch Nachrichten von vor 20 Jahren dabei. Zum ersten Mal in der Geschichte des derzeitigen Bundestages ist eine Entschließung ohne Gegenstimme angenommen worden. Ob das ein gutes Zeichen ist? Die neue Qualität der letzten Vorfälle wird von den Ehemaligen ausgeblendet. Anfang der 90er kam der Begriff Mordbrenner auf, er beschrieb das damals Neue, das Abbrennen von Häusern und Menschen.
Die jüngeren Vorfälle sind anderer Natur, andere Erscheinungen, sie deuten auf andere Hintergründe. Und doch werden die alten Erzählungen erzählt, und nebenbei scheinen uralte unbeglichene Rechnungen auf den Tisch zu müssen. Die neue Erzählung, auf die ich noch warte, sie handelt nicht davon, dass Geheimdienste neu strukturiert werden müssen. Sie handelt nicht davon, dass Entschädigungszahlungen und nachträgliche Trauerfeiern aufs Programm müssen. Sie handelt nicht von dem ewigen Thema eines NPD-Verbots. Sie handelt auch nicht von Schuldbekenntnissen, bevor die Schuldigen benannt sind.
All dies wären Ersatzhandlungen, um eine generelle Unterlassung zu verdecken. Die neue Erzählung müsste handeln von Geheimdienstleuten, über die der Dienst die Kontrolle verloren hat, mindestens. Oder sie müsste handeln von Morden, die unter staatlicher Aufsicht geschehen sind, einschließlich verhinderter Spurensicherungen und Festnahmen. Wo und wann hat es ähnliche Fälle bereits gegeben? Wie kamen sie zustande? Wie entwickelten sie sich weiter? Die ganz Furchtlosen würden sogar mit dem Begriff Staatsterror wedeln. Selbstverständlich würden sie Widerspruchernten.
Aber das wäre doch schon mal was. Wenn man zur Zeit etwas wissen kann, dann, dass jedem zu misstrauen ist, der mit Antworten aufwartet, wie die anfangs erwähnten Ehemaligen. Sie dokumentieren lediglich, dass sie sich auf diese Affäre der Dienste nicht einlassen wollen. Und wenn die neue Erzählung zu irre ist, um schon erzählt werden zu können, vielleicht sollten dann erst einmal die richtigen Fragen gestellt werden.
Hier ein paar Beispiele: Wie kam es 2007 zu der ersten DNA-Spur am Heilbronner Tatort, nach dessen Fund die Republik in Atem gehalten wurde mit einem Phantom, das es gar nicht gab?
Gibt es überhaupt jene Labormitarbeiterin, die für die verschmutzten Wattestäbchen, die zur Spurensicherung benutzt wurden, verantwortlich gewesen sein soll? Welche Spuren wurden durch diese vermeintliche Hauptspur, die vielleicht nichts weiter als eine Finte war, unberücksichtigt gelassen? Was hat es mit der angeblich verhinderten Festnahme der Zwickauer auf sich? Wenn jemand über ein Jahrzehnt lang innerhalb des Landes abtauchen kann - wird dann wirklich nach ihm gefahndet? Nicht die gestrige, sondern die neue Erzählung zu erzählen, das wäre der Versuch, auszudrücken, was man nicht für möglich gehalten hätte. Die Ehemaligen werden uns die neue Erzählung nicht erzählen können, solange sie nur von damals berichten.
Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Sein zuletzt erschienener Roman ist "Beute machen". Anfang der 90er- Jahre veröffentlichte er zwei Bücher zum Thema Rechtsextremismus.
www.bodomorshaeuser.de
Sie ist der Ansicht, der Westen sei schuld, weil ostdeutsche Neonazigruppen in den neunziger Jahren als Ostfolklore abgetan worden seien. Der ehemalige und heutige "taz"-Autor erzählt von 40 Jahren BRD und 20 Jahren Einheit. Er ist der Ansicht, die Morde der letzten Jahre seien der Beleg dafür, dass Ausländer kein arbeitsscheues Gesindel sind, wie Rechte immer unterstellen, bei den Opfern handle es sich schließlich um Kleinunternehmer. Andere geben zu bedenken, der Begriff Döner-Morde stelle eine Ausgrenzung dar, als hätten Deutsche damit nichts zu tun.
Und hinter all diesen Erzählungen grummelt stumm und laut die Haupterzählung. Sie handelt von Adolf Hitler und von einem Volk, das sich wieder schuldig gemacht habe. Der braune Schoß, die Saat, Sie wissen schon. Was hilft? Die ehemalige Bürgerrechtlerin: Zeitzeugen müssten her, die mit Schülern redeten. Aber löst das irgendeines der Probleme, die gerade bekannt geworden sind?
In diesen Tagen frage ich mich manchmal, warum täglich dieselben Nachrichten zu dem Thema kommen. Hin und wieder habe ich den Eindruck, es sind auch Nachrichten von vor 20 Jahren dabei. Zum ersten Mal in der Geschichte des derzeitigen Bundestages ist eine Entschließung ohne Gegenstimme angenommen worden. Ob das ein gutes Zeichen ist? Die neue Qualität der letzten Vorfälle wird von den Ehemaligen ausgeblendet. Anfang der 90er kam der Begriff Mordbrenner auf, er beschrieb das damals Neue, das Abbrennen von Häusern und Menschen.
Die jüngeren Vorfälle sind anderer Natur, andere Erscheinungen, sie deuten auf andere Hintergründe. Und doch werden die alten Erzählungen erzählt, und nebenbei scheinen uralte unbeglichene Rechnungen auf den Tisch zu müssen. Die neue Erzählung, auf die ich noch warte, sie handelt nicht davon, dass Geheimdienste neu strukturiert werden müssen. Sie handelt nicht davon, dass Entschädigungszahlungen und nachträgliche Trauerfeiern aufs Programm müssen. Sie handelt nicht von dem ewigen Thema eines NPD-Verbots. Sie handelt auch nicht von Schuldbekenntnissen, bevor die Schuldigen benannt sind.
All dies wären Ersatzhandlungen, um eine generelle Unterlassung zu verdecken. Die neue Erzählung müsste handeln von Geheimdienstleuten, über die der Dienst die Kontrolle verloren hat, mindestens. Oder sie müsste handeln von Morden, die unter staatlicher Aufsicht geschehen sind, einschließlich verhinderter Spurensicherungen und Festnahmen. Wo und wann hat es ähnliche Fälle bereits gegeben? Wie kamen sie zustande? Wie entwickelten sie sich weiter? Die ganz Furchtlosen würden sogar mit dem Begriff Staatsterror wedeln. Selbstverständlich würden sie Widerspruchernten.
Aber das wäre doch schon mal was. Wenn man zur Zeit etwas wissen kann, dann, dass jedem zu misstrauen ist, der mit Antworten aufwartet, wie die anfangs erwähnten Ehemaligen. Sie dokumentieren lediglich, dass sie sich auf diese Affäre der Dienste nicht einlassen wollen. Und wenn die neue Erzählung zu irre ist, um schon erzählt werden zu können, vielleicht sollten dann erst einmal die richtigen Fragen gestellt werden.
Hier ein paar Beispiele: Wie kam es 2007 zu der ersten DNA-Spur am Heilbronner Tatort, nach dessen Fund die Republik in Atem gehalten wurde mit einem Phantom, das es gar nicht gab?
Gibt es überhaupt jene Labormitarbeiterin, die für die verschmutzten Wattestäbchen, die zur Spurensicherung benutzt wurden, verantwortlich gewesen sein soll? Welche Spuren wurden durch diese vermeintliche Hauptspur, die vielleicht nichts weiter als eine Finte war, unberücksichtigt gelassen? Was hat es mit der angeblich verhinderten Festnahme der Zwickauer auf sich? Wenn jemand über ein Jahrzehnt lang innerhalb des Landes abtauchen kann - wird dann wirklich nach ihm gefahndet? Nicht die gestrige, sondern die neue Erzählung zu erzählen, das wäre der Versuch, auszudrücken, was man nicht für möglich gehalten hätte. Die Ehemaligen werden uns die neue Erzählung nicht erzählen können, solange sie nur von damals berichten.
Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Sein zuletzt erschienener Roman ist "Beute machen". Anfang der 90er- Jahre veröffentlichte er zwei Bücher zum Thema Rechtsextremismus.
www.bodomorshaeuser.de