Alvin E. Roth: "Wer kriegt was und warum?"

Wenn der Mensch sich selbst zu Markte trägt

Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Alvin E. Roth zu Gast beim Literaturfestival Lit.Cologne 2016 in Köln.
Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Alvin E. Roth. © picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Wolfgang Schneider · 07.04.2016
Bei der Bildung, im Job oder in der Liebe wählen wir nicht nur selbst, sondern müssen auch ausgesucht werden. Mit den Mechanismen dieser fragilen Märkte beschäftigt sich der Nobelpreisträger und Spieltheoretiker Alvin E. Roth in seinem neuen Buch "Wer kriegt was und warum?".
Märkte bestimmen unser Leben. Nicht nur, wenn wir etwas kaufen oder verkaufen und die Geschäfte anonym durch Geld vermittelt werden (Warenmärkte), sondern auch dann, wenn sich die Beteiligten zu einem Abgleich von Interessen zusammenfinden müssen: zum Beispiel bei Partnerwahl, Job- oder Schulsuche, Organspende und vielen anderen "Transaktionen" in Alltag und Berufsleben.
Diese "matching markets" sind das eigentliche Forschungsgebiet des 1951 geborenen Ökonomen und Spieltheoretikers Alvin E. Roth – Marktplätze also, wo man sich nicht einfach etwas aussuchen und bezahlen kann, sondern auch selbst ausgewählt werden muss.
Die Disziplin des Nobelpreisträgers heißt Marktdesign. Märkte sind nicht naturgegeben, sondern werden von Menschen gestaltet und verändert. Manchmal funktionieren sie nur schlecht – und Roth hat geholfen, sie zu größerer Zufriedenheit umzuformen.
Einer seiner größten Erfolge war die Neuorganisation eines Marktes für ein knappes Gut, das üblicherweise nicht mit Geld bezahlt wird: der komplexe Ringtausch von Spendernieren. Dadurch konnte das Leben vieler Menschen gerettet werden, die sonst vergeblich auf ein passendes Organ gewartet hätten.

Dysfunktionale Matching-Märkte

Dysfunktionale Matching-Märkte gibt es oft bei akademischen Bewerbungsverfahren oder bei der Schulwahl. Festlegungen und Entscheidungen erfolgen zu früh, bevor wichtige Informationen zur Verfügung stehen, oder sie folgen strategischen Überlegungen, etwa wenn Eltern als erste Wahl gerade nicht ihr Wunschgymnasium angeben (weil sie befürchten, dass das schon zu viele andere Eltern tun und dadurch ihre Chancen schwinden) oder als zweite Wahloption ebenfalls nicht die zweite Wunschschule nennen (weil sie wissen, dass diese nur Schüler aufnimmt, für deren Eltern sie erste Wahl ist).
Prinzipiell gilt: Märkte lassen sich verbessern, wenn ihr Design Menschen dazu bringt, wichtige Informationen nicht zurückzuhalten.

Personalisierte Werbung

Roth beschäftigt sich auch mit den unsichtbaren Auktionen, die von Online-Suchanfragen ausgelöst werden und zu personalisierter Werbung beim Nutzer führen. Er analysiert die Funktionsweisen und Feedbacksysteme von Ebay-Marktplätzen. Er macht Vorschläge, wie der wahnwitzige Hochfrequenzhandel der Finanzmärkte, in den Unternehmen Milliarden investieren, um mittels besserer Kabel noch Millisekunden schneller als die Konkurrenz agieren zu können, vernünftig geregelt werden kann.
Und er stellt die Frage, was überhaupt als Gut "verhandelbar" ist. Welche Güter sind nicht marktfähig? Die Vorstellungen davon, ob mit Geld und Zins gehandelt werden darf, ob Pferdefleisch, Menschennieren oder Sklaven zu Verkauf stehen sollten, ändern sich im Verlauf der Zeiten erstaunlich schnell.
Das Buch hat zwar Längen, etwa wenn die Details der Bewerbungsverfahren amerikanischer Medizinabsolventen analysiert werden. Aber man wird auf jeden Fall klüger bei der Lektüre, weil Alvin E. Roth theoretisches Wissen auf praktische Probleme anwendet, die jeden betreffen. Denn Märkte bestimmen unser Leben.

Alvin E. Roth: Wer kriegt was und warum? Bildung, Jobs und Partnerwahl
Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt.
Siedler Verlag. München 2016. 304 Seiten, 24,99 Euro

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