TU Berlin holt afghanische Alumni nach Deutschland

Verlorene Träume, ungewisse Zukunft

06:46 Minuten
Eine junge Frau mit muslimischer Kopfbedeckung ist im Profil zu sehen. Sie sitzt im Freien vor einem Gebäude der Technischen Universität Berlin  und arbeitet an einem Laptop.
Zahra Azimy konnte mit Hilfe der TU Berlin nach Deutschland einreisen. Doch die junge Informatikerin sorgt sich um Eltern und Geschwister, die in Afghanistan bleiben mussten. © Christian Kielmann
Von Claudia van Laak · 15.08.2022
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Rettung vor den Taliban: 62 junge Informatikerinnen und Informatiker konnten über das Alumninetzwerk der Technischen Universität Berlin aus Afghanistan nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden. Doch wie es für sie weitergeht, ist unklar.
Den 15. August 2021 wird Zahra Azimy nicht vergessen. Es war der schlimmste Tag ihres Lebens. So sagt sie es heute. Aber er begann wie jeder andere Arbeitstag auch.
„Am 15. August bin ich ganz normal aufgestanden, es war ein schöner sonniger Tag, ich machte mich fertig, um ins Büro zu gehen, dann plötzlich rief mich meine Mutter an und sagte: 'Willst du nicht lieber heute Zuhause bleiben, die Situation sieht nicht so gut aus.' Und ich sagte: 'Nein, Mama, es ist alles in Ordnung.'“

Etwas Schlimmes braut sich zusammen

Die 27-jährige Informatikerin aus Kabul machte sich auf den Weg in den Präsidentenpalast. Dort war sie zusammen mit anderen Expertinnen und Experten für die IT-Sicherheit zuständig. Azimy saß mit ihren Kolleginnen und Kollegen in einem Meeting, als plötzlich der Abteilungsleiter hineinstürzte. Die Taliban seien an der Stadtgrenze von Kabul, als erstes müssten die Frauen so schnell wie möglich den Präsidentenpalast verlassen.
"Ich war total geschockt und geriet in Panik, ich versuchte, noch schnell ein paar wichtige Dateien zu löschen, ich wollte nicht, dass sie meine Identität rekonstruieren könnten", erinnert sich die junge Frau. "Dann rannte ich raus, und als ich zu den Toren des Präsidentenpalastes kam, stellte ich fest, dass die Sicherheitskräfte weg waren. Normalerweise waren sie sehr zuverlässig, aber plötzlich war niemand mehr da und die Tore waren komplett offen. Damit war klar – etwas Schlimmes passiert gerade.
Sie rannte nach Hause, verließ Hals über Kopf mit ihren Eltern und ihrem Bruder Kabul. Gemeinsam flohen sie zunächst aufs Land. Von dort nutzte Zahra Azimy alle ihre Kontakte ins Ausland und bat um Hilfe. Erst vor kurzem hatte sie ihren Master in Informatik an der Technischen Universität Berlin beendet.  

Sie kam raus - der Rest der Familie nicht

Die Antwort der TU Berlin: Wir versuchen alles, um dich herauszuholen. Dann, wenig später: Sie dürfe das Land verlassen, nicht aber ihre Eltern und Geschwister. Für die junge Frau war das ein Schock. Denn außer ihrer Familie hat sie niemanden.

Hören Sie auch den Beitrag von Marc Thörner zum gleichen Thema:
Geflohen ohne richtig anzukommen – afghanische Geflüchtete in Deutschland .

Zahra Azimy wollte bleiben, wollte ihre Eltern nicht in Afghanistan zurücklassen. Doch ihre Mutter insistierte. Sie müsse gehen, das Angebot aus Berlin sei die letzte Hoffnung, wenn sie es nicht annähme, würde sie ihre Zukunft zerstören.
„Das waren schwere Tage für mich, doch dann entschied ich, okay, ich muss gehen. Ich finde einen besseren Platz, für die Zukunft meiner Familie, vielleicht ist das der Weg.“

Verlorene Träume

Mohammad Mustafa Naier hat bereits eine eigene Familie, durfte gemeinsam mit seiner Frau und dem dreieinhalbjährigen Sohn ausreisen. Der Assistenzprofessor sieht keine Zukunft für sich in Afghanistan.
"Ich hatte den Traum, ein nationales Datenzentrum aufzubauen. Wir sind die ersten wichtigen Schritte bereits gegangen, ich habe sehr hart daran gearbeitet und ich habe Geld von der Weltbank dafür erhalten. Aber als die Regierung kollabierte, wurde der Traum wieder nur ein Traum."
TU Berlin: Afghanische TU Alumni: Mohammad Mustafa Naier - Fotos am besten nur für den einen Artikel verwenden, sensible VeröffentlichungCopyright: Christian Kielmann, www.herr-kielmann.de, kielmann@web.de, +491704857125
Mohammad Mustafa Naier kam mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn nach Berlin. In Afghanistan war Naier Assistenzprofessor.© Christian Kielmann
Mohammad Mustafa Naier und Zahra Azimy sind zwei von 62 Informatikerinnen und Informatikern, die mit Unterstützung der TU Berlin Afghanistan verlassen konnten. Die TU engagiert sich seit 20 Jahren für Afghanistan: 125 Frauen und Männer haben in den letzten Jahren Informatik an der TU studiert, um nach ihrer Rückkehr eine digitale Infrastruktur in ihrem Heimatland aufzubauen.

Geheime Rettungsaktion

Die Berliner Universität entschied sich dafür, die Rettungsaktion zunächst geheim zu halten, um niemanden zu gefährden. Ulrike Hillemann leitet die Abteilung Internationales an der TU.
„Das war eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt, DAAD und der Senatskanzlei. Zwar sind unsere Alumni keine Ortskräfte im engeren Sinne, aber sie hatten ja doch eine enge Verbindung mit Deutschland. Das wurde gemeinsam sehr gut koordiniert.“

In kürzester Zeit gelang es, die Alumni der TU auf die deutsche Evakuierungsliste zu setzen. Die Ausreise schafften sie dann über Pakistan oder Iran – insgesamt 220 Personen sind jetzt in Berlin. 20 weitere Alumni warten noch in Afghanistan.

Die Lage ist schwierig

Sie hätten schnell und entschieden gehandelt, sagt Ulrike Hillemann. Die TU hat insgesamt eine Millionen Euro für die Rettungsaktion zur Verfügung gestellt.
„Ein wichtiger Faktor, weshalb die Leute auf die Liste kamen, war auch das Commitment der TU, sie zu unterstützen, wenn sie hierherkommen. Wir haben jetzt versucht, auch aus anderen Quellen Geld zu bekommen, um unseren Haushalt wieder zu entlasten, aber das ist leider nur in Bruchstücken von Erfolg gekrönt.“

Geld verdienen für die Eltern in Afghanistan

Die afghanischen Informatikerinnen und Informatiker sind der TU zwar sehr dankbar für die Evakuierung. Ihre Lage ist allerdings nicht einfach. Das Stipendium der TU währte nur ein halbes Jahr, viele leben in Flüchtlingsheimen, sind auf Hartz IV angewiesen.
Mohammad Mustafa Naier hofft jetzt auf einen Doktorandenvertrag an der TU, Zahra Azimy hat ihre erste Deutschprüfung bestanden. Und sie hat Pläne: „Mein Traum wäre die Doktorarbeit, aber in der derzeitigen Situation muss ich einen Job finden, weil ich meine Familie in Afghanistan unterstützen muss.“ 

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