Ahmet Altan: „Hayat heißt Leben“

Ein Buch als Aufstand gegen die Tyrannei

14:22 Minuten
Porträt des türkischen Journalisten und Autors Ahmet Altan. Altan trägt Glatze, grauen Bart, eine randlose Brille, ein gestreiftes Hemd und ein blaues Jacket. Der Hintergrund ist grün.
Kurz nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 wurde Ahmet Altan festgenommen. Viereinhalb Jahre war er in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Türkei inhaftiert. © imago / Guillem López
Moderation: Frank Meyer · 25.05.2022
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Ahmet Altans Roman „Hayat heißt Leben“ stieß international auf großes Interesse. Der türkische Autor schrieb das Buch über Liebe, Freiheit und Literatur im Gefängnis. Es sei auch eine Rache an denen, die ihn vernichten wollten, sagt Altan.
Der Roman „Hayat heißt Leben“ von Ahmet Altan ist in der Türkei ein Bestseller geworden. In Frankreich wurde das Buch im vergangenen Jahr mit dem Prix Femina étranger ausgezeichnet. Ahmet Altan war Herausgeber der erdogankritischen Zeitung „Taraf“, die 2016 verboten wurde. Viereinhalb Jahre lang war der türkische Schriftsteller und Journalist in der Türkei in einem Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt.
Seinen Roman, der nun auch in Deutschland erschienen ist, hat er in der Haft geschrieben. Er war in einer Dreierzelle untergebracht, in der es einen Plastiktisch gab, an dem fast alles stattfand: essen, fernsehen – und dazwischen hat Ahmet Altan daran geschrieben. Manches, was er geschrieben hatte, habe er auswendig gelernt, erzählt Altan. „Denn ich musste immer damit rechnen, dass man meine Papiere beschlagnahmt.“

Schreiben: Schutz vor Leben und Tod

Im Gefängnis schrieb Altan auch das Buch „Ich werde die Welt nie wieder sehen. Texte aus dem Gefängnis“, das 2018 hierzulande erschien. Das Schreiben war für Ahmet Altan im Gefängnis etwas sehr Wichtiges, erzählt er: „Schreiben, schützt einen Menschen unter allen Umständen und immer, schützt vor dem Leben und vor dem Tod.“ Das gelte umso mehr im Gefängnis, denn im Gefängnis werde Menschen ihre Zeit geklaut, und das Schreiben schütze davor, dass man das zulässt. „Und das gibt einem auch ein großes Selbstvertrauen.“
Sein Roman erzählt eine konkurrierende Liebesgeschichte: Der Ich-Erzähler, Fazil, ist Literaturstudent und in eine deutlich ältere Frau verliebt, in Hayat – und gleichzeitig in die Literaturstudentin Sila, die so alt ist wie er. Hayat sei ihm plötzlich erschienen, sagt Altan, nachdem er häufig eine Fernsehsendung gesehen hatte, in der „immer wieder so richtig dicke Frauen mit breiten Körpern in ganz bunten Kleidern, mit tiefen Ausschnitten“ auftraten und sangen. „Ich habe gemerkt, dass diese farbenfrohe Welt eine Welt ist, die ich selbst überhaupt nicht kenne. Und so ist der Wunsch, in mir entstanden, ein Buch darüber zu schreiben.“

"Wir sind gar nicht so frei"

Neben der Liebe ist Freiheit ein sehr großes Thema in dem Buch. Das sei nicht nur in Bezug auf das Gefangensein relevant. „Gibt es überhaupt jemanden auf der Welt, der frei ist?“, fragt Ahmet Altan. „Wir denken zwar, dass wir frei sind, aber es gibt Grenzen, die die Gesellschaft, die Geschichte, die Kultur, die Familie, die Bildung ziehen.“ Und wir seien innerhalb dieser Grenzen verhaftet. „Wir sind gar nicht so frei, auch wenn wir denken, dass wir frei sind.“ Die Freiheit sei nicht nur eine politische Angelegenheit, wie viele meinten. „Freiheit ist etwas, was uns im ganzen Leben angeht.“
Der Roman spielt in der Türkei – es wird aber nicht genau gesagt, in welcher Zeit. In jedem Fall herrscht ein sehr starkes Klima der Angst. Menschen werden willkürlich verhaftet und die Polizei verweigert die Auskunft darüber, wo diese Verhafteten sind. Altan erzählt etwa von Männergruppen, die mit Stöcken bewaffnet durch die Stadt ziehen und auf Menschen einprügeln. Diese Tyrannei gebe es in jeder Gesellschaft in dieser Welt, unter anderem habe es sie auch in der Vergangenheit Deutschlands gegeben, sagt Ahmet Altan. Diese Menschen hassten Menschen, die anders seien als sie.

Keine Sorgen über neue Verhaftung

Außerdem ist „Hayat heißt Leben“ auch ein Buch über die Liebe zur Literatur. „Die Literatur ist ein sehr guter Schutz gegen jede Art von Tyrannei“, erklärt Altan. „Denn auch die Zeit selbst ist tyrannisch. Die Zeit stiehlt Ihnen die Lebenszeit, die sie eigentlich haben wollten, und das ist tyrannisch. Alles, was gegen ihren Willen gerichtet ist, ist tyrannisch.“ Sein erster im Gefängnis geschriebener Roman sei ein „Aufstand gegen die Tyrannei“, so Altan. Und es sei auch eine Rache für ihn. „Denn, sie wollten mir meine Zeit stehlen. Und ‚Hyatt heißt Leben‘ hat es verhindert, dass mir die Zeit gestohlen wurde. Sie wollten mich vernichten. Und dieses Buch hat es verhindert, dass ich in dieser Welt von Stein und Eisen vernichtet werden konnte.“ Das große weltweite Interesse an dem Buch sei nicht nur für ihn ein sehr wichtiges Zeichen, sondern auch für Tausende Menschen, die im Gefängnis seien.
Im April 2021 wurde Ahmet Altan überraschend freigelassen, obwohl er zu lebenslanger Haft verurteilt war. Er ist dann in sein Zuhause in Istanbul zurückgekehrt. „Ich bin jederzeit auf alles vorbereitet“, sagt er im Hinblick auf die Gefahr, wieder verhaftet zu werden. „In einem Land, in dem nicht Recht und Gerechtigkeit herrschen, kann jederzeit alles passieren.“ Aber er mache sich keine Sorgen darüber. Denn das würde sein Leben vergiften, so Ahmet Altan.
(abr)

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