Autor und Journalist Peter Pragal

Als Westler im Osten

33:48 Minuten
Ein Porträts des Autors und Journalisten Peter Pragal, ersteht vor einer mit Graffiti besprühten Wand im Berliner SO36
Mit seiner Frau und zwei Kindern zog Peter Pragal 1974 aus München nach Ost-Berlin. © picture alliance / Photopress Mueller/ Ralf Mueller
Moderation: Ulrike Timm · 21.01.2022
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Er war der erste West-Korrespondent, der in der DDR lebte: 1974 zog Peter Pragal mit seiner Familie von München nach Ost-Berlin. Zwölf Jahre berichtete er über Politisches ebenso wie über den Alltag - aus einem Land, das es so nicht mehr gibt.
Es klang fast wie ein Kompliment, als die Stasi über den Korrespondenten Peter Pragal schrieb: „Pragal war tatsächlich bemüht, wie ein DDR-Bürger zu leben.“ Denn als es durch den Grundlagenvertrag von 1972 zwischen den beiden deutschen Staaten möglich wurde, auch als Korrespondent in der DDR beziehungsweise BRD zu arbeiten, schlug die Stunde von Peter Pragal.
Mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern zog der Journalist der „Süddeutschen Zeitung“ 1974 aus dem schicken München nach Ost-Berlin – in einen Plattenbau in der Ho-Chi-Minh-Straße in Berlin-Lichtenberg. „Ich habe in der Tat, je länger ich dort war und je mehr Menschen ich kennenlernte, dann den Blick der DDR-Bürger übernommen, weil ich ja in erster Linie den Alltag der Menschen beschreiben wollte“, sagt Peter Pragal.

Fremd als Deutscher in einer deutschen Stadt

Alles in allem sind es zwölf Jahre, die Peter Pragal dann über die DDR berichtet, erst für die „Süddeutsche Zeitung“, dann für den „Stern“ und die „Berliner Zeitung“. Auch wenn der Fall der Mauer im November 1989 für Journalisten eine „Sternstunde“ war, so sind es doch die Jahre während des Kalten Krieges, die Peter Pragal besonders geprägt haben.
Bis 1979 lebt er in der DDR, später in West-Berlin. Das Leben im Ostteil der Stadt ist zunächst ein Kulturschock für die Familie. „In Ost-Berlin waren wir Fremde. Keine Freunde, keine Bekannten, die man um Rat und Unterstützung fragen könnte. Aber wie im Ausland fühlten wir uns auch nicht. Wir waren nicht in Warschau oder Moskau, sondern in einer deutschen Stadt."
"Wir fühlten uns wie Pioniere", schreibt Peter Pragal in seinem 2008 erschienenen Buch "Der geduldete Klassenfeind. Als West-Korrespondent in der DDR“. Er lernt, dass man beim Bäcker selbst die Tüte für die Brötchen dabeihaben sollte, dass die Patienten im Krankenhaus das Essbesteck mitbringen müssen, dass man in der DDR sehr früh aufsteht und Schlange stehen einfach dazugehört. „Das Leben war für die Menschen beschwerlicher und auch karger. Wenn man in die Kaufhalle ging und dort das Angebot gesehen hat, das war natürlich nicht mit dem zu vergleichen, was wir im Westen gewohnt waren."

"Ich habe dann immer versucht, mich in die Situation der Bürger um mich herum zu versetzen. Dann hat es mich auch nicht gestört, wenn man so ein Kartoffelnetz genommen hat und die waren angefault. Das war eben so, das haben wir dann hingenommen.“

Peter Pragal

Als er und seine Frau Sohn Markus in einer Ost-Berliner Grundschule anmelden, ist die Stasi verwundert: Will der Journalist darüber berichten oder erkennt er die Überlegenheit des DDR-Bildungssystems an? Die Gründe waren andere, erklärt Peter Pragal:
„Natürlich hätten wir ihn täglich nach West-Berlin bringen können. Aber dann wäre das Problem gewesen: Er hat dort Schulfreundinnen und –freunde, die ihn nicht besuchen können, und in Ost-Berlin lernt er Gleichaltrige auch nicht kennen. Also, meinten wir, das Natürliche sei doch, wenn ein Kind am Lebensmittelpunkt der Eltern auch zur Schule geht. Und das war ja Ost-Berlin.“

Vom "Strebergarten" zur "Süddeutschen Zeitung"

Peter Pragal wird 1939 in Breslau geboren, eine Stadt, mit der er heute wieder viel Kontakt pflegt. Gegen Kriegsende gelingt es der Mutter, mit ihren drei kleinen Söhnen vor der Roten Armee zu fliehen. Peter Pragal erinnert sich noch genau daran, wie die deutschen Soldaten im Mai 1945 ihre Gewehre wegwarfen und flüchteten.
„Ich war dann später auch ein sehr ängstliches Kind. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich, wenn ich feste Stiefeltritte hörte, mich sofort unter einem Bett versteckt habe. Es muss mit mir etwas gemacht haben, was mir erst viel später bewusst geworden ist.“
Auf Umwegen und mit langen Fußmärschen gelangt die Familie in den Westen, wo sie dann bei Bauern unter entwürdigenden Umständen aufgenommen wird. Als der Vater, ein Arzt, 1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen wird, beginnt in der Nähe von Siegen ein neuer Lebensabschnitt.
Dort wird für Peter Pragal auch bald klar, dass er Journalist werden möchte. Er gründet die Schülerzeitung „Strebergarten“, schreibt in den Ferien für die Siegener Lokalzeitung. Und fängt dann nach der Münchner Journalistenschule gleich bei der „Süddeutschen Zeitung“ an.
Was bleibt für Peter Pragal von den Jahren, die er in der DDR lebte? Er knüpfte enge Freundschaften, die bis heute halten. Er begeisterte sich für das Kulturleben, kaufte viele Bücher. Was ihn sehr beeindruckte: der Zusammenhalt in der DDR. Aber, sagt er auch: „In Zwangsgesellschaften ist das Miteinander der Menschen enger als im Westen. Das ist dann relativ schnell nach der Vereinigung wieder verschwunden. Es war eben nur bedingt durch diese Situation in der DDR.“
(svs)

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