Alles stinknormal

Von Svenja Pelzel · 06.07.2013
Als vor zehn Jahren die eingetragene Lebenspartnerschaft erlaubt wurde, hatten homosexuelle Paare als Eltern für Pflegekinder keine Chance. Heute werben dieselben Behörden um die engagierten Männer und Frauen. Ein Leben mit Kindern ist für Lesben und Schwule kein unerfüllbarer Traum mehr.
Laut quietschend springt die fünfjährige Jana Papa Michael in den Arm. Papi Kai sucht im großen Kita-Garten solange den kleinen Bruder Jérome. Die beiden Männer sind seit 14 Jahren ein Paar, seit 2008 verheiratet und Pflegeeltern von Jana und Jérome. Michael ist Computerfachmann in Elternzeit, 37 Jahre alt, wirkt wegen seines jungenhaften Lächelns aber jünger. Sein Mann Kai ist 42, an den Geheimratsecken schon leicht ergraut, angehender Hausarzt und der ruhigere von beiden.

Während sie an diesem Nachmittag darauf warten, dass ihre Kinder zu Ende gespielt haben, plaudern beide noch ein wenig mit den Erzieherinnen. Keine der Frauen behandelt das Paar in irgendeiner Weise anders als andere Eltern:

"Uns fällt immer wieder auf, wenn wir irgendwohin kommen, wir werden ja nicht als Paar wahrgenommen. Wir sind zwei Männer mit zwei Kindern und dann: Ja dann kennen die sich halt. Wenn die den gleichen Namen tragen, dann werden es wohl Brüder sein." - "Die Brüder mit den Kindern und die Ehefrauen machen ihre Kreuzfahrt." - "Wird ausgeblendet. Das ist eine Kombination, die gibt es nicht und dann ist das vorbei."

Nach der Kita geht's in den Garten, den Kai und Micha neben ihrer Wohnung im ruhigen Stadtteil Berlin Köpenick gepachtet haben. "Unser Leben ist ganz schön spießig", sagt Micha, und lässt sich in die Hollywoodschaukel plumpsen, während Kai den Deckel vom Sandkasten öffnet. Spießig und stinknormal. Jana backt Sandkuchen, Micha wischt Jérome die Rotznase sauber, Kai tröstet, als der Kleine sich weh tut.

"Oh Mäuschen, hast du einen Schlauch gegen den Kopf bekommen?" - "Mama! Mama!" - "Ist nicht so schlimm." - "Na, steh auf, komm steh auf, ist nichts passiert, ist alles gut."

Komplizierter Weg zum Paar mit Kindern
Jérome beruhigt sich, spielt weiter mit dem Gartenschlauch, Jana buddelt immer noch. Zeit für Kai und Michael ein bisschen von früher zu erzählen und davon, wie alles anfing. Denn auch wenn ihr Leben heute sich kaum von dem anderer Paare mit Kindern unterscheidet, der Weg dahin war wesentlich komplizierter.

Micha: "Wir haben auch ein befreundetes Frauenpaar, die inzwischen kein Paar mehr sind, mit denen hatten wir ernsthaft überlegt, ob man sich nicht zusammentut. Es ist allerdings irgendwie dann aufgegeben worden, weil im Grunde war unser Ziel jetzt nicht, ein Kind in die Welt zu setzen und dann aufwachsen sehen, irgendwo anders. Sondern wir wollten ein Kind bei uns aufwachsen sehen."

Als Nächstes, so erzählen Kai und Micha, haben sie lange über Adoption nachgedacht. Im Inland haben homosexuelle Paare zwar neuerdings mehr Rechte, aber kaum realistische Chancen, tatsächlich ein Kind zu bekommen. Bleiben Auslandsadoptionen oder die Suche nach einer Leihmutter im Ausland - beide Varianten waren für Kai und Micha unbezahlbar.

Micha: "Kai kam immer mal wieder mit dem Thema Pflegekind um die Ecke, was bei mir so ein bisschen Unsicherheiten ausgelöst hatte und eher Ablehnung zu Beginn. Und je mehr ich mich mit beschäftigt habe, desto offener haben wir dem gegenübergestanden, zumal wir auch gesehen haben, dass Adoption nahezu unmöglich ist, also sehr, sehr, sehr schwer."

Irgendwann hatte Micha sich dann an den Gedanken gewöhnt. Die neugeborene Jana zieht als Pflegekind ein, ihre leibliche Mutter ist nicht in der Lage, sich um ihr Baby zu kümmern. Drei Jahre später kommt der acht Monate alte Jérome. Damit auch andere homosexuelle Männer und Frauen ein solches Leben mit Kindern haben können, engagieren sich Michael und Kai immer wieder politisch und treffen sich mit anderen Paaren im Regenbogenfamilienzentrum. Auch zwei Tage später, am Sonntag, sind sie nachmittags zum Familiencafé dort.

Beratung im Zentrum für Regenbogenfamilien
Die Stimmung in dem großen Raum des Regenbogenfamilienzentrums ist fröhlich und entspannt. Durch die hohen Fenster fällt viel Licht, ab und zu blicken Passanten neugierig auf die etwa 20 Menschen in dem Raum. Alle haben ihre Kinder dabei, die am großen Esstisch sitzen und malen, auf der Krabbeldecke neben dem orangefarbenen Sofa vor sich hin brabbeln oder einfach miteinander spielen. Constanze Körner schnappt sich ein Stück Kuchen vom Buffet. Sie ist Leiterin des Regenbogenfamilienzentrums, das die neuen Räume erst im März bezogen hat und in dieser Form einmalig ist in Deutschland.

Constanze Körner: "Irgendwann waren das so viele Anfragen, dass ich gesagt habe, ich muss das bündeln. Und die Leute sollen sich auch kennenlernen, also viele Fragen gehen auch dahin: Wo lerne ich einen schwulen Mann kennen, der mit mir eine Familie gründen würde oder anders rum. Und die Internetportale und Anzeigenmöglichkeiten in schwul-lesbischen Magazinen, sind jetzt nicht jedermanns Sache und jederfraus Sache. Und dieses Treffen dient halt als Forum, um sich sowohl kennenzulernen, aber auch zum Informationsaustausch."

Constanze Körner kann die Hilfesuchenden besonders gut verstehen, lebt selbst in einer Regenbogenfamilie. Auch sie braucht das Gespräch mit den anderen:

"Wir haben als Regenbogenfamilien keine Vorbilder, wir können das nirgendwo nachlesen, wir sind als Regenbogenfamilien die erste Generation, die das erlebt und irgendwie neue Modelle schafft und ja das ist was ganz Spannendes, aber wo man eben wahnsinnig viel reflektieren muss."

Constanze Körner gehört zu dieser ersten Generation und erlebt den rasanten gesellschaftlichen Wandel hautnah mit. "Die Zahl unserer Beratungsgespräche", so erzählt sie "verdoppelt sich jedes Jahr". Der Grund liegt für sie auf der Hand: Durch die veränderten Gesetze der letzten Jahre gleicht sich vieles für Homosexuelle an. Vieles, aber nicht alles.
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