Alleinerziehende Väter

"Sieh zu, wie du klarkommst!"

29:03 Minuten
Ein Vater mit Kind in der Innenstadt von Görlitz.
Alleinerziehende Väter sind noch immer die Ausnahme und sehen sich deswegen bisweilen mit Misstrauen und Vorurteilen konfrontiert. © imago images / photothek
Von Tini von Poser · 09.08.2021
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Laut statistischem Bundesamt sind zehn Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland Väter. Sie sind genauso kompetent wie Mütter. Und manchmal sind sie auch ebenso überfordert. Doch sie werden in der Gesellschaft kritischer betrachtet.
Ausladende Rasenflächen säumen den Innenhof eines Wohnkomplexes in Berlin-Lichtenberg. Nachbarn treffen sich hier zwischen den Altbauten auf einen Schwatz. An einer Tischtennisplatte liefert sich Marcus mit seinem siebenjährigen Sohn Julius mehr kurze als lange Ballwechsel.
Marcus, ein hochgewachsener 44-Jähriger mit dunklen kurzen Haaren und Vollbart, wird zum Schutz seiner Kinder hier nur bei seinem Vornamen genannt. Seit 2017 ist er alleinerziehend. Seine Söhne sind sieben und fünfzehn Jahre alt. Während der Kleine noch im Hof spielt und der Große unterwegs ist, erzählt der in Berlin-Marzahn geborene Jurist seine Geschichte.
"Die Kindesmutter ist psychisch erkrankt. Man hat versucht, das mit einzubinden. Aber das hat sich dann irgendwann derart seinen Weg gebahnt, dass ich auch gemerkt habe: Ich kann gar nicht für die Kinder da sein. Ich kümmere mich sehr viel um die Frau."

2017 hat Marcus entschieden, sich zu trennen. "Und nach der Trennung war dann eigentlich relativ schnell klar, dass die Kinder keinen normalen Umgang haben werden. Es war dann immer auf Zuruf oder alle drei Wochen. Und dann aber auch gar nicht mehr. Nach relativ kurzer Zeit hat sie selber gesagt, es ist ihr zu viel – und das habe ich auch akzeptiert und gesagt: Fang dich erst einmal, kümmere dich um dich. Die Kinder sind da. Nicht vorenthalten, gar nichts. Das hat aber alles leider nicht funktioniert."

Alleinerziehende Väter noch immer die Ausnahme

Es ist nicht alltäglich, dass Väter allein erziehen, auch nicht in Berlin, der Hochburg der Alleinerziehenden, wo Marcus lebt. Laut Statistischem Bundesamt sind unter den rund zweieinhalb Millionen Alleinerziehenden in Deutschland nur etwa zehn Prozent Väter. Dass er alleinerziehend ist, wurde ihm ein halbes Jahr nach der Trennung so richtig bewusst, erinnert sich Marcus. An jenem Wochenende waren die Kinder das letzte Mal bei ihrer Mutter.
"Das war ein sehr schwieriges Wochenende, weil Julius dann auf einmal sehr nach Papa auch geweint hat, und dann hat sie Sonntag mir die Kinder gebracht – und dann haben wir noch telefoniert. Und dann hat sie zu mir gesagt, die Kinder nehme ich auch nicht mehr. Sieh zu, wie du klarkommst! Der Satz ist mir immer bis heute noch im Gedächtnis. Und das war es dann. Da gab es kein aktives Einfordern mehr."

Immer weniger Kontakt zur Mutter

"Hallo!" – Marcus großer Sohn steckt kurz den Kopf durch die Tür zum Wohnzimmer. – "Gehst Du jetzt zum Judo?" – Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Mutter auf die Kinder seien gravierend gewesen, fährt Marcus fort.
"Im Raum steht eine Persönlichkeitsstörung, und es hat sich so geäußert, verbale Aggressivität, aber auch gegenüber Gegenständen: ausflippen, aus dem Nichts heraus, auch sich kaum mehr einkriegen. Wir hatten einen Polizeieinsatz, da hat auch Adrian mal die Polizei gerufen. Adrian hat das komplette Programm mitbekommen, und er konnte sich auch relativ schnell dann abgrenzen. Er hat dann auch den Kontakt tatsächlich nicht mehr gewollt."
Später wurde festgestellt, dass die Mutter während der zweiten Schwangerschaft Alkohol konsumiert hat. Der kleine Sohn leide unter dem fetalen Alkoholsyndrom und brauche speziellen Förderbedarf: "Bei ihm merkt man unwahrscheinlich, der kann sich nichts merken. Das, was bei anderen Kindern, die sind mal schusselig, aber wenn Kinder das dritte Mal einen Pullover vergessen haben: Okay, ich muss noch einmal darauf achten. Bei Julius kann das durchaus zehnmal dauern. Er ist immer so ungefähr zwei Jahre hinterher, holt dann wieder auf, braucht so ein bisschen."
Julius kommt vom Spielen zurück. Sein Vater hat ihm beigebracht: Wenn die Kirchenglocke läutet, ist es sechs Uhr und Zeit, nach Hause zu kommen. Marcus widmet sich erst einmal dem Abendessen: Nudeln mit Würstchen und Tomatensoße. Währenddessen erzählt er weiter: "Dann kam der traurige Höhepunkt. Im Januar 2019 hat man die Mama tot in der Wohnung gefunden. Und seitdem ist das Programm komplett alleinerziehend. Da ist nicht mal mehr die theoretische Möglichkeit, dass die Mutter noch mitmacht."

Nicht eingestehen, dass man allein ist

Auch Elmar, Vater der zwölfjährigen Paloma ist alleinerziehend. Die Mutter von Paloma habe sich immer mehr aus der Erziehung herausgezogen, sagt Elmar. Der gebürtige Argentinier wünscht sich, dass er und seine Tochter in der Öffentlichkeit unter anderen Namen auftauchen. Seit acht Jahren lebt der 44-Jährige in Berlin-Kreuzberg. Er ist Musiker und spielt hier die Guitarlele. Palomas Eltern haben sich getrennt, als das Mädchen noch ein Kleinkind war. Lange habe sich Elmar nicht eingestehen wollen, dass er praktisch alleinerziehend ist.
Elmar spricht gut Deutsch, aber im Spanischen fühlt er sich sicherer: "Am Anfang war ich so verzweifelt auf der Suche nach dem Beistand von Palomas Mutter, dass ich nicht klar gesehen habe, dass ich es allein machen musste. Irgendwann hatte ich eine Freundin, die mir half und mir vor Augen führte: Du bist allein. Diese Erkenntnis hat gedauert, sehr lange gedauert."
Ein Kind großzuziehen, bedeute doch mehr, als es zu lieben, sagt Elmar nachdenklich. Es sei auch Arbeit. Man müsse sich kümmern, um Schule, um Kleidung und dergleichen.
"Was das betrifft, war sie nicht da. So richtig begann das vor drei oder vier Jahren. Sie hat nur noch Nachrichten per Telefon geschickt." Inzwischen hat Palomas Mutter Deutschland verlassen. "Als Corona begann, hat Schweden ihr ein Visum gegeben. Es war immer ihr Wunsch, in Schweden zu leben. Doch selbst als sie noch in Berlin war, habe ich nie gespürt, dass sie da war." Trotzdem bezeichnet sich Elmar selbst ungern als alleinerziehend.

Offizielle Statistiken sind nicht immer aussagekräftig

"Es gibt so eine ausgeprägte Bescheidenheit bei vielen Vätern, ob die jetzt allein erziehen oder nicht", beobachtet Eberhard Schäfer vom Väterzentrum im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg: "Wo ich finde, dass Selbsteinschätzung und Realität enorm weit auseinanderklaffen. Ich bin so unglaublich wichtig im Leben meiner Kinder und die Mutter nicht – das höre ich eigentlich so gut wie nie."
Schäfer berät vor allem Väter in Trennungssituationen, in rechtlichen, in organisatorischen und allen anderen Fragen, die rund um die Vaterschaft anfallen. Auch dient das Zentrum als Ort, wo sich Väter austauschen können.
Die Väter, die Vollzeit allein erziehen, kämen aber nur sporadisch zu ihm, erzählt er. Das Argument sei meistens: keine Zeit. Der Anteil der Väter an Alleinerziehenden in Deutschland schwankt je nach Quelle zwischen acht und 13 Prozent. Die offiziellen Statistiken seien aber mit Vorsicht zu genießen, gibt Schäfer zu bedenken.
"Weil der Status alleinerziehend ergibt sich aus einer Meldeadresse. Zum Beispiel kann es einen anderen Elternteil geben, der auch sorgeberechtigt ist. Das interessiert die Statistik nicht. Deswegen können wir aus der Statistik nicht ersehen, wie viel Erziehung übernimmt der andere Elternteil im Alltag."

Trennung kurz nach der Hochzeit

Johannes bittet mal wieder einen seiner Freunde um Hilfe. Er soll bei seinem Sohn bleiben. Als freier Journalist alleinerziehend zu sein, sei oft alles andere als einfach, erzählt der 61-Jährige. Johannes, der in Prenzlauer Berg wohnt, möchte wie Marcus zum Schutz seines Kindes hier auch nur bei seinem Vornamen genannt werden.
Nach der Trennung des Paares hat die Familie einige Jahre das Wechselmodell gelebt. "Und dann hat mein Sohn irgendwann gesagt, da war er so elf Jahre, er möchte jetzt ganz zu mir ziehen. Dann habe ich ihm gesagt, es war im Januar, vor vier Jahren ungefähr, das geht leider nicht, weil wir ein geteiltes Sorgerecht haben. Dann hat er das ganz schnell geklärt, und seitdem wohnt er durchgängig bei mir."
Warum sich der heute 15-Jährige von seiner Mutter abgewandt habe und nur noch bei ihm leben wollte, sei ihm ein Rätsel. Vielleicht habe er von seinem Groll auf seine Ex-Frau etwas mitbekommen, vermutet Johannes. Nachdem der Sohn sieben Jahre alt war, hatten sie geheiratet. Acht Wochen nach der Hochzeit habe sie ihn sitzen lassen.
"Für mich war es so, dass ich das überhaupt nicht hab kommen sehen bei allen Schwierigkeiten in der Beziehung. Aber man denkt, man heiratet doch nicht, um ganz kurz danach zu sagen: Nein, jetzt habe ich jemand anderes getroffen. Und da war das für mich immer im Vergleich, wie wenn man sich fertig macht für den Hundertmeterlauf, und nach 30 Metern, wenn man sich nur auf die Strecke konzentriert, zieht einem jemand die Beine von hinten weg. Alles hat man auf dem Schirm, nur das nicht. So war das sehr, sehr schwierig."
In den Jahren als Alleinerziehender sei er nicht gerade jünger geworden, sagt Johannes mit einem ironischen Lächeln. "Denn die schulischen Leistungen waren so, dass er seit der Trennung, und zeitgleich war ein Wohnungswechsel, kaum noch bei der Schule dabei war. Er hat die Schule als Arbeitsplatz nie anerkannt, gleichwohl jede Menge Blödsinn gemacht. Ich kenne die Polizeistation Pankstraße ganz gut. Es war zwar alles nichts so wirklich Übles. Aber es war klar, dass er revoltierte, wo er konnte. Nicht bei mir. Aber so da draußen schon. Auch die Verweise von der Schule, das war eine Menge."

Zwischen Vollzeitjob und Kinderbetreuung

Johannes musste sich als Alleinerziehender an die neue Situation anpassen. Seine Arbeit als Redakteur in Köln hat er erst reduziert und dann ganz aufgegeben. Doch die Zahl seiner Arbeitsstunden in Berlin blieb weiterhin hoch. Oft arbeite er noch, wenn sein Sohn zu Bett geht.
Im Gegensatz zu den meisten alleinerziehenden Müttern hätten alleinerziehende Väter oft den Anspruch, möglichst Vollzeit zu arbeiten, hat Eberhard Schäfer vom Väterzentrum festgestellt. "Deshalb kommen auch diese ganzen Zeitprobleme dann. Die haben 40-Stunden-Wochen oder mehr und betreuen ihre Kinder und organisieren ganz viel. Die haben zwar viele Sorgen, aber nicht unbedingt finanzielle Sorgen."
Auch Marcus arbeitet weiterhin fast 40 Stunden pro Woche. Doch ansonsten musste er sich radikal umstellen. Bevor er alleinerziehend war, hat er als Anwalt gearbeitet. "Ich habe dann gesagt, mit dem Beruf funktioniert das nicht mehr. Man geht auf die Arbeit und versucht, in sechs Stunden das zu machen, was andere in zehn Stunden machen. Das passt nicht mehr. Jetzt arbeite ich im öffentlichen Dienst, im Jugendamt in der Unterhaltsforschungsstelle."
Marcus senkt den Blick. "Es ist schon etwas anderes, wenn man auch das Jugendamt selbst um Hilfe bittet, in dem man auch arbeitet. Das ist schon eine schwierige Situation. Ich habe ja auch für die Jungs Unterhaltsvorschuss selber beantragen müssen. Das ist dann zwar abgegeben worden an ein anderes Jugendamt. Das sind natürlich schon Sachen, wo man sagt, da wollte man ja nie hin: meine eigene Akte werden. Interessant ist der Perspektivwechsel dann schon, wenn man nicht mehr Anwalt ist – sondern man ist Vater und selbst Betroffener."

Auf die Hilfe von Verwandten angewiesen

Unterstützung im Alltag hat Marcus bisher kaum. Seine Mutter kümmert sich einmal pro Woche für einige Stunden um die Kinder. Darüber hinaus sei sie nicht sehr belastbar, sagt er. "Donnerstag ist immer im Amt langer Tag, bis 19 Uhr. Und da übernimmt meine Mutter, das ist immer der Omatag, da freut sich der Kleine auch. Da hat er auch seine Therapie, und sie bringt ihn dahin und holt ihn ab."
Die Schwiegereltern einzuspannen, komme nur selten in Frage. Das Verhältnis sei seit dem Tod seiner Ex-Frau sehr angespannt.
"Sie geben mir die Verantwortung dafür, dass ihre Tochter sich das Leben genommen hat, was ja zu vermuten ist. Hundertprozentig festgestellt ist das auch leider nicht, ob es jetzt ein Unfall war aufgrund von Tablettenmissbrauch in Verbindung mit Alkohol – oder beabsichtigt. Ich hab immer gesagt, es ist ein Suizid auf Raten. Das Ergebnis bleibt ja dasselbe. Ein Mensch ist gegangen."
Marcus seufzt. "Da muss man sich auch ein bisschen abgrenzen, auch wenn es nicht immer einfach ist. Wer möchte schon für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich gemacht werden."

Vorurteile gegenüber alleinerziehenden Vätern

Aus allen Ecken strömten ihm Vorurteile entgegen, dass er als Mann seine Kinder allein erzieht, wenn auch ganz subtil. "Ich habe es in der Kita gemerkt bei Julius. Da ging er noch zur Kita, wo dann auch klar war, dass die Trennung vollzogen ist, das auch das erste Mal klar war, dass ich gesagt habe, wenn die Mutter hier erscheint, dann sagt mir Bescheid. Und dann gab es tatsächlich einige Mütter, die gucken einen an, als wenn man eine ansteckende Krankheit hätte. So ganz vorsichtig, so ganz merkwürdig. Das sind so die ersten unausgesprochenen Vorurteile, die man so bekommen hat. Es ist genauso hier im Hof. Mittlerweile hat man sich an uns gewöhnt. Wir sind hier etabliert als die drei Männer. Aber am Anfang war das auch schon so, dass man halt so über Blicke gesehen hat."
Auch bei seiner Arbeit spürt er Vorbehalte: "Es ist ganz merkwürdig. Ich werde anders behandelt als die anderen Alleinerziehenden bei uns auf der Arbeit. Da ist viel mehr Verständnis, wenn da die Kinder krank sind: Die arme Frau, die von ihrem Mann verlassen wird, das Schwein. …als beim Mann, der vielleicht doch was dafür kann, dass die Frau gegangen ist, vielleicht doch eine Schuld hat, dass er allein ist. Zumindest ist das ein Gefühl."

Weniger Akzeptanz für alleinerziehende Väter

In Berlin sei ja nichts außergewöhnlich, sagt der Musiker Elmar. Er erlebe die Stadt als sehr tolerant und werde kaum mit Vorurteilen konfrontiert. Ganz anders in seinem Heimatland Argentinien:
"In Buenos Aires, wo ich aufgewachsen bin, würden dir die Männer sagen: was für eine Schwuchtel, wo ist die Frau. Und wenn sie es nicht aussprechen, dann fühlt man es zumindest, zum Beispiel, wenn ich etwas zum Anziehen für meine Tochter suche oder ihre Haare kämme. Es ist eine totale Macho-Gesellschaft, ein ethisches Problem seit Jahren."
Was unterscheidet die Situation alleinerziehender Väter von der der Mütter? Was machen Väter anders? Wie sehen sie sich selbst? Wie werden sie gesehen? – Die Fragen sind aus wissenschaftlicher Perspektive schwer zu beantworten.
Wenige Untersuchungen über alleinerziehende Väter
Es gibt wenige Untersuchungen dazu. Wassilios Fthenakis forscht seit Langem über Familien in Deutschland und ist Sachverständiger des Bundesverfassungsgerichts in Fragen des Kindschafts- und Sorgerechts nach Trennung und Scheidung. Fthenakis stammt aus Griechenland. Die Vorurteile gegen alleinerziehende Männer auf die er in Deutschland trifft, empören ihn.
"Denn seit 50 Jahren wissen wir, dass Männer und Frauen in gleicher Weise kompetent sind, auch Kleinstkinder zu erziehen, zu begleiten und ihre Entwicklung zu stärken. Das Einzige, was sie unterscheidet, ist nur die Geburt des Kindes und das Stillen."

Wenig Unterstützung für Alleinerziehende in Deutschland

Andere Gesellschaften in Europa seien gegenüber alleinerziehenden Vätern viel aufgeschlossener, meint der Wissenschaftler.
"Schweden ist zum Beispiel ein Land, das die Gleichberechtigung der Geschlechter eingeführt und darauf die Politik aufgebaut hat. Es ist Frankreich viel besser als wir, und es sind auch die südlichen Länder, obwohl sie christlich oder katholisch oder orthodox sehr stark beeinflusst sind, die dennoch diese Toleranz und diese Bereitschaft, aufgeschlossen diesem Familienmodell gegenüberzustehen, aufbringen. Die alleinerziehenden Väter sind in der Gesellschaft so akzeptiert wie die Mütter."
In seinem Heimatland Griechenland werden Alleinerziehende sozial viel besser aufgefangen, sagt er. "Es ist gewiss anders, weil die Familie einen anderen gesellschaftlichen Stellenwert hat, weil das familiäre System anders funktioniert. Es ist viel enger, viel emotionaler und viel unterstützender als in der Bundesrepublik."
Auch finanziell stehen in Deutschland Alleinerziehende – ganz gleich, ob Mann oder Frau – im Vergleich zu gemeinsam erziehenden Eltern sehr schlecht da, so der Familienforscher.
"Es ist nachgewiesen, dass die Armut in der Bundesrepublik zwei große Gruppen hat: die kinderreichen Familien und die Alleinerziehenden. Die Politik sollte alles dafür einsetzen, dass die Armut bei diesen Familienformen beseitigt wird. In einem wohlhabenden Land ist es nicht zu vertreten, dass so viele Kinder unter Armutsverhältnissen aufwachsen."

Viel Arbeit, wenig Geld

Marcus leistet sich bisher keinen Babysitter. Noch habe er Berührungsängste, sich jemand Fremdes ins Haus zu holen. Doch es läge auch an seiner finanziellen Situation. Und das, obwohl er Vollzeit arbeitet. "Das Geld kommt zwar pünktlich am 30., aber im öffentlichen Dienst ist es schon so, man wird nicht reich dort."
Oft werde er gefragt, wie er das alles allein schaffe. – Eine Frage, die er sich selbst aber nie stellt, sagt Marcus. Er reibt seine Hände auf den Knien, so als wollte er mit dieser Geste seine Worte untermauern.
"Das ist ein bisschen mein Leitmotiv: Aufgeben ist keine Option. Es gibt genug Tage, wo ich fix und fertig bin, wo ich mich ins Bett lege, und froh bin, dass ich da liege. Es gibt auch Tage, wo ich mich in die Ecke setzen könnte und heulen und da bleiben könnte. Aber ich weiß ja, ich muss trotzdem aufstehen. Da hilft mir auch die Routine. Das Gute ist, ich muss aufstehen, Julius fertig machen, der muss ja zur Schule, Essen machen, seine Mappe noch einmal kontrollieren, ob alles da ist."
Marcus Blick fällt auf sein Sportrad, das an der Wand lehnt. Spätestens bei seinen Fahrten zur Arbeit werde er wieder wach, sagt er mit einem gefassten Lächeln. Doch manchmal stoße er schon an seine Grenzen, auch weil er eine Mama einfach nicht ersetzen könnte.
"Vielleicht werden jetzt ganz viele aufschreien von wegen Gleichberechtigung, und sagen, diese Geschlechterrolle. Aber ich finde schon, der Papa ist halt jemand, der sagt: Jetzt hab dich nicht so, Indianer kennt keinen Schmerz, so nach dem Motto. So oft habe ich mich dabei erwischt, dass Julius mit dem Fahrrad hingefallen ist: Na, alles in Ordnung und zack und weiter. Und dann abends habe ich mir die Frage gestellt: Hast du ihn eigentlich mal getröstet? Hast du ihn jetzt mal kurz in den Arm genommen und gesagt, du Armer. Ach nein. Dann kriegt man immer ein schlechtes Gewissen."

Aufgeben gibt es nicht

Auch Elmar und Johannes kennen diese Momente, in denen sie als Väter an ihre Grenzen stoßen: "Vor allem, wenn ich zum Beispiel meine Tochter gekämmt habe. Meine Tochter hat sehr schöne Locken, aber es ist ein sehr kompliziertes Haar, so afromäßig. Wenn man diese Haare nicht alle zwei Tage behandelt, verknoten die sich total. Das waren echte Krisenmomente, in denen sie weinte, und ich nicht wusste, was ich machen sollte. Am Anfang habe ich noch die Hilfe der Mutter vermisst. Doch dann habe ich es ganz gut gelernt. Es wurde zu einem Ritual, das eine Stunde dauerte. Ich stellte ihr einen Zeichentrickfilm an und habe mich schlau gemacht, dass es ja Öle gibt, die helfen. Aber es war eine echte Herausforderung", sagt Elmar.
"Ich habe ihm sicher nicht das gegeben, was ihm eine Mutter geben könnte. Wie könnte ich das?", wirft Johannes ein. "Er hat eine Mutter, die ihm alles Mögliche gibt oder geben will, und wenn das nur beim Essen ist. Aber mein Essen, egal, wie ich mich bemüht habe, war oft nicht das richtige. Heute ist so, dass er meistens kocht. Wenn er bei ihr war, hat er ihr die Haare vom Kopf gegessen, in diesen Wochen, wo es noch das Wechselmodell gab. Und ich hab dann gesagt, was kochst du? – Ja das und das. – Dann habe ich das so gemacht. Und dann: Nein, ging das nicht. Sind ja auch psychologische Sachen dabei, denn so schlecht habe ich nicht gekocht."

Mit der Trauer der Kinder umgehen

Über den Tod der Mutter oder die Gewaltausbrüche vor ihrem Tod spreche er nicht mit seinen Söhnen, sagt Marcus. Es sei denn, das Thema komme zufällig von selbst auf.
"Ganz am Anfang war es oft auch, sobald wir im Tierpark waren oder im Naturkundemuseum, Dinosaurier gucken, wenn viele Familien da waren, Mutter, Vater, Kind, dass sich die Stimmung dann änderte. Er wurde dann oft wütend oder maulig und hat mich angenölt und manchmal auch getreten. Das ist die kleine Besonderheit bei ihm auch, dass die Aggression sich auch den Weg sucht. Dann habe ich ihn noch einmal beiseite genommen und gefragt: Bist du jetzt traurig, weil wir nicht mit Deiner Mama hier sind? Dann fing er an zu weinen. Und da gab es so eine Situation, da saßen wir beide auf der Bank im Tierpark und haben geheult."
Es sei eine doppelte Herausforderung für die Väter, so Familienforscher Wassilios Fthenakis: den Alltag meistern und den Schmerz der Kinder auffangen, mit dem Verlust oder der Abwesenheit der Mutter klarzukommen.
"Dann hilft es, dass der Vater eine positive symbolische Präsenz der Mutter pflegt, mit Erinnerungen. Man spricht über sie sehr oft und spricht auch positiv über sie. Die Kinder von verstorbenen Eltern haben nicht die großen Probleme, wie die Kinder von geschiedenen und konfliktreichen Familien."
Wie Marcus und Johannes, hat sich auch Elmar einen Kinderpsychologen für seine Tochter gesucht. "Ein Kind fühlt sich schuldig, wenn der andere fehlt. Die Therapie hat meiner Tochter geholfen, sie darin zu bestärken, dass es nicht an ihr liegt. Trotzdem bleibt der Schmerz. Das war für mich immer schwierig mit meiner Tochter. Ich habe sie immer umarmt, unterstützt, ihr meine Schulter gegeben. Ich bin aber keine sehr kommunikative Person. Ich habe einfach versucht, in diesen Momenten da zu sein. Manchmal kommt eine Wut, aber ich bin da, und wir versuchen, zusammen vorwärts zu gehen, aber wir sprechen nicht viel darüber."

Neue Beziehungen zu knüpfen, ist schwer

Mit neuen Partnerinnen tun sie sich in ihrer Situation schwer, sagen Elmar, Johannes und Marcus. Elmar hatte am Anfang einige Freundinnen, die ausgehen und Party machen wollten. Das habe überhaupt nicht funktioniert, erinnert er sich. Jetzt habe er eine Freundin, die in der gleichen Situation sei wie er. Aber so richtig rund laufe es auch nicht, meint Elmar:
"Das bedeutet, sie holt ihre Tochter ab, ich hole meine. Wenn ich frei habe, hat sie nicht frei, und umgekehrt. Wir halten uns das nicht vor. Aber letztendlich sehen wir uns nicht viel, das ist die Realität."
Johannes erzählt: "Es gab so ansatzweise Beziehungen, die haben aber noch sehr unter ihm gelitten. Nicht dass der da vollkommen reingegrätscht ist. Die sagten manchmal von außen so: Ihr seid so eine Einheit, da kommt man gar nicht rein. Ich meine, mich an diesen Satz sogar mehrfach erinnern zu können. Aber das war klar, da drängt er sich ins Bett, er machte Sachen, die klar zeigten, das ist my Home. Deswegen war das auch nicht so attraktiv, dass da jemand anderes dazukommt."
Inzwischen sei sein Sohn etwas ruhiger und reifer geworden, was ihn optimistisch stimmt für die Zukunft.

Zeit ist knapp, knapper, am knappsten

Marcus ist mit seinen Söhnen auf eine Vater-Kind-Kur gefahren. Er muss lachen, weil es ja meistens noch Mutter-Kind-Kur genannt wird. Nur drei Väter waren da. Dort hat eine Frau kennengelernt, mit der sich eine Liebesbeziehung anbahnte.
"Aber das hat sich auch relativ schnell als schwierig dargestellt, weil: Erst einmal war eine große Entfernung dazwischen. 643 Kilometer, um es genau zu sagen." – Damals haben sich noch die Schwiegereltern mal bereiterklärt, ein Wochenende auf die Jungs aufzupassen. –"Doch dann hat Adrian ihnen erzählt, dass ich bei einer neuen Partnerin wäre und dann haben sie zugemacht – und haben gesagt: Nur dafür nehmen wir die Kinder nicht."
Das war die erste Hürde, die zweite war: "Eine neue Frau möchte ja auch Zeit haben. Sie möchte ja auch, dass man ihr die Zeit zuwendet. Die ist hier knapp, knapper, am knappsten. Da bin ich Freitag mal hingeflogen und dann gnadenlos eingepennt. Das ist ja dann auch nicht, was man erwartet oder sich wünscht."
Die Beziehung habe sich relativ schnell zerschlagen. Es sei gerade nicht sein größtes Ziel, sich eine neue Frau zu suchen, sagt Marcus.
"Wenn man mich fragen würde, was wünscht du dir so für die Zukunft. Da muss ich sagen, da ist es dunkel, weil: Das ist immer von Tag zu Tag. Klar habe ich Wünsche, ich würde ganz gerne Tokio sehen, ich würde gerne New York noch einmal angucken. Aber ansonsten ist viel im Fluss, da muss man gucken und viel abwarten, gerade was Julius angeht, aber auch Adrian, wie die Schule sich jetzt entwickelt. Das ist immer von Woche zu Woche."
Im Moment hat er nur einen Wunsch: "Dass aus meinen Jungs vernünftige Menschen werden. Das ist ein klar definierter Wunsch, dass ich irgendwann einmal sagen kann: Kinder sind raus und es ist im Endeffekt doch alles ganz gut gelaufen."
Und für sich selbst: "Es ist kein Ziel, sich hier zehn Katzen anzuschaffen und dann der schrullige Opa aus dem vierten Stock zu werden, gar keine Frage. Man wünscht sich auch manchmal, wenn man allein im Bett liegt, dass da jemand ist, der einen wirklich in den Arm nimmt und sagt: Alles wird gut. Mehr muss es gar nicht. Ich stehe manchmal in der Wäsche. Drei riesige Berge um mich herum. Jedes Wochenende ist Wäsche, wo man einfach schreien möchte. Wenn dann einfach mal jemand da wäre und sagen würde, alles wird gut, schaffst du!"

Es sprachen: die Autorin und Marian Funk
Ton: Ralf Perz
Regie: Friederike Wigger
Redaktion: Constanze Lehmann

Dieser Beitrag ist eine Wiederholung vom 21.12.2020.

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