Alkoholismus
Dass sie alkoholsüchtig ist, hat Melina lange geleugnet, vor sich und anderen. © Getty Images / iStockphoto / Olga Strelnikova
Wie zwei junge Frauen gegen die Sucht kämpfen
06:27 Minuten
Dry January, also trockener Januar, ist ein beliebter Vorsatz, um ein Jahr zu beginnen. Ab Februar trinken die meisten dann wieder. Wer aber alkoholabhängig ist, muss dauerhaft weg vom Alkohol. Zwei junge Frauen erzählen, wie es ihnen dabei ergeht.
Eine Suchtklinik in Ratingen im Westen Deutschlands. „Als ich die Diagnose bekommen habe, dass ich alkoholabhängig bin, habe ich im ersten Moment unfassbar angefangen, zu weinen, weil ich dachte: Nie wieder trinken. Das geht nicht“, erzählt Melina.
Sie sitzt auf der Terrasse ihres Zimmers und trinkt einen Kaffee. Vor ein paar Monaten wäre es trotz der frühen Stunde vielleicht Bier gewesen. Aber sie hat sich entschieden, auf Alkohol zu verzichten. Melina hat ein Alkoholproblem. Dabei entspricht sie so gar nicht den Klischees, die man über Alkoholiker im Kopf hat.
Die Sucht lange geleugnet
„Ich habe einen Beruf, ich habe eine Wohnung, ich habe einen Partner, ich habe eine tolle Familie“, sagt sie. „Ich habe trotzdem ein Problem. Das heißt nicht, dass man arbeitslos ist, dreckig ist, ein Messi ist. Das hört man ja ganz oft. Überhaupt nicht. Und ich würde auch behaupten, man sieht es mir auf der Straße nicht an.“
Es stimmt, Melina ist gepflegt gekleidet, hat wache Augen, keine rote Nase und sie ist jung. Gerade mal Ende 20. Dass sie alkoholsüchtig ist, hat sie lange geleugnet. Vor sich und anderen.
„Wenn zum Beispiel eine Freundin zwei so große Cocktailgläser getrunken hat, habe ich einmal fünf oder sechs getrunken und sie war alkoholisierter als ich. Die war dann auch so ein bisschen verwundert. Aber dann sagt man: Ja, ich habe fettig gegessen und da redet man sich irgendwie raus. Das ist tatsächlich gar nicht so schwierig“, erklärt sie.
Irgendwann fiel es dann trotzdem auf. Melina entscheidet, sich Hilfe zu suchen, bevor ihr Leben ein Scherbenhaufen ist. Es folgen die körperliche Entgiftung auf einer Entzugsstation und dann eine Entwöhnungstherapie. Vier Monate soll sie hier die Ursachen der Sucht aufarbeiten und sich an einen Alltag ohne Alkohol gewöhnen. Ein Teil des Programms: die Arbeitstherapie gemeinsam mit anderen Rehabilitanden.
Wodka wie Wasser getrunken
„Es bringt einen auf jeden Fall irgendwie erst einmal runter und man nutzt die Zeit so irgendwie für sich selber. Das habe ich ganz lange halt nicht gemacht und das tut richtig gut“, erzählt Yvonne.
Sie ist gerade dabei, ein Vogelhaus abzuschleifen, das sie selbst gebaut hat. Auch sie ist erst 30. Doch während Melina nur abends und nur Bier getrunken hat, war Yvonne irgendwann gar nicht mehr nüchtern.
„Bei mir war es zu den Topzeiten dann eine Flasche Wodka am Tag. Weil man ja dann auch irgendwie der Meinung ist, das riecht man nicht so doll wie Bier. Das geht schnell runter, das wirkt schon. Das war schon heftig, das war quasi wie mein Wasser“, sagt sie.
Melina und Yvonne heißen eigentlich anders. Sie wollen ihre echten Namen nicht im Radio hören, aber sie reden offen über ihre Sucht und sie haben sich früh Hilfe geholt. Das ist längst nicht immer der Fall. Regelmäßiges Trinken oder Kater nach einer Party gehören in vielen Kreisen dazu. Ein Grund, warum Alkoholismus oft unbehandelt bleibt.
Problematischer gesellschaftlicher Umgang
„Wenn jemand Heroin konsumiert, ein paarmal, dann wird man schon sehr schnell sagen: Oh, der hat aber ein Problem und muss Hilfe in Anspruch nehmen. Beim Alkohol ist es einfach anders, weil der gesellschaftliche Umgang einfach anders ist“, erklärt Markus Beyler.
Er ist der therapeutische Leiter der Suchtklinik Haus Siloah in Ratingen. Er spricht von den Grenzwerten für riskanten Alkoholkonsum, die viel niedriger liegen als viele denken. Zwei Gläser Bier oder Wein am Abend für Männer, sogar nur eins bei Frauen. Gleichzeitig ist Alkohol in Deutschland gesellschaftlich komplett akzeptiert, im internationalen Vergleich gelten wir als Hochkonsumland. Erklären muss sich hier nur, wer nicht trinkt.
Auch Melina hat früher andere zum Trinken überredet. „Ich habe mir gedacht: Macht doch viel mehr Spaß, wenn der jetzt auch trinkt. Ein Nein habe ich nicht akzeptiert. Ich könnte niemandem einen Vorwurf machen, wenn er es bei mir machen würde.“
Mit Ablenkung gegen den Suchtdruck
Ab sofort müssen Melina und Yvonne Nein sagen. Denn selbst kleine Mengen Alkohol könnten bei Ihnen schon zum Rückfall führen. Wenn der Suchtdruck zu groß wird, kann es helfen, den Körper abzulenken. Skills nennt man solche Methoden.
„Bei manchen hilft Sport enorm, Wechselduschen oder kalt duschen, Schmerzreize setzen. Man kann kleine Steinchen in Schuhe machen und damit laufen“, erklärt Melina.
Was hast sie schon ausprobiert und was hat bei ihr funktioniert? „Wenn der Suchtdruck nicht zu stark ist, aber ich merke, ich bin angespannt, hilft bei mir baden. Aber bei wirklich starkem Suchtdruck habe ich bisher geredet. Aber ich glaube, da muss ich noch anderes finden. Ich glaube nicht, dass das ausreichen wird.“
Tatsächlich wird Melina rückfällig – kurz nach der Entlassung aus der Suchtklinik. Doch sie fängt sich wieder. Yvonne hat ihre Entwöhnungstherapie erst vor Kurzem beendet. Der neue Alltag fällt ihr nicht leicht.
Eine WG mit anderen trockenen Alkoholikern
„Ich muss ehrlich sagen, dass ich erst mal in ein kleines Loch gefallen bin, weil natürlich die Struktur nicht mehr so da ist. Der Alltag ist der Endgegner. Man muss da wirklich für kämpfen, man muss sich den irgendwie schaffen“, erzählt sie.
Yvonne steht früh auf, macht jeden Tag Sport, will bald ein Studium anfangen. Und: Ab Februar wird sie in eine sogenannte Clean-WG ziehen, eine betreute Wohngemeinschaft gemeinsam mit anderen trockenen Alkoholikern.
„Ich habe mich entschieden, weil ich momentan, wenn ich ehrlich bin, noch nicht allein sein kann und mir selbst noch nicht so über den Weg traue. Ich habe mir den Kontrollriegel vorgesetzt, dass ich weiß, ich darf da nicht konsumieren. Ich mach es dann auch nicht. Und ich bin natürlich in Gesellschaft von Gleichgesinnten.“
Kein Alkohol mehr – für Melina und Yvonne ist das kein Januarvorsatz, sondern eine neue Lebensaufgabe. Eine, die sie unbedingt schaffen wollen.