Ali Smith: "Frühling"

Innere und äußere Mauern überwinden

06:25 Minuten
Das Buchcover "Frühling" von Ali Smith ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Der Roman "Frühling" der britischen Schriftstellerin Ali Smith ist politisch hoch aktuell und gleichzeitig eine fantasievolle Metapher. © Deutschlandradio / Luchterhand Verlag
Von Johannes Kaiser · 05.05.2021
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Zum Abschluss ihrer Jahreszeitentrilogie bleibt sich Ali Smith treu: Fantasievoll rechnet die Schriftstellerin mit den Ungerechtigkeiten der britischen Gesellschaft ab. Mit „Frühling“ hat sie eine Art Märchen erfunden, das auch Hoffnung signalisiert.
Ein zwölfjähriges Mädchen durchschreitet engelsgleich Gefängnistüren und betört Fremde, Dinge zu unternehmen, die eigentlich unvorstellbar sind. Die Angestellte einer Sicherheitsfirma, die Flüchtlingsunterkünfte bewacht, beschließt plötzlich, mit eben diesem Mädchen eine Reise quer durch England zu unternehmen. Ein Regisseur steigt spontan aus seinem Berufsleben aus. Drei Geschichten, die ineinander verflochten sind.
Ali Smith startet ihren Roman "Frühling" allerdings mit einer bitterbösen, fulminanten Auflistung all jener hässlichen Phrasen, mit denen derzeit Populisten und Rassisten vor Überfremdung, Emigranten, Volksfeinden warnen. Es ist eine rechtsradikale Suada, die einem den Atem stocken lässt, weil sie überall in Europa zu hören ist.

Hoch aktuell, dramatisch, moralisch

So bleibt sich Ali Smith auch im dritten Band ihrer Jahreszeitentetralogie treu. Wieder ist ihre Geschichte politisch hoch aktuell, dramatisch und moralisch aufgeladen. Doch gleichzeitig ist der Roman auch eine fantasievolle Metapher für den Frühling als Jahreszeit der Hoffnung.
Es ist die Zeit der – so Ali Smith – "Frühlingsnarreteien". Das Leben regt sich wieder. Die Natur feiert ihre Wiedergeburt. Es herrscht Aufbruchstimmung.
Genau dies signalisieren die drei Geschichten. Richard, ein zuletzt erfolgloser TV- und Filmregisseur steigt er aus seinem bisherigen Leben, seinem letzten Projekt aus, einem Film über die Schriftstellerin Katherine Mansfield und den Dichter Rainer Maria Rilke.
Seit seine langjährige Drehbuchautorin, gestorben ist, weiß er nicht mehr weiter. Er setzt sich in einen Zug und fährt gen Norden.

Spontane Reise in den Norden

Brittany Hall bewacht als Angestellte eines Sicherheitsdienstes ein hermetisch abgeriegeltes Abschiebezentrum. Wie im Gefängnis werden die Menschen dort festgehalten. Als Brittany zum Dienst erscheint, findet sie geradezu klinisch saubere Räume vor. Man erzählt ihr, dass ein junges Mädchen unkontrolliert ins Büro des Chefs spaziert und diesen zu der Reinigungsaktion veranlasst habe.
Als Brittany wenig später diesem Mädchen namens Florence begegnet, fährt sie ihr spontan hinterher – in den Norden. In einem kleinen Bahnhof treffen sie auf den Regisseur. Gemeinsam setzen sie die Reise fort. Florence weiß genau, wo es hingehen soll. Die anderen folgen ihr.

Wunderbar poetischer Frühlingsroman

Ali Smith liebt Dialoge und wörtliche Rede. Ab und zu schlüpft sie in die Rolle einer Beobachterin, die das Verhalten ihre Figuren kommentiert. Als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt erzählt sie, wie Florence wie eine gute Fee alle Beteiligten so verzaubert, dass sie ihre Wünsche erfüllen.
Doch das fröhliche Frühlingsmärchen endet für das Mädchen mit einem bitteren Beigeschmack, so wie "die scheußlichsten Tage des Jahres im April sein" können.
Ali Smith wunderbarer, poetischer Frühlingsroman steht für einen Neuanfang, einen Aufbruch, ein Erwachen, das allen politischen Widerständen trotzt. Sie will uns zeigen, wie Zuversicht und Wille in Gestalt des Mädchens innere wie äußere Mauern überwinden kann. Ein Buch, so vielfarbig und lebensfroh wie der Frühling, nach dem wir uns jedes Jahr aufs Neue sehnen.

Ali Smith: "Frühling"
Aus dem Englischen übersetzt von Silvia Morawetz
Luchterhand Verlag, München 2021
315 Seiten, 22 Euro

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