Fotosynthese auf Kleidung

Lebendige Mode

05:24 Minuten
Eine junge Frau mit Brille, steht vor einem grafischen Hintergrund und trägt eine weiße Jeansjacke, die mit einem grünen Fleckenmuster übersät ist.
Welche ökologische Rolle kann Mode spielen? Diese Frage stellt sich Dian-Jen (DJ) Lin, Nachhaltigkeitsexpertin vom Post Carbon Lab in London. © Post Carbon Lab
Von Matthias Finger · 26.03.2022
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Weniger Auto fahren, weniger heizen, weniger Fleisch essen – so können wir den CO2-Ausstoß im Kleinen verringern. Wie sich im Alltagsleben sogar Sauerstoff produzieren lässt, macht jetzt ein Modelabel vor: mit Fotosynthese betreibenden Algenjacken.
Ihr weißes Jeanshemd ist mit einem grünen Fleckenmuster übersät – scheinbar. Erst bei genauerem Hinsehen entpuppen die sich als überproportionale Darstellungen pflanzlicher Einzeller. Das passt: Nachhaltigkeitsexpertin DJ Lin vom Post Carbon Lab in London hat eine neue „Färbemethode“ entwickelt. Bei der sorgen lebende Einzeller auf Textilien für satte grüne Farbe und produzieren Sauerstoff.
„Zunächst werden zur Fotosynthese fähige Mikroorganismen in den Stoff geimpft. In einem Nährmedium wachsen die Mikroben dort über Wochen fest. Es entsteht ein lebendiger Stoff, den man anziehen und um den man sich kümmern kann. Während du an deinem Laptop arbeitest, betreibt dein T-Shirt Fotosynthese für dich.“

Bakterien aus britischen Gewässern

Die Arbeit leisten lokal vorkommende Algen und Cyanobakterien aus britischen Gewässern. Die tragbaren Kleinbiotope dürfen allerdings nicht in der Waschmaschine landen. Und sie benötigen ganz besondere Zuwendung durch ihre Besitzer.
„Die Mikroben brauchen Luftfeuchtigkeit – genauso wie Zimmerpflanzen – und dürfen nicht in dunklen Schränken aufbewahrt werden. Mit Algen beschichtete Textilien wollen Licht. Und wenn du duschst, ist die Luftfeuchtigkeit hoch im Bad. Algenklamotten können hier über Nacht aushängen. Am nächsten Tag kommen sie in ein helles Zimmer und können ihre Umwelt mit Sauerstoff versorgen.“

Algen als vorbildliche Kohlendioxidspeicher

Algen haben den Ruf, vorbildliche Kohlendioxidspeicher zu sein. Deshalb ist der tote, zur Fotosynthese unfähige Rohstoff in der Textilherstellung gerade angesagt – als vermeintlich umweltfreundliche Alternative. Allerdings steht Nachhaltigkeit bei großen Produzenten gar nicht an erster Stelle, erklärt Marco Schmitt von der RWTH Aachen.
„Der erste Grund ist, dass die Textilindustrie große Probleme damit hat, dass die meisten ihrer Produkte, nämlich über 70 Prozent, erdölbasiert produziert sind. Und man sucht nach Stoffen, die das teilweise ersetzen können.“
Und zwar auch, um vom Öl unabhängig zu werden. Zudem ist die Kapazitätsgrenze bei der Baumwollproduktion erreicht und Wachstum schwierig. Algen werden aber nicht einfach im Meer geerntet, wo sie, beispielsweise als Seetang, massenhaft vorkommen. Auch für Sauerstoff produzierende Textilien werden Einzeller „gefarmt“.

Züchtung in Bioraffinerien

„Die werden tatsächlich in Bioraffinerien gezüchtet, wo man auf sehr wenig Raum sehr viel Biomasse herstellen kann. Diese Bioraffinerien haben natürlich einen sehr hohen Energieverbrauch.“
Gefüttert werden die Mikroben von der Industrie oftmals auch nicht mit schädlichem Kohlendioxid aus der Luft, sondern mit CO2 aus Gasflaschen. Die Macher der atmenden Jacke begründen ihren Nachhaltigkeitsanspruch aber anders: Wer lebende Mode trägt, baut eine Beziehung zu ihr auf – wie zu Zimmerpflanzen und Haustieren. Diese persönliche Bindung bewahrt Kunden davor, immer wieder neue Textilien zu kaufen und somit die Umwelt zu schädigen.
„Wenn es sich in seiner Umgebung wohlfühlt, ist ein mit Algen beschichtetes Kleidungsstück grün. Wenn es ihm nicht gut geht, ändert es seine Farbe - zu orange, rot, gelb, weiß oder transparent – je nach Stimulus durch die Umwelt. Viele Menschen mögen den Farbwechsel. Die Textilindustrie nimmt das eher als Risiko wahr.“

Fotosynthetisch wirksame Bomberjacken

In Zusammenarbeit mit dem französischen Label Egonlab hat DJ Lin fotosynthetisch wirksame Bomberjacken und Trenchcoats entwickelt. Die sollen jeweils so viel Sauerstoff wie eine Eiche liefern. Durch den Trageprozess würde so das bei der Produktion freigesetzte Kohlendioxid Stück für Stück kompensiert. Allerdings ist die Idee noch nicht marktreif. Und Wissenschaftler, wie Algenexperte Johannes Kopton von der Uni Magdeburg, haben Zweifel.
„Am Ende muss man sich aber schon die Frage stellen, wo soll der Kohlenstoff dann hin? Also, wenn das CO2 aufgenommen wird, dann wird der Sauerstoff wieder ausgeatmet von der Pflanze, sozusagen, und dann gibt es am Ende Kohlenstoff. Das heißt, die Jacke mit der Alge drauf müsste immer schwerer werden. So richtig kann ich mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen.“
Die Algen auf ihren Textilien ernährten sich von den entstehenden Kohlenhydraten, entgegnet DJ Lin vom Post Carbon Lab. Ihre lebenden Klamotten fühlten sich auch nicht unangenehm schleimig an.
Vielmehr würden die Besitzer Verantwortung für die tragbaren Lebewesen übernehmen – und ihnen manchmal sogar Spitznamen verleihen.

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