Alfred Hess

Ein jüdischer Kunstmäzen aus Erfurt

08:42 Minuten
Das "Früchtestilleben" von Christian Rohlfs im Gästebuch von Alfred und Thekla Hess
Das Gästebuch erzählt von der großzügigen Gastfreundschaft in der Villa Hess: die Gouache "Früchtestilleben" von Christian Rohlfs vom November 1924. © picture alliance / akg-images
Von Ulrike Sebert · 15.12.2021
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Alfred Hess baute ab 1918 in Erfurt eine bedeutende Sammlung expressionistischer und moderner Kunst auf. In der Villa des jüdischen Schuhfabrikanten gingen bekannte Kunsthistoriker, Galeristen und Künstler dieser Zeit ein und aus.
„Die Hess-Sammlung war in der Zeit etwas vom Bedeutendsten, was es gab in Deutschland, als komplette Sammlung von deutschem Expressionismus“, erklärt Christina Feilchenfeldt. „Man pilgerte nach Erfurt, um die Expressionisten zu sehen, die in dieser Konzentriertheit zu dem Zeitpunkt in Deutschland oder irgendwo nicht zu sehen waren.“
Der jüdische Schuhfabrikant und Kunstmäzen, Alfred Hess, unterstützte ab 1918 in Erfurt den Aufbau einer expressionistischen Sammlung im Städtischen Museum und baute bis zu seinem Tod 1931 eine noch bedeutendere Privatsammlung der Moderne auf. Bekannte Kunsthistoriker, Galeristen und Künstler dieser Zeit gingen in der Villa Hess ein und aus, wohnten und arbeiteten dort.

Lebendige Oase im Erfurter Süden

Die Sammlung umfasste 70 Ölgemälde, 200 Aquarelle und Zeichnungen sowie 4000 grafische Blätter. Von Feininger, Klee und Lehmbruck das grafische Werk beinahe komplett. Von der lebendigen Oase im Erfurter Süden und der großzügigen Gastfreundschaft von Tekla und Alfred Hess erzählt das Gästebuch des Hauses.

Man pilgerte nach Erfurt, um die Expressionisten zu sehen.

Christina Feilchenfeldt, Kunsthistorikerin

Nach dem Tod von Alfred Hess 1931 sah sich die Familie einem hoch verschuldeten Unternehmen gegenüber, das infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 in Schwierigkeiten geraten war. Der gemeinsame Sohn Hans emigrierte bereits 1933 und ließ sich schließlich in England nieder, wo er Direktor des Leicester Museums wurde. Tekla Hess folgte ihm 1939.
Einen Großteil der Hessschen Kunstsammlung konnte sie bis 1937 im Kunsthaus Zürich aufbewahren lassen, erzählt Kunsthistorikerin Christina Feilchenfeldt.
„Thekla Hess wollte von Anfang an Werke aus der Sammlung verkaufen, um davon zu leben. Und hat dann 1937, bis auf 19 Arbeiten auf Papier, ihre Sammlung aus Zürich abgezogen und an den Kölnischen Kunstverein geschickt. 1943 wurde der Kölnische Kunstverein bombardiert und das ist eben das große Problem bei der ganzen Rekonstruktion der Sammlung Hess, weil vieles abhandengekommen ist.“

Unterscheidung zwischen Raubkunst und Fluchtkunst

Die Provenienzforscherin Christina Feilchenfeldt, die aus der Familie des jüdischen Kunsthändlers Walter Feilchenfeldt stammt, unterscheidet zwischen Raubkunst und Fluchtkunst. Wurde ein Kunstwerk seinem Besitzer in Deutschland von der NS-Regierung gestohlen beziehungsweise das Werk enteignet, müssen diese Werke in jedem Fall restituiert werden, wie sie sagt. Also rückerstattet werden. Anders verhalte es sich mit Kunstwerken, die ein Emigrant im Ausland veräußert hat.
Hier handele es sich um sogenannte Fluchtkunst, die anders zu bewerten sei. „Und dann kam es ja zur Restitution der ‚Straßenszene‘ von Kirchner aus dem Brücke-Museum in Berlin, gegen die ich mich ausgesprochen habe. Ich glaube, dass da gewisse Anwälte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Es geht viel ums Geld, das muss man ganz deutlich so sagen“, erklärt sie.
Die „Berliner Straßenszene“ gehörte ehemals zur Hess-Sammlung und hing ab 1980 im Brücke-Museum. 2006 wurde das Bild den Erben zurückgegeben und in New York für umgerechnet 30 Millionen Euro versteigert. Es befindet sich heute in der New Yorker Neuen Galerie.

Nur noch wenige Spuren der ehemals umfangreichen Sammlung

In den meisten Fällen einigen sich die Museen aber mit den Erben und erwerben die Bilder zurück. „Wir gehen mal in die Gemäldesammlung, da hängt hier das Bild von Emil Nolde, das wir 2018 zurückerwerben konnten. 1937 wurde es im Zuge der Aktion 'Entartete Kunst' beschlagnahmt“, erzählt Thomas von Taschitzki, Kurator der Skulpturen- und Gemäldesammlung Erfurt.
„Wir hatten das Glück, dass wir 2017, ein anderes Bild zurück erwerben konnten. Das Gemälde ‚Weiden II im Schanzengraben bei Weimar‘ von Christian Rohlfs. Dann gibt es noch eine Skulptur von Wilhelm Lehmbruck ‚Die Rückblickende‘, die konnte sogar schon in den 90er-Jahren zurückerworben werden.“
Das sind, neben 30 zurückgegebenen Blättern Druckgrafik, die wenigen noch vorhandenen Spuren der ehemals umfangreichen expressionistischen Sammlung des Erfurter Angermuseums. „Das sind Glücksfälle und es wäre schön, wenn sich das weiter so entwickeln könnte, dass man die Sammlung peu à peu wieder zurückholt. Aber es gibt natürlich einige dieser verschwundenen Gemälde, die in festen Händen sind“, sagt Thomas von Taschitzki.
„So befindet sich zum Beispiel das Kandinsky-Gemälde, das wir in den Zwanzigerjahren hatten, heute im Guggenheim-Museum, schon sehr lange. Das ist ein Gemälde, das nach der Beschlagnahmung schnell weiterverkauft wurde. Ähnliches gilt für das Feininger-Gemälde, was wir ganz besonders vermissen. Das zeigt nämlich die Erfurter Barfüßerkirche.“

Jährliche Schenkungen, regelmäßige Leihgaben

Alfred Hess bezahlte bis Mitte der Zwanzigerjahre alle Ankäufe des Museums, veranlasste jährlich eine Schenkung und es gingen regelmäßig Leihgaben seiner eigenen Sammlung ans Haus. Auch der Heckel-Raum im Erdgeschoß, von 1922 bis 1923 entstanden, wurde von ihm finanziert. Die Stadt Erfurt hatte sich offen dagegen positioniert, Mittel für Ankäufe derartiger Kunst zur Verfügung zu stellen. In der Presse war von der „Erfurter Schreckenskammer“ zu lesen.

Er ist als jüdisch-bolschewistischer Agent verunglimpft worden.

Kai-Uwe Schierz, Museumsdirektor

Kai-Uwe Schierz, Museumsdirektor im Angermuseum Erfurt: „Als jüdischer Schuhfabrikant ist er gleichzeitig heftigen Anfeindungen ausgesetzt gewesen, die dann seine Wendung hin zum modernen Kunstgeschmack betrafen. Er ist als jüdisch-bolschewistischer Agent verunglimpft worden in der Tagespresse. Für uns ist er eine sehr wichtige Person in der Geschichte des Museums. Er hat in gewisser Weise ein Vermächtnis eröffnet, nämlich das Vermächtnis des bürgerlichen Engagements für die modernen Künste hier im Museum.“
„Jetzt gehen wir zum Heckel-Raum. Das ist heute die größte expressionistische Wandmalerei, die es noch gibt. 1937, als hier auch Werke im großen Umfang beschlagnahmt wurden, hat die kommissarische Leiterin des Museums, Magdalena Rudolf, die sehr weise Entscheidung getroffen, den Raum zu schließen“, erzählt Thomas von Taschitzki.
„Davor stellte sie einen Erzengel Gabriel, eine Holzskulptur, die wie ein Wächter vor dem Eingang zum Heckel-Raum stand. Das hat funktioniert, der Raum wurde nicht mehr betreten und war so zum Glück bis 1945 unberührt.“

Kunst gesammelt, die heftig umstritten war

Auch, wenn das Museum in der Aktion „Entartete Kunst“ 1000 Werke verloren hat, will Museumsdirektor Schierz nicht nur zurückschauen. „Es kommt vielmehr darauf an: Setzt man das um, was damals die Museumsdirektoren gewagt haben? Nämlich gegen die öffentliche Meinung, zeitgenössische Kunst, die damals heftig umstritten war, zu sammeln“, sagt er.
„Wie verhalten wir uns heute gegenüber zeitgenössischer Kunst in einem solchen Museum? Ich denke schon, wenn zum Beispiel wichtige Vertreter der AfD sagen, wir müssen die deutsche Nationalkultur wieder stärken, es gibt diese Bestrebungen, auch kulturell eine Art Rollback zu machen, hin zum nationalstaatlichen in einer sehr eng gefassten Situation. Das sind für mich Warnzeichen. Weil, so hat es in den Zwanzigerjahren in der Weimarer Republik mit den rechten Gruppen auch begonnen. Auch wenn wir heute nicht in der Zeit sind, man sollte genau darauf achten, wer da unterwegs ist, und wer da was fordert."
Die Hess-Villa im Erfurter Süden nutzt heute der Gemeinde- und Städtebund Thüringen. Eine schlichte Tafel an der Hauswand erinnert an die ehemaligen Bewohner. Vielleicht könnte man hier die Türen öffnen und im Sinne der Hessschen Gastfreundschaft jungen Künstlern einen Ort bieten zum Austausch, Arbeiten und Ausstellen. Und auch hier von seinem Vermächtnis erzählen.

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