Alex Wheatle: "Die Ritter von Crongton"

Freundschaft und Hoffnung, wo die Welt nicht heil ist

Cover mit Hintergundbild aus London.
Alex Wheatle schreibt über das Aufwachsen im nicht so schicken London: Jugendliche zwischen die Fronten zweier Gangs. © Kunstmann / imago / Photoshot / Construction Photograhpy
Von Sylvia Schwab · 30.10.2018
Alex Wheatle führt die Leser in einen verwahrlosten Großstadtvorort – und in seine Vergangenheit. Er lebte im Kinderheim und saß im Knast, bevor er Bücher schrieb. Das spürt man auf jeder Seite des mitreißenden und sehr menschlichen Jugendromans.
Crongton ist ein völlig verwahrloster Vorort der Großstadt London. Dessen zwei Hälften bekriegen sich bis aufs Messer. Es ist eine Gegend mit hohem Anteil farbiger Menschen, in der Gangster und Banden die Regeln vorgeben, Überfälle, Razzien und Morde an der Tagesordnung sind, in der Männer Waffen tragen und auch schon Jugendliche sich alle zehn Schritte umdrehen, um ihr Umfeld zu scannen.

Ein Mädchen wird mit Nacktfotos erpresst

Alex-Wheatle-Leser kennen Crongton. Sie kennen auch die Protagonisten dieses Romans. Der listige, kleine Liccle Bit ist wieder dabei, der schnelle Jonah und der dicke McKay, der hier seine dramatische Geschichte erzählt. Außerdem zwei hübsche, toughe, weiße Mädchen und eine Menge klar konturierter Nebenfiguren. Alle schleppen sie ein Trauma mit sich, Väter oder Mütter sind tot oder fort, eine Cousine wurde erschossen, Saira ist vor dem Krieg geflohen, Venetia wird mit ihren Nacktfotos erpresst. Und der dicke McKay, der seine sensible Seele hinter einem wabbeligen Speckmantel versteckt, ist ständig Opfer von Pöbeleien.
McKays Bruder treibt sich seit dem Tod der Mutter nur herum, sein Vater hat Spielschulden. Er beschließt mit seinen Freunden, Venetia zu helfen, deren Handy voller kompromittierender Fotos ist und von ihrem Ex-Freund geklaut wurde. Zu sechst geraten sie zwischen die Fronten zweier Gangs. McKays Bruder, ebenso unberechenbar wie mutig, macht alles noch schlimmer und in einem furiosen Show-Down prallen sie nachts in einer Garage alle aufeinander: Die Freundesgruppe, ein rachsüchtiger Gangster und der durchgeknallte Bruder. Auch wenn man von Anfang an ahnt, dass die Geschichte gut ausgehen wird, ist sie doch bis fast zum Schluss überraschend und sehr spannend.

Wheatle schreibt kleine und große Tragödien voll Empathie

Der 15-jährige McKay ist als Erzählerfigur ein Glücksgriff! Er berichtet knapp, sachlich und nachdenklich, deutlich ernster als sein Freund Liccle Bit im ersten Crongton-Roman. Einzelne Bilder – die Kleider der Mutter im Schrank des Bruders – erzählen ganze Geschichten, voller Empathie beobachtet er die kleinen und großen Tragödien in seinem Umfeld. Frech und frisch kommen dagegen die Streitereien, Diskussionen und Frotzeleien mit seinen Kameraden rüber. Sie wirken wie ein komödiantisches Feuerwerk, strotzen vor schrägen Anspielungen und pointierten Witzeleien.
Dass Alex Wheatle dieses öde, schmutzige und brutale Umfeld aus eigener Erfahrung kennt, spürt man auf jeder Seite. Man riecht förmlich den Gestank der Mülltonnen und Treppenhäuser. Man sieht die undurchsichtigen Typen auf den Straßen vor sich, spürt die Angst der Menschen. Aber man erlebt auch den Zusammenhalt der Freundesgruppe, und die kleine Geborgenheit in den verstörten Familien. Und man hat mit McKay, Liccle Bit und Jonah die Hoffnung, dass sie da eines Tages raus kommen. Dass diese Hoffnung und das Happy End kein billiges Klischee ist, das beweist der Autor ja selbst mit seiner Biographie. Er hat einen spannenden, mitreißenden und sehr menschlichen Jugendroman geschrieben, mit viel Power und noch mehr Herz.

Alex Wheatle: "Die Ritter von Crongton"
Kunstmann Verlag, 2018
254 Seiten, 18,00 Euro
Ab 12 Jahren

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