Alex Garlands "Auslöschung" auf Netflix

Zu komplex fürs Multiplex?

Natalie Portman (li.) und Tessa Thompson in Alex Garlands Science-Fiction-Film "Auslöschung"
Natalie Portman (li.) und Tessa Thompson in Alex Garlands Science-Fiction-Film "Auslöschung" © imago/Peter Mountain
Von Jörg Taszman · 12.03.2018
Beim Testpublikum fiel Alex Garlands Science-Fiction-Film "Auslöschung" durch - zu sperrig, zu anspruchsvoll. Daher landete der Film direkt bei Netflix - ohne Kinostart. Cineasten sind empört: Dörrt der Online-Anbieter jetzt die Filmkunst im Kino aus?
Es sind zutiefst verstörende Informationen, die man der Biologin Lena in einem streng von der Armee abgeriegelten Stützpunkt enthüllt.
- Ihr Mann ist hier.
- Lassen Sie mich zu ihm.
- Sein Zustand verschlimmert sich.
- Sagen Sie mir, wo er war und was er da gemacht hat?
- Es war seine Entscheidung rein zu gehen. Sie nennen es den 'Shimmer'.

Mutierte Krokodile und blutrünstige Bären

Es geht um ihren Mann, der seit über einem Jahr verschollen war, urplötzlich wieder auftaucht, dann Blut spuckt und nun isoliert im Koma liegt. Eine taffe Soldatin klärt Lena über die bedrohliche Zone "The Shimmer" auf. (0.20)
- Sie schicken Drohnen und Truppen rein, aber nichts kehrt zurück. Sie sind Biologin und eine ehemalige Soldatin.
- Wenn ich wüsste, was dort passiert ist, könnte ich ihn retten.
- Es wird immer größer. Es breitet sich aus. Es wird bald ganze Städte einnehmen.
- Sie wollen heraus finden, was da drin ist? Genau wie ich....
- Das ist wunderschön...
Gina Rodriguez, Jennifer Jason Leigh, Natalie Portman, Tessa Thompson und Tuva Novotnyin in "Auslöschung"
Auf dem Weg in die Shimmer-Zone: Gina Rodriguez, Jennifer Jason Leigh, Natalie Portman, Tessa Thompson und Tuva Novotnyin.© imagp/Peter Mountain
Und so ist Lena zusammen mit vier anderen Soldatinnen zunächst erst einmal verblüfft, als sie in diese faszinierende Zone eintritt, in der die Natur neue Regeln aufstellt: alles verändert sich. Es erscheint so idyllisch wie in Avatar, bis plötzlich mutierte Krokodile und Bären sich als blutrünstige Monster erweisen.

Ein visuell beeindruckender Film...

Der Film basiert auf dem Roman "Auslöschung" des US-amerikanischen Schriftstellers Jeff Vandermeer. Die Vorlage gilt als mysteriöser Science-Fiction-Thriller, der mit Horror-Elementen spielt und mit gängigen Erzählmustern bricht. Regisseur Alex Garland hat es geschafft, daraus einen visuell beeindruckenden Film zu machen und dafür Stars wie Natalie Portman als Biologin Lena und Oscar Isaak als ihren Ehemann gewonnen.

Das Resultat liegt weit über dem Durchschnitt teurer US-Studio-Produktionen und braucht auf jeden Fall die große Leinwand, um seine Wirkung zu entfalten.

... mit erzählerischen Schwächen

Erzählerisch kann "Auslöschung" aber nicht völlig überzeugen, vielleicht war die Romanvorlage einfach zu komplex. Alex Garland will zu viel erzählen und leistet sich eine überflüssige Rahmenhandlung, die immer zur Musik von Crosby Stills and Nash läuft. Nur in den USA gelangte das Werk mit über 2000 Kopien in die Kinos. Dort spielte die 55 Mio Dollar teure Produktion bisher nur 23 Millionen Dollar ein.
Diesen relativen Flop hatte Paramount befürchtet und den Film für den Rest der Welt, mit Ausnahme Chinas, deshalb an Netflix verkauft. Der Streamingdienst wiederum lässt in Europa keine Kompromisse um Kinoaufführungen zu. Allein in diesem Jahr will man 80 Kinofilme nur im Stream zeigen. Alex Garland bedauerte die Entscheidung von Paramount für Netflix.

Kreative Freiheit am Set

Andere Filmemacher sehen das ambivalenter. So Jonas Carpignano, dessen Film Mediterranea in vielen Ländern nur auf Netflix zu sehen war. Sein neuer Film Pio wurde von Martin Scorsese produziert, den der junge Regisseur am Filmset einer Netflix-Produktion besuchte:
"Mir gefällt, dass Netflix den Regisseuren kreative Freiheit lässt. Ich war gerade am Set von Martin Scorseses neuem Film 'The Irishman'. Wenn Netflix ihm all dieses Geld gibt, damit er tun kann, was er möchte, dann muss man dem Respekt zollen, was sie für Filmemacher tun."

Konfrontationspolitik zwischen Netflix und Kinos

Jonas Carpignano hofft, dass eine 120 Millionen Dollar schwere Produktion wie "The Irishman" mit Robert de Niro doch ins Kino gelangt. Dafür müssten jedoch Netflix und die Kinobetreiber in Deutschland oder Frankreich ihre gegenseitige Konfrontationspolitik aufgeben.
Der US-Anbieter sollte ähnlich wie sein Konkurrent Amazon Kinostarts zulassen, die Kinos dafür Kompromisse beim klassischen Kinofenster akzeptieren. Bisher dürfen Filme meist erst ein Jahr nach Kinostart gestreamt werden.

Der lachende Dritte in der Nische

Noch sind die Besucherzahlen der Arthouse-Kinos wegen der Streamingdienste nicht zurückgegangen. Aber die jüngeren Zuschauer unter 30 gehen inzwischen weniger ins Kino und sind verstärkt Streaming-Kunden. Sie sind die Zielgruppe für Filme wie "Auslöschung". Bei aller Kritik an Netflix – denn "Annihilation", wie der Film im Original heißt, gehört definitiv auf die Kinoleinwand – hat der Streamingdienst eine Nische erkannt.
Für das Multiplexpublikum ist der Film zu komplex, für den typischen Arthousebesucher zu sehr Genrekino. Solange auch Filmverleiher und Kinobetreiber vor ambitionierten, unbequemen Filmen zwischen Mainstream und Arthouse zurück schrecken, bleibt Netflix der lachende Dritte
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