Aldous Huxley: "Zeit der Oligarchen"

Über Wissenschaft, Freiheit und Frieden

Buchcover „Zeit der Oligarchen“ von Aldous Huxley
© Carl Hanser Verlag

Aldous Huxley

Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Neubauer

Zeit der OligarchenCarl Hanser Verlag, 2025

96 Seiten

14,00 Euro

Von Michael Meyer |
In "Zeit der Oligarchen" widmet sich Aldous Huxley technischen Entwicklungen, fehlgeleiteter Wissenschaft und Machtkonzentrationen, die demokratische Strukturen bedrohen. Sein Appell zur Wachsamkeit wirkt heute beklemmend aktuell.

„Bei einer derartig schlechten Einrichtung der Gesellschaft wie der unseren, in der eine kleine Zahl von Menschen die Macht über die Mehrheit hat und diese unterdrückt, dient jeder Sieg über die Natur unweigerlich nur dazu, Macht und Unterdrückung zu vergrößern. Und genau das geschieht heute.“

Diese Sätze schrieb Leo Tolstoi Ende des 19. Jahrhunderts. Heute, mehr als hundert Jahre später, sind sie immer noch beziehungsweise wieder aktuell.
Aldous Huxley, dessen Buch „Schöne neue Welt“ sein bekanntestes wurde, interessierte sich zeitlebens für gesellschaftliche Entwicklungen, die von Technik und Profitinteressen getrieben werden. In „Brave New World“ entwarf er eine technologische Utopie, die im Kern eine kontrollierte Gesellschaft beschreibt, in der Konsum, Überwachung und genetische Manipulation nicht nur normal, sondern Mittel der Machterhaltung sind.
Huxleys Kritik richtete sich vor allem gegen totalitäre Systeme, die Freiheit opfern zugunsten von autoritärer Stabilität und scheinbarem Wohlstand. Er warnte stets vor einem Verlust individueller Autonomie zugunsten einer „Verblendung durch Unterhaltung“ und der Illusion von Freiheit, die von einer kleinen Elite gesteuert wird. 
Auch in „Zeit der Oligarchen“ entwirft er eine solche Dystopie. Und diese schwankt, so der Originaltitel des Buches, zwischen „Science, Liberty and Peace“, also zwischen Wissenschaft, Freiheit und Frieden.
Huxleys Essay, nur knapp 90 Seiten lang, befasst sich mit der Frage, wie eine angemessene Werteordnung für eine Gesellschaft definiert werden kann. Eine Ordnung, die von dem Eifer beseelt ist, die Welt mit technologischen Mitteln neu zu gestalten. Huxley konstatiert, dass wir die Macht hätten, die Welt nach unseren Vorstellungen zu verändern, die bisherigen Ergebnisse dieser Macht stellt er jedoch in Frage.

„In einer Welt, in der die Konzentration wirtschaftlicher Macht einer herrschenden Minderheit dient, ist es nur natürlich, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung angewandt werden, um Massenproduktion und -distribution zu fördern. Und in einer Welt, in der der Nationalismus als selbstverständlich gilt und die Werte des Nationalismus über alles gestellt werden, ist es nur natürlich, dass diese Ergebnisse zur Anwendung kommen, um Kriegsinstrumente zu produzieren und permanent weiterzuentwickeln. Da die Wissenschaftler, Erfinder und Ingenieure dafür bezahlt werden, wirken sie am Aufbau einer zentralisierten Industrie mit; und da sie es als Nationalisten für ihre Pflicht halten (und weil diese Pflicht oft sehr einträglich war), wirken sie am Bau technischer Wunderwerke wie Panzer, Bomber, Flammenwerfer und Atombomben mit.“

Huxley geht nicht davon aus, dass Wissenschaft und technologischer Fortschritt per se negativ sind. Aber, und das muss man sich als Leser vor Augen halten, sein manchmal etwas plakativer Text ist beeinflusst vom 1946 gerade zu Ende gegangenen Weltkrieg, der Entwicklung der Atombombe und der Katastrophe des Holocaust.
Huxley setzt als Gegenmodell eine zuweilen vielleicht etwas naive Vorstellung der menschlichen Erleuchtung und eines Dazu-Lernens der Bürger und Bürgerinnen. Dass sich diese Hoffnung zerschlagen hat, kann man heute, 80 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen seines Textes, ohne Zweifel konstatieren.

Beklemmend aktuell

Huxleys zweites Ideal lässt sich mit einem Wort beschreiben: Dezentralisierung. Sie sei notwendig, um Freiheit und Sicherheit zu erreichen. Leitfaden seines Buches ist immer wieder seine Kritik an der Wissenschaft und jenen Wissenschaftlern, die ihre Kompetenz für die falschen Ziele einsetzen:

„Kann man noch glauben, dass man zum Wohl der Menschheit beiträgt, wenn man die Ergebnisse der objektiven Forschung auf eine Weise anwendet, die nachweislich die Macht der in Wirtschaft und Staat herrschenden Minderheiten stärkt, auf Kosten der persönlichen Freiheit und der lokalen und beruflichen Selbstbestimmung? Diese und ähnliche Fragen müssen sich Wissenschaftler stellen und bewusst beantworten, und zwar auch auf Ebene ihrer internationalen Verbände. Gleichzeitig ist zu hoffen und vielleicht auch zu erwarten, dass einige Wissenschaftler und Techniker sich in negativen Aktionen gegen Krieg und die Zentralisierung der Macht stellen, die unweigerlich mit dem Krieg einhergeht, indem sie sich weigern an Projekten mitzuwirken, die die Vernichtung oder Versklavung von Menschen zum Ziel haben.“

Das Buch „Zeit der Oligarchen“ ist, Jahrzehnte nach seinem Erscheinen, beklemmend aktuell. Huxley fordert eine kritische Reflexion darüber, wie Freiheit, Macht und Technologie in Gesellschaften zusammenspielen.
In einer Welt, die von oligarchischer Macht und technischer Überwachung geprägt ist, bleibt seine Mahnung vor dem Verlust individueller Freiheit und kritischen Denkens auch heute noch relevant. Sein knapper und dennoch hochspannender Text ist ein Aufruf zu Wachsamkeit und Engagement.
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