Aldeburgh Festival

Im Angedenken einer Freundschaft

Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch schütteln einander die Hände, während ein dritter Mann zwischen ihnen die Szene lächelnd beobachtet.
Benjamin Britten (links) ist immer auf Komponisten zugegangen, so auch auf Dmitri Schostakowitsch (rechts), um musikalische wie persönliche Freundschaften zu gründen. © Imago / United Archives International
Am Mikrofon: Volker Michael · 05.07.2022
Das Klassik-Musikfestival im britischen Aldeburgh feierte 2022 die besondere Freundschaft der Komponisten Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch. Neben Werken der beiden standen Kompositionen der Isländerin Anna Thorvaldsdottir auf dem Programm.
Es war eine Freundschaft über Systemgrenzen: die zwischen Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch. Das Aldeburgh Festival feiert sie und bleibt dem Motto treu, immer auch Neues zu präsentieren. Diesmal erklingen also Werke vom Festivalgründer Britten, von seinem Freund Schostakowitsch und ein neues Werk der Isländerin Anna Thorvaldsdottir.

Musikalisches Denkmal für das Meer

Benjamin Britten stammt von der ostenglischen Nordseeküste. Dieser Landschaft setzte er mit der Oper "Peter Grimes" ein klingendes Denkmal. Die großen Orchesterzwischenspiele entkoppelte Britten und schuf daraus die „Sea Interludes“ für Orchester.
Die Geigerin Patricia Kopatschinskaja ist Solistin in Schostakowitschs erstem Violinkonzert. Das entstand im selben Jahr, in dem Benjamin Britten und sein Partner Peter Pears das Aldeburgh Festival gegründet haben, nämlich 1948.
Inmitten flacher Wiesen steht ein Backsteinbau, davor abstrakte Figuren eines Kunstwerkes.
Als der Umbau 1970 vom Industriegelände zum Konzertsaal „Snape Maltings“ beendet war, kam Queen Elisabeth II. persönlich zur Einweihung.© Imago / agefotostock / Tim Oram
Der erste Satz des Konzerts zeigt die Sologeige als Verkörperung des gequältens Ichs mit trüben Gesängen und schluchzenden Figuren, die nur ein kurzes Aufbegehren zulassen. Der zweite Satz ist ein Scherzo, das mit einer bizarren wie sarkastischen Girlande der Sologeige und Bassklarinette beginnt. Die unruhige Fröhlichkeit hat dabei immer einen doppelten Boden und verliert nicht ihre düsteren Anteile. Es ist Musik, die sich auf Zirkus, Kabarett, jüdische, kaukasische und balkanische Volksmusik bezieht.
Der dritte Satz wird von einem Hymnus der Hörner und Pauken eingeleitet. Der Satz verklingt in einem Dialog zwischen Geige und Pauken und einer filigranen, dann zunehmend halsbrecherischen Kadenz. Etwas weniger tragisch kommt der schnelle Schlusssatz daher.

Mit Blick auf das Heute gespielt

Die Solistin Patricia Kopatschinskaja beschrieb den dramatischen Gehalt des ersten Violinkonzerts von Schostakowitsch: „Das Drama spielt heute, in der Ukraine, denke ich. Und nicht nur der Krieg dort, auch der Klimawandel, der eigentlich eine Katastrophe ist. Dieses Konzert wurde in Einsamkeit geschrieben. Fernab von jeder Chance, bekannt zu werden, ja ohne Zukunft insgesamt. Es zeigt seine Gedanken, und der erste Satz ist – wenn man so will – ein Schattenspiel, wie das Ticken einer mechanischen Uhr. Und die Uhr tickt heutzutage – ich fühle mich, als ob ich auf einem Vulkan sitze, der jeder Zeit hochgehen kann. So spiele ich das Konzert.“
Auf dem Programm steht zudem ein eher unbekanntes Stück von Benjamin Britten: eine sinfonische Suite aus seiner Oper „Gloriana“. Die ist insofern zeitbezogen, als sie zur Thronbesteigung von Königin Elisabeth der Zweiten vor fast genau siebzig Jahren entstanden ist.

Isländisches Gletscherschmelzen

Das Konzert des City of Birmingham Symphony Orchestra mit dem französischen Dirigenten Ludovic Morlot beginnt mit einem Werk, das filmisch-illustrative Qualitäten hat und ein Kommentar zu unserer Zeit ist. „Catamorphosis“ der isländischen Komponistin Anna Thorvaldsdottir, das während der Corona-Zeit entstanden ist.
Thema ist der Klimawandel, der sich zum Beispiel im Schmelzen der isländischen Gletscher äußert. Der Titel suggeriert, dass etwas Unabwendbares entsteht, das einer Katastrophe gleichen wird. Die Komponistin beschreibt in ihren eigenen Worten, die Inspiration für dieses Stück sei die zerbrechliche Beziehung gewesen, die die Menschen zu ihrem Planeten pflegen. In ihrem Werk zeigt Thorvaldsdottir ein breites Spektrum emotionaler Zustände auf, nicht alles ist Panik und Verzweiflung.
Aufzeichnung vom 18.06.2022 aus dem Konzertsaal „Snape Maltings“

Anna Thorvaldsdóttir
"Catamorphosis"

Benjamin Britten

"Choral Dances" aus der Oper "Gloriana" op. 53

Dmitri Schostakowitsch
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77

Benjamin Britten
"Four Sea Interludes" aus der Oper "Peter Grimes" op. 33 a

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