Album "Ballet Jeunesse"

Strawinsky und Prokofjew, gemixt mit Reggae oder Elektro

Club mit Anspruch: Auch das Ensemble des Staatsballetts Berlin trat bereits im Berghain auf. Hier in einer Inszenierung des Stücks "Masse".
Ballett im Club. Hier eine Inszenierung des Staatsballetts Berlin im Berghain. © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Von Vincent Neumann · 08.09.2016
Matthias Arfmann hat sich mit diesem Projekt einen Traum erfüllt. Nach vielen Jahren Arbeit und viel Bürokratie erscheint nun "Ballet Jeunesse" auf CD. Entstanden sind Neu-Arrangements von klassischer Ballett-Musik - sie changieren zwischen Klassik, Club und Reggae.
"Crossover" – dieses Wort lässt in der Klassikwelt inzwischen vielerorts die Alarmglocken klingeln, David Garrett sei Dank! Dabei ist die Grundidee eigentlich reizvoll: Man nehme ein bekanntes Stück Musik, setze es in einen neuen stilistischen Kontext oder verschmelze es mit einem völlig anderen Genre. Entscheidend für das Gelingen ist allerdings nicht nur das Wie, sondern vor allem auch das Warum – Matthias Arfmann liefert dafür mit seinem "Ballet Jeunesse" den besten Beweis:
"Das Sprengen der Genre-Grenzen war nicht so wirklich der Antrieb – es war die Liebe zum Original und es war auch die Liebe zu Klang und es war so eine Art Forscherdrang: Können wir das und sollten wir das nicht irgendwie noch einmal anders versuchen?"
Klassiker der europäischen Ballettmusik, statt für die Opernbühne für die Tanzfläche in einem Club arrangiert – ein solches Vorhaben dürfte wohl so manch einem Klassik-Puristen des Nachts den Schlaf rauben. Doch Matthias Arfmann will mit seinem "Ballet Jeunesse" neue Impulse setzen. Die Musik da stattfinden lassen, wo junge Leute mit ihr in Berührung kommen können. Respekt vor dem Original: ja, aber keine Hemmungen oder gar Angst, mit ihm zu arbeiten.

"Das Feuilleton hat uns auch überlebt"

Matthias Arfmann: "Die muss man irgendwann ablegen, die hab ich bei meiner ersten Begegnung mit einer Produktion für das Deutsche Grammophon gehabt – das war 2005, die Serie hieß "Recomposed". Das war eine sehr schwere Last – das waren ja Bearbeitungen von Karajan und das hat ewig gedauert, bis man sich davon freimacht und sagt: Hey, das ist Musik, bleib mal ruhig! Das Feuilleton hat uns auch überlebt und insofern: Die Last war nicht ganz so groß. Wir haben das einfach mit einem anderen Selbstverständnis gemacht."
Neben geschmacklichen Dingen gab es im Vorfeld des Projekts aber noch eine andere wichtige Frage zu klären: Darf dieses Stück überhaupt verwendet werden? Denn, wie im Fall von Sergej Prokofjews "Romeo und Julia", die Erben und Rechteinhaber davon zu überzeugen, diese Ballett-Musik erstmals überhaupt zur Bearbeitung freizugeben, war kein einfaches Unterfangen. Davon kann Arfmanns Projekt-Partner, der Musikwissenschaftler Peter Imig ein Lied singen:
"Als erstes bekommt man ein Standardschreiben: 'Vielen Dank für Ihre Anfrage. Also erstens: Wenn Sie dieses Lied so, wie Sie es jetzt gemacht haben, veröffentlichen, werden wir Sie verklagen. Und zweitens: Von weiteren Anfragen in der Zukunft bitten wir abzusehen'.
Wir sind dann immer durch die Hierarchie-Ebenen durchgegangen. Also, wen kennen wir, der jetzt eine Hierarchie-Ebene über den Leuten ist, die wir angeschrieben haben. Und dann kennt jemand jemanden, der kennt jemanden vom Film: 'Ja, der hat hier einen Verlag … ruf mal den und den an …'. Und dann mussten wir so durch drei, vier, fünf, sechs Hierarchie-Ebenen bis nach London, bis wir dann an die Erben direkt rangekommen sind. Diesen langen, steinigen und mühsamen Weg mussten wir gehen."
Musikproduzent Matthias Arfmann (l) und Sänger Jan Delay beim Hamburger Musikpreis "Hans" 2010. 
Musikproduzent Matthias Arfmann (l) und Sänger Jan Delay beim Hamburger Musikpreis "Hans" 2010. © Bodo Marks dpa/lno

"John Strawinsky Junior fand es toll"

Arfmann: "Das erste große 'Go' kam von John Strawinsky Junior, der sich 'Feuervogel' eben angehört hat und der das toll fand. Den hätte das ja nie erreicht, wenn wir im Hintergrund nicht immer so rumgedrängelt hätten. Und der fand das toll: unsere Bearbeitung, unsere Dramaturgie – und dann hatten wir da die Freigabe."
Und so konnte sich Matthias Arfmann nach fast sieben Jahren Arbeit doch noch seinen Traum erfüllen, die Orchesterparts vom Babelsberger Filmorchester neu einspielen zu lassen und durch Sezieren, Fragmentieren und Samplen sein höchst individuelles "Ballet Jeunesse" zu kreieren.
Arfmann: "Das Schwierigste war, dass man einfach bei all diesem Rumorganisieren – mit Musikverlagen, mit Orchestern und mit Dirigenten sich auseinanderzusetzen – dass man nicht vergisst, dass man ja eigentlich Musik macht, und dass die auch toll sein soll und hochwertig, dass man sich da nicht verliert in irgendwelcher Bürokratie – das war wirklich schwierig!"
Ob Tschaikowsky, Satie, Ravel oder Khachaturian – in der Welt von Matthias Arfmann werden aus ihren Meisterwerken 3- bis 6-minütige Songs. Eine Transformation, die man so kaum für möglich oder auch nur wünschenswert gehalten hätte. Doch die akribische Arbeit, die Geschmackssicherheit und letztendlich auch die absolute Kompromisslosigkeit des erfahrenen Produzenten machen "Ballet Jeunesse" zu einem überzeugenden Hybrid.

Projekt soll keine Provokation sein

Arfmann: "Wir wollten genau diese dreizehn Stücke und wenn für uns ein Sergei Prokofjew mit 'Romeo und Julia' und 'Peter und der Wolf' nicht durchgegangen wäre und auch der besagte 'Feuervogel' von Strawinsky nicht durchgegangen wäre, dann hätten wir selbst die Platte eingestampft. Dann wäre es für uns nicht die Platte gewesen, wie wir sie uns vorgestellt haben. Dann hätten wir einfach sagen müssen: 'Hey, Pech gehabt!'"
Und dann wären da doch die launigen Auftritte von Gaststars wie Schorsch Kamerun oder Jan Delay, dessen "Peter und der Wolf"-Kurzversion irgendwo zwischen Hamburg und Jamaika angesiedelt ist.
Ob Reggae, Elektro oder Soul – in den Händen von Matthias Arfmann bekommen die Klassiker der Ballett-Musik einen neuen Anstrich, der sie trotz leuchtender Farben und einer gewissen Leichtigkeit nie albern wirken lässt, denn eine Spielerei oder gar eine Provokation sollte das Projekt auf keinen Fall werden. Höchstens ein ganz kleines bisschen.
Arfmann: "Wagner-Festspiele, drei Jahre lang, nur wir – das ist meine Erwartung. Und ansonsten wäre es schön, wenn auch ganz junge Leute diese großartigen klassischen Werke, die die überhaupt nicht kennen – dass sie vielleicht ausgerechnet über unsere Versionen den ersten Zugang zu dieser Musik finden und über uns das Original kennenlernen. Das wär irre!"
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