Alan Turing

Vater der modernen Informatik

07:04 Minuten
Schwarzweißporträt von Alan Turing.
Alan Turing, Computerpionier, Kriegsheld und einer der einflussreichsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts. © imago images / ZUMA Press
Von Hagen Terschüren · 27.07.2019
Audio herunterladen
Wer 2021 nach England reist und 50 Pfund abhebt, wird das Gesicht von einem Mann sehen, der Computertechnik so prägte wie kaum ein anderer: Alan Turing. Er war Kriegsheld, Pionier der Informatik und wurde von seinem eigenen Land verfolgt.
Wäre Alan Turing eine fiktive Figur, würden die Kritiker sich vermutlich darüber aufregen, dass der Protagonist zu unrealistisch sei. Zu groß ist sein Einfluss auf das Zeitgeschehen, zu steil ist die These, dass jemand mit 16 nicht nur das Werk Einsteins versteht, sondern auch noch Thesen daraus ableiten kann, die so nicht explizit im Text stehen. Und dann soll dieses Mathewunder auch noch ein so guter Läufer sein, dass er sich für die olympischen Spiele qualifiziert? Also bitte! Aber: Alan Turing ist keine fiktive Figur.
Alan Mathison Turing wurde 1912 in Großbritannien geboren. Im Mathestudium 1936 fing Turing an, die Grundlagen für moderne Rechenmaschinen zu entwickeln – Computer waren zu dieser Zeit noch eine Berufsbezeichnung für Frauen, die Rechenaufgaben lösen. Seine Ideen waren so wichtig, dass sie nach ihm benannt wurden und bis heute zum Einsatz kommen. Zum Beispiel die Turing-Maschine – ein Modell, das es möglich macht, Computer mathematisch zu betrachten und in Theorien zu integrieren.

Ein Wetterbericht besiegte die "Enigma"

Während des Zweiten Weltkriegs kam Turing, der sich schon in seiner Schulzeit für Kryptografie begeisterte, nach Bletchley Park. Dort versuchten die Briten, Nachrichten der Deutschen zu entschlüsseln. Die "Enigma" ermöglichte knapp 159 Trillionen verschiedene Kombinationen und weil sie jeden Tag zurückgesetzt wurde, mussten die Codebrecher jedes Mal von vorn beginnen.
Turing wusste, dass nur eine Rechenmaschine Chancen hätte, diesen Code zu knacken. Seine Vorgesetzten, wollten ihm jedoch nicht die nötigen Mittel zur Verfügung stellen. Schließlich war Krieg, die Ressourcen waren knapp und eine Maschine nach den Vorstellungen Turings noch pure Theorie. Aber Turing glaubte an seine Idee, setzte sich über die Militärhierarchie hinweg und schrieb einen Brief an Winston Churchill. Dieser willigte ein und finanzierte eine riesige analoge Maschine, die später tatsächlich die Enigma brechen sollte: Die Turing-Bombe.
Nach vielen Versuchen und Misserfolgen fand das Team in Bletchley Park die Nachricht, mit der die Turing-Bombe die Enigma knacken konnte: Der deutsche Wetterbericht, der immer vorhersehbare Wörter beinhaltete. Alan Turing hatte den Krieg für die Alliierten gewonnen und rettete geschätzt 14 Millionen Leben. Ein Erfolg, von dem bis in die 70er-Jahre niemand wissen durfte. Das Projekt wurde als Top Secret eingestuft. Zu groß war auch nach Kriegsende der Vorteil, den sich Großbritannien von Turings Erfindung versprach.

Der Turing Test, an dem selbst moderne Computer scheitern.

Trotzdem wurde sein Name weltbekannt. Denn Turing ging zurück an die Universität und forschte weiter an dem, was später unser moderner Computer werden sollte.
Viele dürften so eine Situation kennen: Der vermeintliche Gesprächspartner an der Support-Hotline oder im Chat ist offensichtlich kein Mensch. Anders gesagt: Die Bots scheitern am Turing-Test. Ein Computer besteht diesen nur, wenn er sich nicht von der Intelligenz eines Menschen nicht unterscheiden lässt. Und weil die meisten Computer diesen Test nicht bestehen, wird er immer noch gerne dort eingesetzt, wo Bots keinen Zutritt haben.
Aber nach und nach nähern wir uns Turings Vision einer menschenähnlichen Intelligenz – sehr zum Leidwesen der Menschen, die sich auf Webseiten einloggen wollen. CAPTCHAs, bei denen man unleserliche Worte oder Ampeln auf einem schlechten Foto erkennen muss, sind eine Turing-Test-Variante, die bis heute zum Einsatz kommt und immer schwieriger werden, weil Computer sie jetzt auch lösen können.

Informatik allein war ihm nicht genug

Die Struktur aus Prozessor, Arithmetikeinheit und Speicher, die bis heute Grundlage unserer digitalen Technik ist, heißt Von-Neumann-Architektur. Doch ihr Erfinder, John von Neumann hat selbst gesagt, dass seine Idee ohne das von Alan Turing geschaffene Fundament nicht möglich gewesen wäre.
Und Turing wusste anscheinend, dass seine Arbeit die Welt verändern würde und konnte ahnen, wie leistungsstark Computer eines Tages sein würden. Denn 1953 schrieb er ein Schachprogramm, wie es heute immer auf vielen Systemen vorhanden ist – nur, dass es 1953 noch keinen Rechner gab, der so ein Programm ausführen konnte.
Turing beschäftigte sich mit der Mathematik in der Biochemie. Und auch hier setzte er Maßstäbe. Dank des Turing-Mechanismus können wir heute erklären, wie die Streifenbildung von Zebras und die Punkte von Leoparden zustande kommen.

Kriegsheld, Computerpionier und vom eigenen Land verfolgt

Doch all das konnte ihn nicht vor Repressionen seines eigenen Landes retten. Im Großbritannien der 1950er-Jahre war Homosexualität ein Verbrechen. Ein Gericht stellte ihn 1952 vor die Wahl: Zwei Jahre Gefängnis oder chemische Kastration. Turing entschied sich für die Kastration.
Diese Hormonbehandlung führte zu schweren Depressionen. 1954 wurde Turing tot in seinem Haus gefunden – gestorben an einer Überdosis Cyanid.
Erst 2009 gab es Statements der britischen Regierung zu Alan Turings Tod. Der damalige Premierminister Gordon Brown entschuldigte sich für das Vorgehen seiner Vorgänger und bedankte sich für Turings Leistungen im Zweiten Weltkrieg. 2013 wurde er von der Queen posthum begnadigt. 2017 trat in Großbritannien ein Gesetz in Kraft, das fast alle Bürger, die wegen Homosexualität verurteilt wurden, begnadigte. Benannt wurde auch dieses Gesetz nach Alan Turing.
Mehr zum Thema