Alan Posener zum Stand der deutschen Einheit

Ostdeutschland braucht eine andere Erinnerungskultur

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Ein Graffiti an einer Mauer mit der Aufschrift "Deutschland über alles" in roter Farbe.
Politische ähnelt Ostdeutschland in den Augen Alan Poseners eher Osteuropa als dem Westen. © imago images / epd / Matthias Weber
Alan Posener im Gespräch mit Jana Münkel · 07.07.2021
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Der Publizist Alan Posener sieht in Ostdeutschland Demokratiedefizite: Die ehemalige DDR gleiche hier mehr "dem Rest Osteuropas" als dem Westen. Schuld daran ist für Posener, dass es keine Aufarbeitung der SED-Diktatur aus der Mitte der Gesellschaft gebe.
Der Osten ist nach wie vor wirtschaftlich schwächer und skeptischer gegenüber der Politik: Das sind die Hauptbefunde des Jahresberichts zum Stand der deutschen Einheit, den der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU) am Mittwoch in Berlin vorstellte.
Dem Publizisten Alan Posener macht dabei vor allem die politische Entwicklung Sorge: "Da sehen wir, dass die ehemalige DDR leider in vieler Hinsicht dem Rest Osteuropas mehr gleicht als dem Rest Deutschlands, im Hinblick auf ein mangelndes Verständnis und eine mangelnde Leidenschaft für den liberal-demokratischen Kapitalismus, den wir haben."

Jahresbericht deutsche Einheit - Der Osten ist wirtschaftlich schwächer und skeptischer gegenüber der Politikaddon
Auch rund 30 Jahre nach der Wiedervereinigung liegt Ostdeutschland bei der Wirtschaftsleistung zurück. Die Unterschiede bauen sich zwar ab, sind aber weiter groß. Auch ist die Politikskepsis im Osten größer.

Passanten gehen an einem Wandbild von Caspar Kirchner mit der deutschen Nationalflagge und dem Schriftzug "Ossi oder Wessi? vorbei.
© dpa-Bildfunk / Rainer Jensen
Die Ursache dafür verortet Posener in der fehlenden Aufarbeitung der SED-Diktatur. Zwar habe auch der Westen bei der Anerkennung der Demokratie sehr lange gebraucht, räumt er ein. "Aber wir hatten hier so etwas wie 68, eine Art Generalabrechnung. Das fehlt mir im Osten."

Friedliche Revolutionäre in der DDR: heute auf dem Abstellgleis

Notwendig wären Kinder, die ihre Eltern fragten: Was habt ihr damals wirklich gemacht und die ihnen nicht die Erzählung abkauften, nur die SED-Oberen seien dafür gewesen und alle anderen hätten sich in die innere Emigration zurückgezogen: "Das war nicht so! Und jeder – und jede –, der aus der DDR geflohen ist, sagt es einem auch."
Symptomatisch für die Entwicklung ist laut Posener auch der Werdegang derer, die die friedliche Revolution in der DDR getragen hätten. "Die Leute sind ja heute faktisch auf dem Abstellgleis", beklagt er. "Die haben alle Ehrenämter, sind in Chören und so weiter, sind in Stiftungen und Vereinen." Aber wo seien sie im täglichen Politikgeschäft zu finden?
(uko)
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