Nach der Tötung von Aiman al-Zawahiri

Falsche Standards für Demokratien

08:19 Minuten
US-Präsident Joe Biden stehend hinter einem Redepult.
US-Präsident Joe Biden © picture alliance / CNP / MediaPunch
Basil Kerski im Gespräch mit Jana Münkel  · 02.08.2022
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Die US-Regierung hat den Al-Quaida-Führer Aiman al-Zawahiri mit einem Drohnenangriff getötet. Ein Schaden für die Demokratie, meint der polnische Publizist Basil Kerski: Demokratische Staaten sollten sich an Standards halten.
Die US-Regierung hat den Chef des islamistischen Terror-Netzwerks Al Quaida, Aiman al-Zawahiri, in der afghanischen Hauptstadt Kabul mit einem Drohnenangriff töten lassen. "Diesen Terroristenführer gibt es nicht mehr", sagte US-Präsident Joe Biden bei einer Ansprache von einem Balkon des Weißen Hauses in Washington. Als Stellvertreter Osama bin Ladens sei Zawahiri an den Planungen der Anschläge vom 11. September 2001 beteiligt gewesen.  

Demokratien brauchen Standards

"Demokratische Staaten, die Demokratien einführen wollen, müssen auch Standards setzen", sagt der polnische Publizist Basil Kerski. Als Positivbeispiel führt er den Eichmann-Prozess in Israel an. Das Land hätte Eichmann damals töten können statt ihn zu entführen und vor Gericht zu stellen. Stattdessen hat es in Israel einen öffentlichen Prozess gegeben.
"Israel hat als Demokratie gezeigt, dass sie als Demokratie bereit ist, sich mit den schlimmsten Verbrechern der Menschheit auseinander zu setzen." Das sei kein Schauprozess gewesen, sondern der Sieg der "demokratischen Gerechtigkeit". Eichmann habe sein Gesicht zeigen müssen und keine Chance gehabt, zum "Opfer" zu werden. Die Anhänger von al-Zawahiri könnten in ihm jetzt ein Opfer sehen.

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Auch an die Morde von Putins Feinden im Ausland hat Basil angesichts der aktuellen Ereignisse denken müssen, und er erklärt, das sei eine Politik, die nach dem Muster laufe: "Das sind meine Feinde, und ich töte sie." Mit Wladimir Putin will Kerski Biden zwar nicht vergleichen, doch sagt er, dass dies nun "Standards von nicht-demokratischen Ländern" seien: "Insofern müssen wir uns als Demokraten fragen: Wollen wir diese Standards setzen?"

Die Tötung von Osama Bin Laden 2011

Basil berichtet von "entsetzlichen Bauchschmerzen", als er vor elf Jahren das Foto mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama und dessen Außenministerin Hillary Clinton gesehen hat, auf dem sie die Tötung von Bin Laden verfolgten. "Großartige Politiker des Westens sitzen vor dem Bildschirm und schauen sich an, wie der Al Quaida-Chef Bin Laden ermordet wird."
US-Präsident Barack Obama und sein Team beobachten per Videoschalte die Tötung von Osama bin Laden.
Der damalige US-Präsident Barack Obama und sein Team beobachten per Videoschalte die Tötung von Osama bin Laden.© picture alliance / AP Photo / Pete Souza
Basil hat sich gefragt: "Ist das unsere Art und Weise mit Verbrechern umzugehen?" Er sieht hier eine überschrittene Grenze.

Vorbild sein

"Wir wollen Menschen in Diktaturen animieren, sich dafür einzusetzen, dass Demokratien entstehen", sagt Kerski. "Wir müssen Vorbild sein."
Diese hohen Standards müsse man setzen, sonst sagten die Menschen, es gebe keinen Unterschied zwischen demokratischen Staaten und undemokratischen. "Solche Ermordungen schaden der Idee der Demokratie oder relativieren sie."

Basaler Konsens der Ethik

Diese Sorge teilt auch der Philosoph Bernhard Koch, stellvertretender Direktor des Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg. Er unterstreicht den "basalen Konsens" der Ethik: Jede Person hat ein Recht auf Leben und Anspruch darauf, vor tödlichen Angriffen durch andere geschützt zu werden.
Die Ethik identifiziere drei Ausnahmen von diesem Tötungsverbot: erstens die Todesstrafe, zweitens akute Selbstverteidigung und drittens erscheine auch die Tötung eines Kombattanten im bewaffneten Konflikt manchen gerechtfertigt.

Legitimation durch Gewohnheitsrecht

Aiman al-Zawahiri sei jedoch kein geordneter Prozess gemacht worden, in dem er Gelegenheit dazu gehabt hätte, sich zu verteidigen. Das Argument der Selbstverteidigung erscheine in diesem Fall auch fragwürdig, so Koch: Es stelle sich die Frage, welche akute Bedrohung von al-Zawahiri ausgegangen sei und ob gegebenenfalls nicht auch andere Mittel als seine Tötung dazu geeignet gewesen wären, diese abzuwenden. Dass die USA sich darauf berufen, einen "Krieg gegen den Terror" zu führen, hält Koch für ein zweifelhaftes Argument.
Koch sieht die Gefahr, dass solche Tötungen unter dem Vorwand, sich im Kriegszustand zu befinden, auf eine Art Legitimation durch Gewohnheitsrecht abzielen. Eine Folge davon könne sein, dass auch andere Staaten dieses Recht für sich in Anspruch nehmen, wenn sie etwa – wie es Russland wiederholt vorgeworfen wurde – politische Gegner im Ausland durch gezielte Gilftanschläge beseitigen wollten.
(gem/fka)
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