Al-Nour Moschee in Hamburg

Zum Freitagsgebet in eine ehemalige Kirche

06:58 Minuten
Außenansicht einer ehemaligen evangelischen Kirche aus den 1960er-Jahren mit einem schlanken Backstein-Turm, auf dem jedoch kein Kreuz mehr angebracht ist. Im Hintergrund: ein Regenbogen.
In neuem Licht: Die Al-Nour-Moschee in Hamburg war ursprünglich eine evangelische Kirche. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Christian Röther · 06.02.2022
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Die Kirchen in Deutschland verkaufen nur selten ehemalige Gotteshäuser an Moscheegemeinden, zu groß ist das Konfliktpotenzial. Doch in Hamburg ist das Wagnis gelungen: Die Kapernaum-Kirche wurde zur Al-Nour-Moschee.
Eine gut befahrene Allee im Hamburger Stadtteil Horn. Vor etwas mehr als 60 Jahren wurde hier die Kapernaumkirche errichtet: ein moderner Kirchenbau aus Backstein, Beton und Glas mit einem sechseckigen Turm. Nun ist die Kirche aber keine Kirche mehr, sondern eine Moschee. Ist der ehemalige Kirchturm jetzt also ein Minarett? Nein, sagt Daniel Abdin, der Vorsitzende des Islamischen Zentrums Al-Nour:
„Es ist weder ein Glockenturm, noch ein Minarett. Also, es gibt keinen Muezzin, der 45 Meter da täglich die Treppe hochgeht und runter. Und das fünf Mal. Nein, das brauchen wir nicht.“

Bunte Fenster demonstrieren Offenheit

Der islamische Gebetsruf ist nur im Innern der Moschee zu hören. Daniel Abdin hat Kauf und Umbau von Anfang an begleitet. Er wurde im Libanon geboren, kam mit 16 Jahren nach Deutschland und ist im Hauptberuf Geschäftsführer eines Integrationsprojektes.
In der Eingangshalle der Hamburger Kapernaum-Kirche, sind Menschen zu einer Denkmal-Führung versammelt. Durch kleine, bunte Glasfenster, die in einem Bienenwabenmuster aus Beton angeordnet sind, fällt Licht in die Halle.
Transparente Wände: Die Hamburger Kapernaum-Kirche im Jahr 2013, fünf Jahre vor ihrer Umwidmung zur Al-Nour-Moschee.© picture alliance / dpa / Malte Christians
Äußerlich habe sich an der ehemaligen Kirche kaum etwas verändert, erklärt Abdin, denn das Gebäude stehe unter Denkmalschutz. Einige Fenster seien allerdings erneuert worden. Sie geben nun den Blick ins Innere frei. Man wolle sich offen zeigen und transparent, sagt Abdin. Und: Das christliche Kreuz habe die muslimische Gemeinde vom Turm entfernt.
„Das haben wir an eine befreundete Kirche, die nennt sich Kirche ohne Turm in Hamburg-Billstedt, verschenkt“, erzählt Daniel Abdin. „Und dann haben wir uns für den Namen Gottes in arabischer Sprache entschieden. Weil wir der Meinung sind: Gott verbindet alle Menschen.“

Umwandlung in Moschee erhitzte die Gemüter

Oben auf dem Turm ist nun also der arabische Schriftzug „Allah“ zu lesen. Die Gemeinde habe sich bewusst gegen den islamischen Halbmond entschieden, wie er auf vielen anderen Moscheen zu sehen ist, sagt Abdin: „Uns war das von Anfang an bewusst: Das ist ein Projekt, was mit Fingerspitzengefühl angefasst werden muss.“
Vor einer mit Ornamenten verzierten Wand spricht ein Mann an einem Rednerpult mit Blumenstrauß zu einer Festgesellschaft. Die Aufnahme aus der Vogelperspektive bringt den orientalisch wirkenden Teppich zur Geltung, mit dem der Raum ausgelegt ist.
Feierliche Eröffnung: Im Herbst 2018 waren die Umbauarbeiten abgeschlossen.© picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Denn eine Kirche, die zur Moschee wird – das erregt die Gemüter. Die evangelische Kapernaumkirche wurde im Jahr 2004 entwidmet und an einen Investor verkauft. Jahrelang stand sie leer – bis Daniel Abdin die Immobilie im Internet entdeckte. Als bekannt wurde, dass wir das Gebäude gekauft haben, haben natürlich auch viele verängstigt reagiert“, erinnert er sich, „so nach dem Motto: Oh Gott, oh Gott, da kommen die Muslime.“
Das Thema ging durch die nationale und sogar internationale Presse, wurde in der Politik kontrovers diskutiert und auch in den Kirchen. Die evangelische Kirche bezeichnete den Verkauf unter anderem als ein „Missgeschick“. Neben Vorbehalten gab es für die Moschee aber auch Zustimmung, schnell auch aus dem Stadtteil, sagt Daniel Abdin.

Eine Sure als Gruß an die christliche Vorgeschichte

„Als wir da waren, haben wir wirklich aktiv Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Und keine zwei Jahre später haben die Nachbarinnen und Nachbarn angefangen zu fragen: Wann kommt ihr endlich?“
Vor einem Türrahmen stehen Paare verschiedener Schuhe – Turnschuhe, schwarze Lederschuhe und Sandalen – vorn ist ein roter Teppich mit weißen Ornamenten zu sehen.
Neue Regeln in der ehemaligen Kirche: Vor dem Eintreten bitte die Schuhe ausziehen.© picture alliance / dpa / Axel Heimken
Denn die Sanierungsarbeiten zogen sich einige Jahre hin. Seit Anfang 2019 wird das Gebäude nun als Moschee genutzt. Vor dem Eingang zieht man die Schuhe aus, und drinnen lädt ein großer roter Teppich die Gläubigen zum Beten ein. Die Gemeinde hat eine Empore eingebaut als Frauenbereich.
Es gibt eine Gebetsnische für den Imam und an den Wänden einige arabische Kalligrafien, erklärt Daniel Abdin: „Eine Sure aus dem Kapitel Maria aus dem Koran haben wir explizit zu Ehren des Gebäudes ausgesucht.“

“Menschen denken Gesellschaft in Gebäuden”

Während Abdin erzählt, kommen einige junge Erwachsene in die Moschee und beginnen zu beten. Dass das Gebäude früher eine Kirche war, scheint hier in der Gemeinde niemanden zu stören. Abdins Fazit, drei Jahre nach der Moschee-Eröffnung: „Wir sind gut angenommen in Hamburg-Horn, und es funktioniert wunderbar. Also harmonisch.“
Innenraum der ehemaligen Kapernaum-Kirche in Hamburg Horn, durch bunte Facettenfenster fällt Licht hinein, links im Bild: die neu eingebaute Empore für Frauen zur künftigen Nutzung des Gebäudes als Moschee.
Eine Empore für Frauen: Im Jahr 2015 hatten die Umbauarbeiten in der ehemaligen Kapernaum-Kirche bereits begonnen.© picture alliance / dpa / Axel Heimken
Der Religionswissenschaftler Mehmet Kalender hat das Projekt begleitet. „Ich glaube, das ist etwas, was viele Menschen sehr angesprochen hat in dem Stadtteil, dass das eine Art Wiederbelebung durch die Moscheegemeinde bedeutete“, sagt er. Kalender lebt in Hamburg, forscht unter anderem zu religiösen Räumen und weist darauf hin, „dass wir als Menschen zutiefst daran gewöhnt sind, unsere Gesellschaft in Gebäuden zu denken.“
Daher sei es nicht verwunderlich, dass die Umwandlung einer Kirche in eine Moschee auch negative Reaktionen hervorrufe, sagt Mehmet Kalender: „Jenseits des rein funktionalen Aspekts hat so ein religiöses Gebäude ja auch einen tiefen emotionalen Wert – zumindest für die Mitglieder dieser religiösen Gemeinde.“

Aus der Tiefgarage ans Tageslicht

Dieser Wert verschwinde nicht einfach, wenn das Gebäude als Kirche aufgegeben wird. Denn er stecke gewissermaßen „in den Steinen und in diesen Buntglasfenstern und in dem Kirchturm“, sagt Kalender.
Auch der Al-Nour-Vorsitzende Daniel Abdin weiß um den emotionalen Wert der ehemaligen Kirche. Und er schätzt das Gebäude auch selbst, etwa die alten Kirchenfenster: "Das sieht wunderschön aus. Also, das sind bunte Gläser, und wenn die Sonne darauf scheint, dann haben wir eine Flut an verschiedenen Lichtern und Farben."
Das passe auch gut zum Namen der Gemeinde: Al-Nour, das bedeutet auf Deutsch "das Licht". „Vorher waren wir in einer Tiefgarage und das 25 Jahre lang“, erzählt Abdin. Tageslicht habe es dort nicht gegeben, nur Neonröhren: „Die Räume waren feucht, dunkel. Im Winter eisig kalt, im Sommer stickig.“

Vorzeigeprojekt, aber wohl ein Einzelfall

Solche Zustände kennen viele islamische Gemeinden in Deutschland mit sogenannten Hinterhofmoscheen. Nicht nur für den Komfort, auch für die Integration der Muslime sei es jedoch wichtig, dass Moscheegemeinden gut sichtbare Räume beziehen, meint Daniel Abdin. Dennoch spricht er sich dagegen aus, dass in Deutschland weitere Kirchen in Moscheen umgewandelt werden:
"Dieses Projekt, es ist eine Ausnahme und muss eine Ausnahme bleiben. Meiner Überzeugung nach: Umwandlung diverser leer stehender Kirchen in Moscheen sind keine Alternative." Weil das auch die Kirchen so sehen, wird die Hamburger Moschee in einer ehemaligen Kirche wohl eine Ausnahme bleiben, obwohl sie durchaus als Vorbild taugen würde.

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