Akwaeke Emezi: "Süßwasser"

Zu Hause im Dazwischen

Hat mit "Süßwasser" einen hochgelobten Debüt-Roman verfasst: die nigerianisch-stämmige Schriftstellerin Akwaeke Emezi.
Akwaeke Emezi: "Ich schreibe, seit ich fünf Jahre alt bin." © Verlag Bastei Lübbe / Elizabeth Wirija
Akwaeke Emezi im Gespräch mit Andrea Gerk · 07.09.2018
Von der Kritik hochgelobt: Akwaeke Emezis Einwanderergeschichte "Süßwasser" über eine junge Nigerianerin in New York, die über mehrere Ich verfügt. Diese sind kein Ausdruck einer psychischen Störung, sondern wurzeln in ihrer Kultur, erklärt die Autorin.
Andrea Gerk: Von einer Frau, die zwischen den realen Welten steht und auch noch mit vielen Identitäten in ihrem Inneren jongliert, erzählt Akwaeke Emezi in ihrem vielgelobten Debütroman "Süßwasser". Das Dazwischen scheint auch der Raum zu sein, in dem Akwaeke Emezi selbst zu Hause ist: Ihre Eltern sind Tamilen und Igbo, das ist eine nigerische Ethnie, denn dort in Nigeria ist Akwaeke Emezi auch aufgewachsen.
Sie hat in New York Verwaltungswissenschaften studiert, wo sie auch heute lebt, und sie beschreibt sich als queer, das heißt, sie versteht sich weder als weiblich noch als männlich. Bei ihrem Besuch in Berlin hatte ich Gelegenheit, mit Akwaeke Emezi über ihr Buch zu sprechen. Guten Tag, schön, dass Sie hier sind! Welcome, nice to have you here!
Akwaeke Emezi: Thank you for having me!

Das Trauma des eigenen Körpers

Gerk: Ihre Hauptfigur in dem Roman "Ada" hat in ihrem Inneren ja eine Menge Mitbewohner: Stimmen, Geister, verschiedene Identitäten, die aber gar nicht unbedingt so zerstörerisch daherkommen, sondern eher etwas Kraftvolles haben. Wie sind Sie auf diese Perspektive gekommen?
Emezi: "Süßwasser" ist ein autobiografischer Roman, und vieles aus dem Buch basiert auf meiner eigenen Erfahrung, die ich selber gelebt habe. Und so ist auch diese Idee entstanden, multiple Ichs zu haben. Das ist einfach Teil meines Lebens. Ich habe deshalb entschieden, die Geschichte aus dieser Perspektive zu erzählen, aus der Perspektive dieser verschiedenen Wesen.
Gerk: Die Stimmen in Ada, die werden ja nach einem traumatischen Erlebnis wach. Sie wird in den USA vergewaltigt, und sie spaltet sich daraufhin in viele Persönlichkeiten auf. Im Roman heißt es, viele Dinge sind besser als ein vollständiges Gedächtnis. Ist das, kann so etwas auch ein Rettungsversuch sein?
Emezi: Ada hat viel mit Verkörperungen zu tun. Damit beschäftigt sie sich: in ihrem Körper zu sein. Das bringt alleine schon verschiedene Traumata mit sich für sie, mit diesem Körper zu tun haben permanent, und daraus, aus diesem Traumata heraus entwickelt sie diese anderen Ichs, diese anderen Wesen. Sie benennt sie, sie erschafft sie, sie kreiert sie, aber sie sind auch gleichzeitig sie selbst. Ich habe sie an einer Stelle als ein singuläres Kollektiv bezeichnet, aber auch als ein plurales Individuum.

Wurzeln in der Igbo-Kultur

Gerk: Aber kann darin auch nicht nur Leid, sondern auch eine Kraft stecken, eine spezielle Energie? Zumindest wirkt es in Ihrem Text oft so.
Emezi: Ich denke, es geht gar nicht um Leid. Teilweise vielleicht, wenn es darum geht, in diesem Körper gefangen zu sein, aber diese Wesen, die multiplen Persönlichkeiten bringen vor allem eine Komplexität mit sich und eine Möglichkeit, mit der Welt umzugehen, in der sie lebt, und auch eine Klarheit, eine Klarheit dieser ganz und gar abgegrenzten Persönlichkeiten, dieser ganz klar abgegrenzten Ichs.
Igbo-Maske aus Nigeria, die für Feste und Beerdigungen verwendet wurde.
Igbo-Maske aus Nigeria© imago / United Archives International
Gerk: Die Geister, die da auch sprechen, die haben ja zum Teil richtige Persönlichkeiten und Namen, und sie kommen wohl aus der Kosmologie des Igbo-Volkes. Es gibt, das habe ich gelesen, bei den Igbo Maskenfeiern, und das, fand ich, passt ja irgendwie auch sehr gut zu Ihrem Roman, diese verschiedenen Identitäten. Was passiert bei diesen Maskenfeiern, was macht es mit einem Menschen, eine Maske zu tragen?
Emezi: Ein Großteil von "Süßwasser" basiert auf dieser Igbo-Anthologie, bestimmte Aspekte werden einzeln hervorgegriffen, hervorgehoben, wie zum Beispiel der der Ogbanje. Die Masken, die Maskerade ist nur eine weitere Facette der Igbo-Kultur, der Igbo-Realität. Ich habe so eine Realität gewählt, weil ich sie als real einführen wollte, ich wollte sie als wahr darstellen und einführen.
Das liegt daran, dass sie so lange nicht als real, nicht als wahr angesehen wurde aufgrund der Kolonialisierung. Wir sind kolonialisiert worden in Nigeria, und alles, was es vorher war, was es vorher gab, was vorher als wahr und real galt, war plötzlich nicht mehr real und plötzlich nicht mehr wahr. Und das ist ein Verlust und dagegen wollte ich vorgehen. Was ist, wenn wir das jetzt wieder als real akzeptieren, was früher als wahr galt und so eine Geschichte erzählen, die darauf basiert?

Toni Morrison als Inspirationsquelle

Gerk: Frauen, die Stimmen hören, multiple Persönlichkeiten haben, das hat ja in der Literatur eine große Tradition. Virginia Woolf, Margaret Atwood oder auch Toni Morrison sind mir da eingefallen, die über Frauen mit fragmentierten Identitäten geschrieben haben. Hat Sie das inspiriert oder wovon haben Sie sich anregen lassen?
Emezi: Eigentlich nicht wirklich. Also, ich muss zugeben, dass ich weder Woolf noch Atwood gelesen habe. Toni Morrison schon, und was ich von ihr erhalten habe, ist vor allem für mich selber die Erlaubnis zu haben, so eine reichhaltige, so eine reiche, volle Sprache zu benutzen, und das zu einer Zeit, wo viele sehr um einen minimalistischen, sauberen, klaren, einfachen Stil bemüht waren. Das ist nicht Toni Morrisons Stil. Ich war froh, auch einen reichen, vollen Stil, eine reichhaltige Sprache verwenden zu können für "Süßwasser".
Was interessant ist bei den Recherchen über Ogbanje, die ich vor dem Buch betrieben habe, habe ich auch eine Verbindung zu Morrison gefunden, dass nämlich eine Figur aus ihrem Roman "Beloved" als Ogbanje gesehen werden könnte. Das ist die Figur dieses Kindes, das stirbt und dann wiederkommt, um die Mutter zu quälen. Und mir gefällt diese Verbindung, muss ich sagen.

"Ich schreibe, seit ich fünf Jahre alt bin"

Gerk: Gibt es denn auch in der nigerianischen Kultur, über die wir schon gesprochen haben, Erzähltraditionen, die Sie beeinflusst haben, die wir hier wahrscheinlich gar nicht kennen?
Emezi: Ich weiß nicht genau, wie ich das beantworten soll, weil das ganze Buch eigentlich in der nigerianischen oder in der Igbo-Realität verwurzelt ist. Also alles, was ich da erzähle, hat irgendwie damit zu tun.
Gerk: Wenn ich recht informiert bin, schreiben Sie ja schon an Ihrem vierten Buch. Was treibt Sie denn überhaupt zum Schreiben an, was ist so Ihr innerer Antrieb, schreiben zu wollen?
Emezi: Ich schreibe, seit ich fünf Jahre alt bin. Also, da habe ich angefangen zu lesen, und ich mochte schon immer gerne Geschichten, und dann habe ich angefangen, kleine Bücher zu schreiben, kleine Geschichten, die meine Mutter alle aufgehoben hat, und das hat mich dann mein Leben lang als Hobby begleitet. Und vor einigen Jahren haben mich Freunde angesprochen, ich soll das doch mal professionell machen.
Also, ich hatte schon eine lange Zeit einen Blog gehabt im Internet. Ja, und nach dieser Empfehlung habe ich mich dann für ein Kreatives-Schreiben-Programm beworben, für ein Studium, da habe ich ein Stipendium bekommen und habe in meinem ersten Jahr dort dann "Süßwasser" geschrieben.

"Jede Art von Schreiben ist politisch"

Gerk: Es ist ja durchaus auch ein politisches Statement, zu zeigen in so einem Text, wie fragil Identität ist, ob es dabei ums Geschlecht oder um die Psyche geht, und eben so offen darüber zu schreiben, auch wenn es sich auf die eigene Person bezieht, wie Sie ja gesagt haben. Sehen Sie sich denn auch in dieser Hinsicht als politische Aktivistin?
Emezi: Ich sehe mich nicht als politische Aktivistin, aber ich denke, dass jede Art von Schreiben politisch ist.
Gerk: Was würden Sie denn sagen, mit Ihrer Erfahrung, mit Ihrem Lebensweg, was Identität überhaupt ist? Das ist ja ein großes Thema, über das viel diskutiert wird.
Emezi: Ich sehe es so, dass es eine interne und eine externe Art und Weise gibt zu sein. Die externe Seite, die man hat, das ist die, die die anderen sehen, das unterscheidet sich aber sehr stark, und ich unterscheide darin, wie ich mich in der Welt bewege und wie andere mich sehen. Und wie ich mich in der Welt bewege, wird dadurch oft beeinflusst, wie andere mich wahrnehmen, wie sie einen kategorisieren, welche Labels sie einem geben, welche Schubladen sie aufmachen. Labels, die ich teilweise auch selber benutze, auch wenn ich vielleicht nicht damit einverstanden bin, was sie sagen, aber das spielt dabei keine Rolle eigentlich. Man denkt so, aber es gibt immer zwei Realitäten, die gleichzeitig existieren, was Identität betrifft.

"Menschen sind, was sie tun"

Gerk: Aber Identitäten können sich ja auch ändern, das weiß man ja, durch alle möglichen Faktoren. Gibt es denn trotzdem, obwohl sie so fragil und brüchig sind, so etwas für Sie wie einen unverbrüchlichen Kern?
Emezi: Ich glaube unbedingt nicht an die Idee eines essenziellen Selbst. Menschen sind, was sie tun, und es gibt immer Veränderungen, wie Sie gesagt haben, es gibt immer Wechsel.
Gerk: Wenn das stimmt, was Sie sagen, dass Menschen das sind, was sie tun, dann muss ich natürlich noch wissen, was tun Sie gerade, woran arbeiten Sie?
Emezi: Ich mache Bücher. Das ist das, was ich liebe. Das ist das, was mir am meisten Spaß macht, und ich versuche das so nachhaltig wie möglich zu gestalten, damit ich es noch lange Zeit machen kann, dass ich davon leben kann und das so stressfrei zu machen, wie es geht, mit einem Frieden, der mir erlaubt, gut arbeiten zu können.
Gerk: Akwaeke Emezi, vielen Dank, dass Sie hier waren und auch an unsere Übersetzerin Marei Ahmia vielen Dank! Thank you very much for being here!
Emezi: Thank you so much for having me!
Gerk: Der Roman, über den wir sprachen, ist auf Deutsch unter dem Titel "Süßwasser" erschienen im Eichborn-Verlag, 287 Seiten kosten 24 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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