Aktionskunst zur Völkerschlacht

Von Carsten Probst · 19.10.2013
Die Völkerschlacht in Leipzig, bei der Russland, Preußen, Österreich und Schweden vor 200 Jahren Napoleons Truppen besiegten, war ein einziges Gemetzel. Das Gedenken an die Opfer nutzte die rumänische Künstlerin Alexandra Pirici für eine Performance - die teils für Empörung sorgte.
Eine lange Menschenschlange schiebt sich den Anstieg zum Völkerschlachtdenkmal hinauf, an dem es trotz der Weitläufigkeit des Geländes an diesem Wochenende noch einmal eng wird. Der See der Tränen um die gefallenen Soldaten wird flankiert von Buden, die Luft geschwängert von Jahrmarktdünsten und den Schlagermelodien vorn von einer Bühne am Sockel des Denkmals, vor dem sich bei schönstem Herbstwetter abermals eine hundert Meter lange Menschenschlange gebildet hat, denn heute ist der Eintritt ins Monument frei.

All diese Menschen kommen vermutlich nicht wegen der Performance, die die rumänische Künstlerin Alexandra Pirici oben in der gewaltigen Ruhmeshalle veranstaltet – dennoch verursacht sie hier einige Aufregung, wenn sich die Besucher die steilen Treppen hinaufgequält haben, und dann auf den vier wilhelminischen, fast zehn Meter hohen Kolossalstatuen der "Deutschen Tugenden" Menschen sitzen oder liegen sehen. Manche reden gar von Skandal, als sie hören, dass es sich um eine Aktion von Künstlern handelt.

"Ich würde sagen, die achten doch gar nicht diese wunderbaren alten Figuren. Das ist doch eine Verschandelung, finde ich. Das muss man doch achten, diese Sachen!"

Besucher reagierten mit Unverständnis
Franciska Zolyom, die Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, ist an diesem Nachmittag im Großeinsatz, um Vermittlungsarbeit zu leisten und allen, die vielleicht Fragen zum Sinn dieser Performance haben, mit verständlichen Erklärungen zur Seite zu stehen. Nicht immer, aber doch auffallend oft gelingt ihr das wie im Fall der empörten Besucherin:

Zolyom: "Das Programm zu diesem 200-jährigen Jubiläum steht im Zeichen der Europäischen Integration. Und wenn Sie sehen, dass Frau Merkel in Griechenland mit Hakenkreuzen empfangen wird, dann ist ja die Kritik der Griechen, dass Deutschland zu übermächtig ist, zu stark ist. Also es ist vielmehr die Frage, brauchen wir nicht auch mal Momente der Schwäche, wo man nicht leistungsfähig ist? Ist ein Mensch nicht dennoch ein Mensch, auch wenn er nicht in ständiger Bereitschaft zur Verfügung steht?"

Besucherin: "Ach so. Das soll das Menschliche zeigen, also wie der Mensch auch praktisch..."

Zolyom: "Genau, also das Monument wurde ja auch für Menschen gebaut!"

Auf den Knien der Kolossalfigur der "Opferbereitschaft", die dem Schicksal ergeben zu trotzen scheint, liegt in fünf Metern Höhe ein junger Mann. Er sieht aus als ob er schläft oder zusammengebrochen wäre, und regt sich die ganze Zeit über nicht. Gegenüber, im Schoße der "Volkskraft", einer Frauenfigur, die an ihren Brüsten zwei Jungen nährt, hält eine ganz reale junge Frau ausgiebig Picknick. Die Tugend der "Tapferkeit" wird durch einen Workaholic verfremdet, der auf ihren Knien unentwegt am Computer sitzt, und die "Glaubensbereitschaft" trägt auf ihren Beinen einen Mann, der mit dem Rücken zum Publikum die Arme erhebt und unentwegt zu beten scheint.

"Einige Leute werden sich erst einmal fasziniert fühlen von der schieren Größe dieses Raumes. Und wenn Sie wollen, können Sie leicht herausfinden, was die Statuen bedeuten, dass sie die vier deutschen Tugenden symbolisieren. In gewisser Weise war ich aber auch an abstrakten Empfindungen interessiert, wenn man sieht, wie diese riesigen Statuen von den menschlichen Körpern in gewisser Weise Besitz ergreifen, wie Bilder funktionieren und gemacht werden, in Verbindung mit einer gewissen Ideologie..."

... sagt die Künstlerin Alexandra Pirici, die dieses Projekt lange vorbereitet und den Ort genau studiert hat. Ihr gehe es nicht um einen Anschlag auf dieses Denkmal, betont sie immer wieder, auch nicht um das Lächerlichmachen von etwas typisch Deutschem.

Zusammenklang von Kunst und Macht
Auf der diesjährigen Biennale in Venedig ließ sie im rumänischen Pavillon die über hundertjährige Geschichte der Biennale nachstellen, indem ihre Performance-Akteure berühmte Kunstwerke aus dieser Zeit nachstellten. Der Zusammenklang von Kunst und Macht interessiert die junge Rumänin schon aus der Geschichte ihres eigenen Heimatlandes, und sie glaubt, dass dieser Zusammenklang immer besteht, unabhängig vom politischen System.

Joanna Warsza, eine international erfahrene Kuratorin, die in Berlin und Warschau lebt, hat die Performancereihe "Performative Democracy" entwickelt, zu der auch Piricis Aktion gehört:

"Ein anderer Aspekt, der uns speziell an diesem Denkmal interessiert hat, neben dem seiner Größe, besteht in seiner Geschichte, in der eigenen Lesart, die jede politische und historische Ära von diesem Ort hatte: sei es in den 20er-Jahren, den 30ern, den 40ern; während der DDR und nun nach der Wiedervereinigung. Und mir als Kuratorin dieser Reihe 'Performing Democracy' geht es darum, die Kunst der Gegenwart darauf anzuwenden, als ein Übungsfeld für gesellschaftliche und politische Probleme."

Warsza geht es in verschiedenen Projekten um immer dieselbe Frage: welche Funktion Kunst eigentlich in der Demokratie hat, ob sie tatsächlich die Wahrnehmung und Meinungsbildung schärfen kann. Kann sie politisch sein, ohne zur politischen Mitspielerin zu werden? Nach Alexandra Piricis Untersuchung des Denkmalkultes in heutiger Zeit sind demnächst in Leipzig noch Aktionen mit den Künstlern Ulf Aminde und Pablo Helguera zu weiteren politischen Kulturpraktiken wie der Rhetorik oder der Orchestermusik geplant.
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