Akos Doma: "Der Weg der Wünsche"
Rowohlt, Berlin 2016
336 Seiten, 19,95 Euro
Eine Odyssee aus Entbehrung und Not
Ungarn 1972: Die Familie Kallay wagt die Flucht nach Italien. Doch der Traum von einem besseren Leben verwandelt sich am fremden Ort zu einem Alptraum aus Entwurzelung und neuen Abhängigkeiten.
Die Romanhandlung beginnt Anfang der 1970er-Jahre in Budapest. Die Familie Kallay feiert mit Verwandten den siebten Geburtstag des Sohnes im Garten. In der Wohnung wäre es zu eng.
Seit vielen Jahren bewohnen die Eltern zusammen mit ihren zwei Kindern ein Zimmer von 16 Quadratmetern. Als die Mutter Teréz Kallay wegen fehlender Parteizugehörigkeit und ihrer religiösen "Uneindeutigkeit" als Biologin in eine Provinzstadt versetzt und damit degradiert wird, entsteht der Wunsch zur Flucht.
Ein Jahr später, im August 1972, setzt sich die Familie in ihren vollbepackten VW-Käfer. Doch nicht an den Plattensee geht es, wie die Kinder glauben, sondern auf eine Odyssee aus Entbehrung und Not.
Nüchtern beschreibt Akos Doma die Versuche, über die jugoslawische Grenze zu kommen und schließlich das neue Leben in Italien.
Keine Privatsphäre im Lager
Desaströs sind die Verhältnisse im Lager nahe Neapel, wo es keine Privatsphäre gibt, wo Ratten Lebensmittel durchwühlen und eine würdige Behausung nur durch Gegenleistung zu ergattern ist - bis hin zur Prostitution.
Térez wählt schließlich nach Monaten genau diesen Weg, um den ersehnten Asylbescheid zu bekommen und Richtung Deutschland weiter zu reisen.
Temporeich und spannend erzählt Akos Doma. Er lässt es an dramatischen Momenten – zum Schluss allzu stark – nicht fehlen.
Einfühlsame Figurenzeichnung
Über die äußere Drastik hinaus beeindruckt das Buch durch die Sensibilität im Umgang mit den Figuren. Einfühlsam schlüpft Akos Doma abwechselnd in die Gefühls-und Gedankenwelt sowohl der beiden Kinder als auch ihrer Eltern. Er begleitet den achtjährigen Misi bei seinen einsamen Streifzügen über das Gelände des Lagers, schildert eindrucksvoll die Wucht der ersten Liebe seiner 15-jährigen Schwester Bori.
Vor allem aber beschreibt Akos Doma plastisch die Zerrissenheit und Zweifel der beiden Erwachsenen Teréz und Károly, deren unterschiedliche Traumata während und nach dem Zweiten Weltkrieg das zentrale Thema der Entwurzelung in Rückblenden noch verdichten.
"Sie waren ihrem Ziel in den zwei Monaten ihrer Flucht keinen Millimeter näher gekommen, im Gegenteil, er hatte das Gefühl, nach zwanzig Jahren wieder im Ziegenstall von Pusztaföldvár angekommen zu sein."
Akos Doma, 1963 in Budapest geboren, hat in seinem dritten auf Deutsch verfassten Roman autobiografische Motive verarbeitet. Seine Familie floh in den 1970er Jahren mit dem Auto aus Ungarn. Ein mitleidiger Grenzbeamter ließ die Familie damals trotz fehlender Ausreise-Dokumente die jugoslawisch-italienische Grenze passieren – ganz wie im Roman.