Ai Weiwei, Superstar: So viel Pressetrubel war noch nie in der (zugegeben noch reichlich kurzen) Geschichte der
Albertina Modern. Und es gab ja auch einiges zu sehen: den Künstler, wie er die Fotografen und Journalisten, die ihn ablichteten, als gäbe es kein Morgen, höflich lächelnd zurückknipste, wie Ai Weiwei es immer macht.
Und eine fast schon überwältigende Menge an Arbeiten aus Marmor, Holz, Metall und Lego, die das Lebenswerk des chinesischen Allroundkünstlers seit den frühen 80er-Jahren dokumentieren. 50 Tonnen Material mussten für die Wiener Ausstellung bewegt werden – Ai-Weiwei hat es gern wuchtig – auch das eine rekordverdächtige Zahl.
Eine friedliche Ära geht zu Ende
Im Umfeld der Schau äußerte sich der Künstler nicht nur zu seinen Arbeiten, sondern – alles andere wäre eine Sensation gewesen – auch zu aktuellen politischen Fragen, vor allem natürlich zum Putinschen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
„Es war natürlich ein Schock, der Krieg war unvorhersehbar. Aber er ist jetzt so real und so nahe. Wir sehen, dass unser friedliches Leben und unsere friedliche Ära zu Ende gehen. Es kam so plötzlich, und man konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass es in Europa einen Krieg geben würde und so viele Flüchtlinge und viele Tote. Und das geht jetzt noch weiter. Jeder ist in Panik. Die Welt braucht jetzt eine klare Schlussfolgerung aus dieser Lage. Wir brauchen Frieden. Stoppt den Krieg. Wo immer auf der Welt. No war!“
Ai Weiwei
„Bleib erschütterbar und widersteh“: Die berühmte Forderung des Dichters Peter Rühmkorf könnte als Motto auch über dem Lebenswerk Ai Weiweis stehen. Ästhetische und politische Arbeit, Kunst und Aktivismus sind im Schaffen des Unruhestifters mit chronisch weltverbesserischer Agenda nicht voneinander zu trennen.
Bilder aus dem Haftalltag: "S.A.C.R.E.D. (i) S upper" aus dem Jahr 2013.© Courtesy Ai Weiwei Studio and Lisson Gallery/Ken Adlard
Ob er die 81 Tage, die er in chinesischer Isolationshaft verbringen musste, als laterna-magica-artige Installation nachstellt oder die irrlichternde Navigationsroute von Carola Racketes Flüchtlingsschiff „Sea Watch 3“ als Lego-Relief präsentiert, ob er das Laufband, auf dem Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London tagtäglich zu trainieren pflegte, als Readymade zum Ausstellungsobjekt macht oder Plüschpandas mit geschreddertem NSA-Material ausstopft: In Ai Weiweis Kunst, und das ist das Verblüffende, bleibt immer auch ein bisschen Platz für subversive Leichtigkeit, bei aller Ernsthaftigkeit, die diese Arbeiten auszeichnet:
„Meine ganze Kraft kommt aus der Enttäuschung, aus der Desillusion. Und wenn du bemerkst, dass dein Leben verschwendet wäre, wenn du nicht für die Wahrheit kämpfst, wenn du die verschiedensten Arten von Propaganda hörst und die Beschränkungen akzeptierst, dann hast du verloren.“
Ai Weiwei
Ai Weiwei ist heute 64. Er lebt im Alentejo, einer ländlichen Region, 80 Kilometer östlich von Lissabon. Hier will er noch ein paar Jahre bleiben und seiner Arbeit nachgehen.
Künstler ohne Illusionen
Über den Charakter von autoritären Regimes wie denen in Russland und China macht sich der Künstler keine Illusionen, hat er sich auch nie gemacht. Sein Vater, ein in Maos Kulturrevolution gedemütigter Dichter, und er haben am eigenen Leib verspürt, was diktatorische Systeme missliebigen Bürgerinnen und Bürgern antun:
„Die Natur der Macht liegt darin, dass sie weiter bestehen, das System der Macht schützen will. Das ist ein Naturgesetz. In einem autoritären Staat werden dafür die Möglichkeiten und Freiheiten aller beschnitten, die das infrage stellen. Da gibt es dann keine individuellen Rechte oder Menschenrechte. Nicht einmal die Idee davon gibt es. Da gibt es keine Möglichkeiten, das zu ändern. Denn wenn du es änderst, würden die Mächtigen verschwinden. Also tun sie alles, dass das nicht passiert – und sie werden dich zum Verschwinden bringen.“
Ai Weiwei
Im Falle Ai Weiweis ist das gottlob nicht gelungen. Die Ausstellung in der „Albertina Modern“ zeigt einen repräsentativen Querschnitt durch das Lebenswerk des unangepassten Künstlers.
Das Laufband von Julian Assange: "Assange‘s Treadmill" von 2017.© Courtesy Ai Weiwei Studio
Ai Weiwei hat zuletzt auch Kritikerinnen und Kritiker auf den Plan gerufen, die ihn für einen besseren Agit-Prop-Populisten halten, für einen effekthascherischen Simplifikateur, dem öffentliches Aufsehen im Zweifelsfall wichtiger sei als konzentrierte künstlerische Arbeit. Diese Kritik, das zeigt die Ausstellung in der „Albertina Modern“, ist ungerecht.
Wenn man sich auf die oft überraschend vielschichtigen Installationen, Bilder, Filme, Fotos und Skulpturen einlässt, die Ai Weiwei seit den frühen 80er-Jahren geschaffen hat, dann spürt man: Da hat einer jahre- und jahrzehntelang ernsthaft um künstlerische Antworten auf die Zumutungen dieser Welt gerungen. Und da ist einer, trotz allen Rummels, der um ihn gärt und brodelt, widerständig geblieben und immer auch: erschütterbar.