Ahmad Danny Ramadan: "Die Wäscheleinen-Schaukel"

Gebrochene Nase nach dem Coming-out

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Cover des Buchs "Die Wäscheleinen-Schaukel" von Ahmad Danny Ramadan vor einem teils orangefarbenen Aquarellhintergrund
Als die Hauptfigur in Ahmad Danny Ramadans Buch seinen Eltern sagt, dass er schwul ist, bricht ihm sein Vater die Nase. © Deutschlandradio / Orlanda Verlag
Von Marko Martin · 03.02.2021
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Der syrisch-kanadische Schriftsteller Ahmad Danny Ramadan erinnert sich in seinem Debütroman an eine Kindheit und homosexuelle Jugend in zwei Assad-Diktaturen. Ein reflexives Fabulieren von geradezu schmerzhafter Intensität, das Hoffnung auf mehr macht.
Sie schauen venezolanische Seifenopern im Fernsehen, hören Reggae-Songs und veranstalten private House-Partys: Teenager in den 90ern, die dann im Jahr der Jahrtausendwende zusätzlich Grund zu vorsichtigem Optimismus haben: Denn inzwischen ist auch der heimlich als "Monster" bezeichnete Staatschef endlich tot und sein Sohn übernimmt die Macht - ein ehemaliger, lange in London wohnhafter Augenarzt.
Mitunter fast märchenhaft ist der Ton, in dem der 1984 in Damaskus geborene syrisch-kanadische Schriftsteller Ahmad Danny Ramadan in seinem Debütroman "Die Wäscheleinen-Schaukel" von Kindheit, Jugend und schmerzhaftem Erwachsenwerden im Syrien der Assad-Diktatur erzählt. Inzwischen nämlich lebt der Protagonist - wie sein Autor 2012 aus Syrien geflohen - in Vancouver und fragt sich in der Rückschau immer wieder, welche seiner Geschichten auf welche Weise zu erzählen sei.

Schwuler Sohn zum Heiraten gedrängt

Er nämlich möchte weder journalistische Bürgerkriegs- und Flüchtlingstexte verfassen, noch sich in pseudo-naiven Erinnerungen verlieren. Letzteres aber wäre schon deshalb unmöglich, weil junge Syrer und Syrerinnen bereits ganz frühzeitig ein feines - will heißen: robustes und potenziell lebensrettendes - Sensorium hatten entwickeln müssen, um den Alltag in einer oberflächlich säkularen, jedoch äußerst brutalen Diktatur zu meistern. Doch selbst ihr Vorwarnsystem konnte manchmal fehlgehen.
So etwa, wenn der Ich-Erzähler ausgerechnet in jenem Sommer 2000, euphorisiert vom Ableben Hafis al-Assads, seiner Familie gesteht, dass er schwul ist. Der Vater bricht ihm daraufhin die Nase, und ein herbeigeholter religiöser Sheikh dekretiert, dass in solchen Fällen - wolle man den Sohn nicht zum Selbstmord drängen - nur eines helfe: "Du heiratest deine Cousine". Ähnliches widerfährt seiner guten Freundin Maryam, die lesbisch ist und nun ebenfalls verheiratet werden soll, währenddessen ihr jüngerer Bruder in den Kerkern der Diktatur verschwindet (inzwischen regiert Bashar al-Assad, der schon lange vor Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 allen Reformhoffnungen Hohn sprach).

Rahmenhandlung in ferner Zukunft

Doch erneut die Frage: Wie davon im scheinbar kometenweit entfernten Vancouver erzählen? Der Kunstgriff, die Rahmenhandlung in eine drei Jahrzehnte entfernte Zukunft zu verlegen, indem der Protagonist seinem inzwischen todkranken Ehemann, einem ebenfalls ehemaligen Syrien-Flüchtling, Scheherazade-gleich Bericht erstattet, ist freilich nicht ganz überzeugend. Denn wie könnte er wohl heute wissen, wie sich ein weit entferntes Morgen in Vancouver buchstabieren wird?
Und obwohl etwa das asketische "Helfersyndrom" gewisser kanadischer Aktivisten beschrieben wird, bleibt eher im Vagen, weshalb sich das Paar in Vancouver oft unbehaust fühlt. Das ist schade, denn: Welche erzählerischen Funken hätten sich schlagen lassen aus der Begegnung zwischen Bürgerkriegs-Überlebenden und den Eigenheiten selbstreferenzieller westlicher Wohlstandsgesellschaften, in denen man hauptsächlich damit beschäftigt scheint, Wörter wie refugee oder Flüchtling versus Geflüchteter auf deren vermeintliche semantischen Untiefen abzuklopfen.

Hoffnung auf weitere Bücher

Allerdings: Das partielle Nachlassen der Intensität fällt nur deshalb auf, weil Ahmad Danny Ramadan zuvor mit geradezu atemberaubender Meisterschaft ein Kaleidoskop der syrischen Gesellschaft gestaltet hat: Subversion des gleichgeschlechtlichen Eros, Fragmente von Fluchtbiografien, Erhofftes und unwiederbringlich Zerstörtes. Und bei all dem dieses fordernde Urvertrauen in die Fähigkeit der Sprache, die selbst dann noch ein Rettungsanker sein kann, wenn die eigenen Erinnerungen längst ausgeblichen und fadenscheinig geworden sind.
Die reflektierte Vitalität, mit der dieser Autor erzählt, lässt jedenfalls auf weitere Bücher hoffen. Mittlerweile ist sein Roman sogar ins Hebräische übersetzt, während er selbst wiederum die Texte des seit 2012 in Saudi-Arabien inhaftierten Bloggers Raif Badawi ins Englische übertragen hat. Auch das nämlich ist Globalisierung: Quasi weltreisende Individualgeschichten, die sich letztlich als stärker erweisen als die Propaganda-Slogans der Machthaber.

Ahmad Danny Ramadan: Die Wäscheleinen-Schaukel
Aus dem Englischen von Heide Horn und Christa Prummer-Lehmair
Orlanda Verlag, Berlin 2021
287 Seiten, broschiert, 22 Euro

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