Winter in Afghanistan

Familien in größter Not

Afghanische Männer vor einem Lastwagen mit Hilfslieferungen.
Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage braucht Afghanistan dringend Hilfslieferungen. © picture-alliance / Xinhua / Kawa Basharat
Christina Ihle im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
Die Not in Afghanistan ist groß: Viele Familien leiden an Hunger, sagt Christine Ihle, Geschäftsführerin des afghanischen Frauenvereins. Es gebe keine Arbeit mehr, als letztes Mittel gegen Hunger bleibe manche Familien nur, ihre Töchter zu verkaufen.
Mit den sinkenden Temperaturen verschärft sich die Notlage in Afghanistan. Internationale Organisationen wie das Kinderhilfswerk UNICEF warnen, dass bis zu eine Million Kinder über den Winter an Hunger sterben könnten.

Folgen des Zusammenbruchs der Wirtschaft

Für die afghanische Bevölkerung sei die humanitäre Lage die größte Sorge, sagt Christine Ihle, Geschäftsführerin des Afghanischen Frauenvereins, der im Land auch nach der Machtübernahme der Taliban tätig ist. "Es herrscht jetzt schon großer Hunger."
Nur eine von zwanzig Familien habe derzeit genug zu essen. Das liege am Kollaps der Wirtschaft und des Gesundheitssystems. Nun drohe auch noch der Zusammenbruch des Bankensystems, weil die internationale Gemeinschaft Gelder eingefroren habe.

Verkauf der Mädchen als letzter Ausweg

"Familien haben kein Einkommen mehr", so Ihle. Alle Überlebensstrategien funktionierten nicht mehr. Die Familienväter fänden keine Arbeit mehr, Kinder könnten sich nicht mehr als Tagelöhner auf dem Markt verdingen. Es fehle an Möglichkeiten, noch Geld zu verdienen.
Wenn dann alles verkauft sei, um die Familie noch ernähren zu können, bleibe nur noch als letzte Möglichkeit, der Verkauf und das frühe Verheiraten von Mädchen.
Das sei eine Überlebensstrategie, die nicht nur in Afghanistan praktiziert werde, sondern in allen Ländern, die von einem Zusammenbruch der Wirtschaft und von Hunger bedroht seien. "Da ist die internationale Gemeinschaft dringend gefragt, jetzt nicht mehr zu schweigen und zuzusehen, wie das Land kurz vor dem Kollaps ist, sondern endlich etwas zu tun, dass Familien nicht in diese Not geraten, ihre Mädchen zu verkaufen."

Hilfe vor Ort ist möglich

Seit der Machtübernahme der Taliban könne ihre Organisation vor Ort erstaunlich gut arbeiten und Hilfe leisten, sagt Ihle, deren Verein mit 190 überwiegend weiblichen Mitarbeitern in Afghanistan arbeitet.
"Wir leisten im Moment Winterhilfe in sehr großem Umfang, versorgen im Moment 88.000 Menschen mit unseren Projekten."
Da es derzeit keine Kämpfe in Afghanistan gebe, könne der Verein teilweise sogar besser arbeiten. Vorher seien Hilfstransporte oft eingeschränkt gewesen, weil man wegen bewaffneter Auseinandersetzungen beispielsweise in Kundus zeitweise nicht weiterkam.
Dennoch sei die Lage weiter schwierig und ungewiss, wie es weitergehe. Die Lage sei in den Provinzen unterschiedlich, je nachdem, ob die Taliban-Führer vor Ort eher moderater oder extremer seien.

Hoffnung auf Schulbesuche für Mädchen

"Es gibt Regionen, wo Frauen und Mädchen sich im Moment normal bewegen können, es gibt Regionen, wo das eben nicht möglich ist", sagt Ihle. Ein Erlass regele derzeit landesweit, dass alle Mädchen bis zur 6. Klasse zur Schule gehen dürften. Der Schulbesuch für ältere Mädchen sei dagegen noch nicht offiziell geregelt und werde in den Provinzen unterschiedlich umgesetzt.
Im Moment seien Winterferien bis zum 21. März. Danach wollten die Taliban auch den älteren Mädchen den Schulbesuch und ein Universitätsstudium erlauben. "Inwieweit das wirklich umgesetzt wird, das muss man abwarten."
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