Afghanistan

Einfach nur raus aus Kabul?

53:40 Minuten
Ein Wandbild des Künstlers Harry Greb in Rom zeigt einen Hubschrauber, der eine Frau in einer Burka an Seilen trägt.
Mit dem Truppenabzug in Afghanistan kehrt die Burka wieder: So sieht es der Künstler Harry Greb auf einem Wandbild in Rom. © IMAGO / Independent Photo Agency Int.
Moderation: Annette Riedel · 20.08.2021
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20 Jahre nach 9/11 ist der Afghanistan-Einsatz gescheitert, die Taliban sind zurück an der Macht. Terror bekämpfen, Frieden sichern, Demokratie aufbauen – hat sich der Westen verhoben? Müssen militärische Interventionen auf den Prüfstand?
Die überraschend schnelle, meist kampflose Machtübernahme der Taliban ist für die westliche Allianz eine bisher nicht dagewesene Niederlage. Müssen künftige Interventionen nur zu Beginn militärisch, dann aber vor allem zivil und entwicklungspolitisch ausgerichtet sein?

War alles umsonst?

Der Extremismusexperte Peter Neumann bilanziert: Der Einsatz gegen den Terrorismus hat etwas gebracht, die systematische Präsenz vom Al Kaida und IS mit ihren Terrorcamps wurde in Afghanistan durch die Mission "Enduring Freedom" vernichtet. Das später formulierte zweite Ziel, in Afghanistan einen neuen demokratischen Staat aufzubauen, sei allerdings gescheitert, so Neumann.
Auch der Journalist und langjährige Afghanistan-Berichterstatter Martin Gerner sagt, vor allem im Aufbau der Medien und in der Ausbildung von Journalisten sei nicht alles umsonst gewesen. Afghanistan habe stark aufgeholt, was individuelle zivile Rechte angehe. Der Westen sei aber an seinem eigenen Anspruch gescheitert. Der eigentliche Gegner sei die eigene Hybris. "Wir haben uns maßlos überschätzt!"

Militär ist nicht für Staatsaufbau geeignet

Der langjährige UN-Diplomat und Missionsleiter Wolfgang Weisbrod-Weber unterstrich, dass robuste Einsätze, in denen Krieg gegen eine Partei geführt wird, nicht sehr erfolgreich sind. Stabilisierende militärische Einsätze, die politische, wirtschaftliche und soziale Hilfsprozesse begleiten, seien aber erfolgversprechend – positive Beispiele seien Zypern, Osttimor, die Golanhöhen und auch der Balkan. Diese Prozesse dauerten aber Jahrzehnte, diesen langen Atem hätten Militärs nicht. Deshalb sollte man davon Abstand nehmen, dem Militär den Staataufbau zu übertragen.
Die in Afghanistan geborene Architektin Hila Limar, Vorsitzende der Kinderrechtsorganisation Visions for Children e.V., fordert künftig eine andere Mittelvergabe. In Afghanistan sei zu wenig in den zivilgesellschaftlichen Bereich investiert worden, die politischen Eigeninteressen der Geberländer hätten immer mehr im Vordergrund gestanden als die nachhaltige Entwicklung der Zivilgesellschaft. Statt als "weiße Retter" aufzutreten, sollten die Geberländer sich zurücknehmen und die Zivilgesellschaft in der Selbsthilfe stärken.

"Die Kriegführerei muss ein Ende haben"

Militärische und zivile Hilfe müssten vernetzt werden, sagt der Journalist Martin Gerner. Das gelte auch für Mali, wo es viele Parallelen zu Afghanistan gebe und die Bevölkerung zunehmend zwischen die Fronten gerate. UNO-Experte Weisbrod-Weber fordert ein Primat der humanitären Hilfe und der Menschenrechtspolitik. Das sei Aufgabe der UN, die auch in Afghanistan präsent bleiben werde. Die "Kriegführerei" müsse aufhören.
"In Afghanistan haben wir 20 Jahre eine Illusion gelebt", sagt der Politologe Neumann, das müsse man jetzt vermeiden. Deutschland könne jetzt eine zweite Petersberger Konferenz einberufen - analog zum Regierungsaufbau in Afghanistan Anfang der 2000er-Jahre. Das wäre eine positive Initiative für humanitäre Hilfe, auch im Hinblick auf die zu erwartenden Flüchtlingsbewegungen in der Region und nach Europa.
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(bk)
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