Abwickeln oder Aufarbeiten

Von Margarete Limberg · 15.05.2006
Schon vor der offiziellen Bekanntgabe des Konzeptes einer Expertenkommission zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit entbrannte darum Streit. So wurde kritisiert, die Kommission wolle die Birthler-Behörde abwickeln. Kulturstaatsminister Bernd Neumann versuchte deshalb, die Wogen zu glätten.
Schon bei der Präsentation der Empfehlungen zur Neuordnung der DDR- Aufarbeitung entspann sich eine heftige Auseinandersetzung zwischen der noch von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzten Kommission und dem Vertreter des Staatsministers für Kultur, Herrmann Schäfer.

Der stellte einige gereizte Fragen, fragte, ob denn die geteilte Wahrnehmung der DDR-Geschichte, die die Kommission beklagt, so schlimm sei, kritisierte, dass ausgerechnet eine deutsche Behörde wie die Birthler-Behörde dazu ausersehen sei, künftig auch die Geschichte der Diktaturen in Osteuropa aufzuarbeiten. Was das Ausland denn dazu wohl sagen werde? Und Schäfer verwahrte sich schließlich energisch gegen jeden Paradigmenwechsel der Aufarbeitung des SED-Unrechts vom Politischen hin zum Historisierenden:

"Unrecht muss Unrecht bleiben. Wir wollen in keinem Fall eine Relativierung des Begriffs der SED-Diktatur einleiten. Der Paradigmenwechsel hat Gott sei Dank auch nicht stattgefunden bezüglich des Themas NS. Wenn eine rechtsradikale Demonstration stattfindet, ist damit eine politische Auseinandersetzung gefordert und Sie wissen, dass die Bundeszentrale und die Landeszentrale das entsprechend tun, auch die Politik das tun muss. Aber daneben findet die historische Aufarbeitung des Themas statt und das Gleiche wird auch hier in diesem Falle notwendig sein."

Von einem Paradigmenwechsel ist in der letzten Fassung der Empfehlungen allerdings nicht mehr die Rede. Das ganze mutete stark wie eine Brüskierung der Kommission durch die Vertreter der Bundesregierung an. Vielleicht erklärt sich die Gereiztheit der Empfänger dadurch, dass die Empfehlungen schon in aller Munde waren, bevor sie ihre eigentlichen Adressaten im Kanzleramt erreicht hatten. Jedenfalls scheint dies dem Klima der Diskussion nicht unbedingt gut getan zu haben, die noch lange nicht beendet sein wird.

Der Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann, sah sich nach den Diskussionen der letzten Tage veranlasst, noch einmal die Bedeutung der Aufarbeitung des SED-Regimes hervorzuheben, nachdem einige Kritiker der Kommission vorgeworfen hatten, sie wolle ein weichgespültes DDR-Bild vermitteln:

"Es ist und bleibt ein zentrales Anliegen gerade und auch der neuen Bundesregierung, die SED-Diktatur konsequent und differenziert aufzuarbeiten, und zwar nicht nur historisch, das ist wichtig, sondern immer auch aktuell politisch."

Den Tendenzen zur Verklärung der DDR müsse man entgegentreten und die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, kurz Birthler-Behörde, bleibe dabei ein zentraler Baustein, betonte Neumann.

Die Zukunft der Birthler-Behörde war in den letzten Tagen in den Vordergrund der Debatte gerückt, weil in den Empfehlungen von einer gleitenden Neuorientierung ihrer Aufgabenstellung die Rede ist. Einige wittern deshalb bereits ihre Abwicklung.

Stattdessen soll sie nach dem Willen der Kommission, wenn sie eines Tages ihre derzeit noch zentralen Aufgaben der Gewährung von persönlicher Akteneinsicht und der Überprüfung von Bundesbürgern auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit hin erledigt hat, zu einem Dokumentations- und Bildungszentrum für den Themenbereich "Diktatur und Geheimpolizei" werden. Der Vorsitzende der Kommission, Martin Sabrow:

"Wir haben nicht - wie es in der Presse steht - der Abwicklung der Behörde das Wort geredet, wir haben keine Zeitvorgaben gemacht, sondern wir sind der Meinung, dass es der Gesetzgeber und die Öffentlichkeit selbst entscheiden müssen, wann die Kernaufgaben der BStU für abgearbeitet gelten können."

Die Birthler-Behörde soll neben dem ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen und der einstigen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße Kern des Aufarbeitungskomplexes Überwachung und Verfolgung sein.

Zwei weitere Säulen der Aufarbeitung hat die Kommission definiert: Den Komplex "Teilung und Grenze" soll die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße mit anderen Museen und Gedenkstätten an der ehemaligen innerdeutschen Grenze aufarbeiten.

"Herrschaft, Gesellschaft und Widerstand" ist der dritte große Komplex, in dem es um den Alltag unter den Bedingungen des SED-Regimes geht. Zu diesem Zweck soll in der Mitte Berlins ein "Forum Aufarbeitung" eingerichtet werden. Als eines der Defizite der bisherigen Beschäftigung mit der DDR hat Kommission die Vernachlässigung des Alltagslebens zwischen Widerstand und Nischenglück ausgemacht. Die Konzentration auf Überwachung und Verfolgung und auf die authentischen Orte der Repression habe nicht das ganze Bild der DDR widergespiegelt. Sabrow erläutert an einem Beispiel, was damit gemeint ist:

"Die mutige Handlung eines Demonstranten in der Rosa-Luxemburg/Karl-Liebknecht-Demonstration, der für wenige Sekunden ein kleines Zettelchen hochhält, einen Schild, "Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden - Rosa Luxemburg". So dauert eine solche Handlung vielleicht sechs Sekunden, dann wird eine solche Person niedergeworfen worden sein und der Rest mag sich dann in einer Zelle in Rummelsburg abgespielt haben. 10 oder 15 Jahre später ist der flüchtige Moment verloren, in dem dieser Zettel hochgehalten wurde. Er ist nicht sichtbar und er hat auch keinen Gedenkort. Die Haftzeit in Rummelsburg ist aus Beton, die hat ihren Gedenkort, ihre Dauerhaftigkeit. Und wir fanden, dass in einer Gedenklandschaft, die sich weiterentwickeln soll, dieser Ungleichmäßigkeit der naturwüchsigen Erinnerung, was die so genannten authentischen, auratischen Orte angeht, ein Ausgleich geschaffen werden müsse."

Die Empfehlungen, so versuchte man heute all jene zu beruhigen, die der Kommission vorwerfen, ohne ausreichende öffentliche Diskussion ans Werk gegangen zu sein, sollen ein Anstoß sein, kein fertiges Konzept. Die Auseinandersetzungen der letzten Tage, die Gereiztheit heute bei der offiziellen Übergabe sind wohl nur ein Vorgeschmack dessen, was noch bevorsteht.

Selbst eines der Kommissionsmitglieder, Freya Klier, hat sich von den Empfehlungen bereits distanziert, die ihrer Ansicht nach den Geist des Abwickelns atmen und den immer dreister auftretenden ehemaligen Stützen des SED-Regimes nicht offensiv genug entgegentreten. Genug Stoff also für die Anhörung, die Anfang Juni geplant ist.
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