Der schwierige Umgang mit der SED-Diktatur

Von Jacqueline Boysen · 10.05.2006
Eine Expertenrunde zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann ein neues Konzept vorgelegt. Sie empfehlen unter anderem der Stasi-Unterlagenbehörde einen Paradigmenwechsel. Sie möge sich von der politischen zur historischen Aufarbeitung umorientieren.
Der Bund sieht sich in der Pflicht, die Arbeit der verschiedenen unter seiner Obhut stehenden Stiftungen, Forschungs- und Gedenkstätten neu zu strukturieren. Heikelster Punkt: wie sieht die Zukunft der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit aus? Eine ihrer vornehmsten Aufgaben, die Überprüfung von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes auf eine eventuell unsaubere Vergangenheit und die zu enge Kollaboration mit dem Ministerium für Staatssicherheit ist weitgehend erledigt. Die Behörde gewährt Historikern, Journalisten und Privatpersonen Akteneinsicht, sie hilft Opfern bei Rehabilitierungen – und sie verfügt über eine eigene Forschungsabteilung.

Die Stasi-Unterlagenbehörde soll nach den Vorstellungen der Kommission "gleitend strategisch neu ausgerichtet" werden. Ihre bisherige Arbeit ist einmalig und beispielhaft für die Offenlegung von Relikten kommunistischer Geheimdienste, andere ehemalige sozialistische Staaten sind von dieser Offenheit weit entfernt.

Und doch empfehlen die Experten der einst "Gauck- Behörde" genannten Institution einen Paradigmenwechsel. Sie möge sich von der politischen zur historischen Aufarbeitung umorientieren. Die unabhängige Forschung unter ihrem Dach solle gestärkt werden und dazu sei die Stasi-Behörde einzubetten in die außeruniversitäre zeithistorische Wissenschaft. Wie andere Forschungseinrichtungen auch solle sie sich regelmäßig der Evaluierung durch den Wissenschaftsrat aussetzen. Zudem müsse die Erschließung und Auswertung der Akten natürlich weitergehen, und nicht zuletzt sei auch die persönliche Akteneinsicht betroffener Bürger weiter zu garantieren!

Die Übergabe der Akten an das Bundesarchiv würde den Zugang nicht verbessern, erklären die Experten, die dennoch langfristig für eine – Zitat – "archivrechtliche Normalisierung" plädieren. Sie brechen zudem eine Lanze für kleine Einrichtungen wie zum Beispiel das Robert-Havemann-Archiv, die es unbedingt zu fördern gelte, da sie das Bild der DDR komplettierten und dem Widerstand gewidmet sind.

Kritik üben die Experten am so genannten Regionalkonzept der Bundesbeauftragten Marianne Birthler, das die Schließung bürgernaher Außenstellen, also eine zentrale Struktur vorsieht!

Das Konzept der Experten setzt drei inhaltliche und organisatorische Schwerpunkte: Herrschaft, Gesellschaft und Widerstand sollen in einem Forum Aufarbeitung weiter erforscht und dargestellt werden. Unter der Überschrift Überwachung und Verfolgung sollen die Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen erhellt werden, eine Aufgabe, der sich die Gedenkstätte in der einstigen Haftanstalt des MfS in Hohenschönhausen, die einstige Zentrale in der Normannenstraße und die Stasiunterlagenbehörde gemeinschaftlich widmen sollten. Als drittes möge unter Federführung der Gedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin an verschiedenen authentischen Orten der deutschen Teilung und der Grenze gedacht werden.

Die Kommission attestiert dem Schulunterricht über die DDR erhebliche Defizite und stellt fest, es gebe eine geteilte Wahrnehmung der DDR, die in den alten Bundesländern kaum als Teil der gesamtdeutschen Geschichte verstanden werde. Sie warnt ausdrücklich vor einer Trivialisierung der DDR-Geschichte in den Massenmedien. Ziel müsse sein, die Verantwortung des einzelnen für das lange Bestehen der DDR sichtbar zu machen, die Diktatur nicht zu verharmlosen und damit die Fehler im Umgang mit nationalsozialistischem Unrecht nicht zu wiederholen.


Das Gespräch zum Thema mit dem stellvertretenden Feuilletonchef der "Welt", Rainer Haubrich, können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Player hören.