Abschiebungen nach Afghanistan
Hunderttausende Afghanen, die vor den Taliban geflüchtet sind, halten sich illegal in Pakistan auf - die pakistanischen Behörden wollen jedoch noch in diesem Jahr drei Millionen afghanische Staatsbürger abschieben © picture alliance / dpa / Nabila Lalee
Der Westen macht mit
04:20 Minuten

Iran schiebt massenhaft Afghanen in ihre Heimat ab. So wie Pakistan es schon seit Längerem tut. In dieser Situation wäre der Westen gefordert. Doch der macht sich indirekt zum Komplizen dieser Vertreibungen.
“Was ich im Iran erlebt habe, war besonders schlimm”, erzählt ein graubärtiger afghanischer Mann einem Journalisten nahe der iranischen Grenze. Dann beginnt er zu weinen. Ähnliches hörte ich zuletzt von meinen eigenen Verwandten. Einige von ihnen verstecken sich weiterhin im Iran. Andere sind bereits freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Seit dem Ende der israelischen und amerikanischen Angriffe haben die Repressalien gegen Afghanen und Afghaninnen im Iran massiv zugenommen. Ihnen wird vorgeworfen, “Spione” des Mossad oder “Terroristen” zu sein. Doch auch zuvor war der anti-afghanische Rassismus im Land omnipräsent.
Schätzungsweise leben etwa vier Millionen Menschen afghanischer Herkunft im Iran. Das Regime in Teheran hat einem Großteil von ihnen eine Deadline gegeben. Wer nicht freiwillig geht, wird mit Gewalt deportiert. Fast 700.000 afghanische Geflüchtete wurden seit Juni zurück in ihre Heimat verfrachtet. Es gibt Tage, an denen 20.000 bis 30.000 Menschen an der Grenze ankommen.
Auch Pakistan schiebt massenweise afghanische Geflüchtete ab
Ähnlich dystopische Zustände herrschen auch in Pakistan, einem weiteren wichtigen Nachbarland Afghanistans. In den letzten achtzehn Monaten wurden über eine Million afghanische Geflüchtete von Islamabad abgeschoben. Willkürliche Hetzjagden fanden statt. Menschen wurden enteignet, verhaftet und gefoltert. Auch in Pakistan, wo seit Jahrzehnten Millionen afghanischer Geflüchteter leben, werden die Menschen kriminalisiert und mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Ein Vorwand, um vom eigenen Versagen abzulenken. Immerhin war es vor allem Pakistan, das jahrzehntelang militant-islamistische Milizen wie die Taliban aufgrund eigener politischer Interessen unterstützte.
Zahlreiche Beobachter bezeichnen die jüngsten Ereignisse als eine der größten Massenvertreibungen der Gegenwart. Eine humanitäre Katastrophe, die ihresgleichen sucht, bahnt sich an. Denn das Taliban-Regime in Kabul interessiert sich nicht für all die Deportierten und kann ihnen auch gar nicht in irgendeiner Art und Weise helfen, weil es an Mitteln fehlt.
Im Vergleich zu früher fließen kaum noch ausländische Gelder, während internationale NGOs sich schon längst zurückgezogen haben. Die amerikanische USAID, die in Afghanistan weiter präsent war, wurde von Donald Trump vollständig eingestampft.
Die Nutznießer: die Taliban und autoritäre Regime
Die Bundesregierung hätte in Anbetracht der laufenden Katastrophe eine eindeutige Haltung einnehmen können. Sie hätte sich dabei nicht nur zu den grundlegenden Menschenrechten der Vertriebenen bekannt, sondern auch ihre eigene Verantwortung wahrnehmen können. In Pakistan sind nämlich auch Afghanen und Afghaninnen mit deutscher Aufnahmezusage von den Repressalien betroffen. Immerhin ist die gesamte internationale Staatengemeinschaft an der Misere in Afghanistan mit schuld.
Doch stattdessen springt Innenminister Alexander Dobrindt auf den Deportierungszug. In den letzten Wochen hat dieser mehrmals bekräftigt, zukünftig vermehrt afghanische Geflüchtete – der Fokus liegt noch auf Straftätern – nach Afghanistan abschieben zu wollen. Dafür möchte Dobrindt auch mit den Taliban in Kabul verhandeln. Tägliche Menschenrechtsverletzungen? Gefängnisse, die voll sind mit Dissidenten? Journalisten, die sich zensieren müssen? Mädchen, die nicht mehr in die Schule gehen dürfen? Für die Bundesregierung scheint all dies kein Problem zu sein.
Die großen Nutznießer werden nicht nur die Taliban sein, die seit ihrer Rückkehr vor vier Jahren nach jedweder internationalen Anerkennung lechzen, sondern auch jene autoritären Staaten, die in diesen Tagen Afghanen und Afghaninnen in Massen kriminalisieren und deportieren. Warum auch nicht, wenn der Wertewesten sich ihnen anschließt, anstatt dagegen zu protestieren?