Hamburger Flughafen

Der Alltag eines Abschiebebeobachters

06:24 Minuten
Der Abschiebebeobachter Moritz Rheinbach steht vor der Abschiebeeinrichtung der Bundespolizei am Hamburger Flughafen. Im Hintergrund ist der meterhohe Stahlzaun zu sehen.
Abschiebebeobachter Moritz Rheinbach arbeitet für die Diakonie und ist dabei, wenn Menschen am Hamburger Flughafen abgeschoben werden. © Deutschlandradio / Axel Schröder
Von Axel Schröder  · 25.10.2022
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Knapp 12.000 Menschen wurden im vergangenen Jahr aus Deutschland abgeschoben. Moritz Reinbach arbeitet für die Diakonie in Hamburg als Abschiebebeobachter und ist hautnah dabei, auch in der abgeschirmten Abschiebeeinrichtung am Flughafen.
Früh am Morgen lenkt Moritz Reinbach seinen Kastenwagen über die noch leeren Hamburger Straßen. Es geht weit raus, zum Flughafen in Fuhlsbüttel, Abschiebebereich der Bundespolizei. Abschiebungen finden dann statt, wenn die Stadt noch schläft.

Zur frühen Stunde

„Wir haben es jetzt kurz nach fünf, und man kann eigentlich schon sagen, dass das die gängige Zeit ist", sagt Rheinbach. "Manchmal ist es auch schon um vier, bei Sammelabschiebungen dann sogar noch früher.“ Er ist Anfang 30 und seit knapp zwei Jahren Hamburgs Abschiebebeobachter. Dadurch ist er vorab informiert, welche Abschiebungen - im Amtsdeutsch: welche Rückführungen - an welchem Wochentag stattfinden.
Heute steht eine Abschiebung eines jungen Mannes aus Ägypten an. "Ich kenne die Person nicht und demnach kann eigentlich immer alles passieren. Aber es kann natürlich auch ganz ruhig ablaufen.“

Im Auftrag der Diakonie

Reinbachs Arbeitgeber ist die Diakonie, bezahlt wird seine Projektstelle von der Hamburger Innenbehörde. Einmal pro Jahr werden die Berichte des Abschiebebeobachters veröffentlicht.
Reinbach fährt an der An- und Abflughalle vorbei, biegt rechts ab, parkt rückwärts ein. Rings um die Abschiebeeinrichtung der Bundespolizei zieht sich ein meterhoher Stahlzaun, dazu Stacheldraht und Videokameras. Sichtblenden verwehren einen Blick in den Hof. Reinbach steigt aus.

Besuch in der "Schleuse"

Fünf Minuten später öffnet ihm eine Bundespolizistin die Tür. Ich muss draußen bleiben. Journalistinnen und Journalisten dürfen bei laufenden Abschiebungen nicht dabei sein. Aber die „Sachbereichsleiterin Rückführung“ bei der Bundespolizeidirektion Hannover, Sandra Perlebach, steht bei einem Extratermin, hinter den Sichtblenden im Hof, für ein Interview bereit: „Wir stehen jetzt vor einem großen Rolltor, was sich dann natürlich öffnet, wenn Rückzuführende zugeführt werden", sagt sie. "Das können wir jetzt gleich mal machen.“ Vor uns gleitet das dunkelgraue Rolltor hoch, Perlebach geht vor: eine riesige, karge Garage, der Boden glänzend hellgrau.
„Wir nennen das hier ‚Die Schleuse‘", erläutert sie. "Das hat natürlich den Vorteil, dass man hier abgeschirmt ist von der Öffentlichkeit, sodass es hier keine Leute gibt, die vielleicht gaffen oder diesen Vorgang beobachten.“
Aufenthaltsraum am Hamburger Flughafen vor der Abschiebung. Neonbeleuchtet, rechts und links zwei weiße in die Wände eingelassene kahle Sitzbänke mit abgerundeten Ecken, eine schmale Matratze mit Kunststoffüberzug.
In der letzten Stunde, bevor das Flugzeug für die Abschiebung startet, stehen im Hamburger Flughafen zwei nüchterne Aufenthaltsräume mit Neonlicht zur Verfügung. © Deutschlandradio / Axel Schröder
Die letzte Stunde, bevor das Flugzeug startet, stehen zwei Aufenthaltsräume zur Verfügung. Neonbeleuchtet, rechts und links zwei weiße in die Wände eingelassene kahle Sitzbänke mit abgerundeten Ecken, eine schmale Matratze mit Kunststoffüberzug. Ein paar Meter weiter gibt es zwei Hafträume.

Unter Beobachtung

„Ähnlich wie im Aufenthaltsraum: wenig Möglichkeiten, dass sich die Person selbst verletzen kann", so Perlebach. "Das ist halt so. Da muss man halt drauf achten. Die Tür ist sehr dick und durch das kleine Fenster in der Tür hat man halt die Möglichkeit, die Person auch zu beobachten.“
Es gibt Wachsmalstifte und Gesellschaftsspiele, einen kleinen Kleiderfundus, einen Raucher- und einen Wickelraum. Um hier zu arbeiten, durchlaufen Bundespolizistinnen und –polizisten eine dreiwöchige Zusatzausbildung. Sie lernen, was zu tun ist, wenn Menschen um sich schlagen, wenn medizinische Notfälle auftreten. Aber auch das Thema „Empathie“ spielt eine Rolle.

Eine Zigarette zum Abschied

„Hier geht es wirklich darum, zu den Leuten eine Bindung aufzubauen und ihnen die letzten Stunden hier im Land so angenehm wie möglich zu gestalten", sagt Perlebach. Man komme ihnen da auch weit entgegen, in dem man sage: "'Hier komm, Sie können nochmal eine rauchen oder der möchten sie vielleicht was trinken?‘"

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Dass Reinbach der Bundespolizei bei ihrer Arbeit über die Schulter schaut, findet Perlebach gut. Allerdings arbeite man, gerade in Deutschland, schon heute auf hohem Niveau. „Daher her sehe ich eigentlich nicht, dass man da unbedingt besser werden muss.“

Resignation vor der Abschiebung

Reinbach verlässt nach anderthalb Stunden den Abschiebekomplex durch eine Stahldrehtür. Der junge Ägypter, der jetzt schon – vor allen anderen Passagieren - in einem Linienjet nach Kairo sitzt, ist ein koptischer Christ. Er hat den Abschiebebeobachter von seiner Angst erzählt, von der Diskriminierung, wegen der er vor zehn Jahren nach Deutschland geflohen war. Nun habe er resigniert.
“Eine betroffene Person, die alles andere als d’accord mit der Situation war und sich dem aber ergeben hat, sich überhaupt nicht widerständig gezeigt hat", erzählt Rheinbach. "Demnach war auch auf jeden Fall das Verhalten der Bundespolizei komplett deeskalativ.“

Familienabschiebungen sind das Schlimmste

Reinbach steigt in seinen Kastenwagen und fährt zurück Richtung Innenstadt. Er erzählt von den Fällen, die in seinem Jahresbericht auftauchen. Das Schlimmste seien Familienabschiebungen, wie die nach Ghana, bei der zwei minderjährige Kinder als Dolmetscher einspringen mussten.
Sie sollten der Mutter erklären, dass sie in Deutschland weder Essen, noch Trinken, noch eine Wohnung bekommen könne. Fälle wie diese seien aber selten. „Es sind auf jeden Fall keine krassen Rechtsbrüche, die ich bei der Bundespolizei feststelle.“
Für die Bundespolizei ist klar: Eigentlich braucht es keinen Abschiebebeoachter. Die andere Sicht: Wenn Reinbach dabei ist, laufen Abschiebungen anders ab als ohne ihn.
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