Schicksal einer Libanesin mit Geduldetenstatus

Der Kampf um die Identität

10:54 Minuten
Collagiertes Porträt einer Frau, das so zerschnitten wurde, das ihr Gesicht fehlt.
Farah Haleb ist in Deutschland nur geduldet, obwohl sie mit nur zwei Jahren ins Land kam, hier ihr Abitur und Ausbildungen absolvierte (Symbolbild). © Getty Images / Tara Moore
Von Michael Hollenbach · 16.08.2022
Audio herunterladen
Seit 36 Jahren lebt Farah Hareb in Deutschland. Der Bürgerkrieg zwang sie und ihre Familie zur Flucht. Sie wuchs in Hameln auf und arbeitet heute als Krankenschwester. Dennoch hat sie nur den Geduldetenstatus. Im Ernstfall droht eine Abschiebung.
Morgens um halb sieben in der Medizinischen Hochschule Hannover. Auch wenn man Farah Hareb die Strapazen der Nachtschicht auf der Intensivstation nicht ansieht: "Es war viel zu tun, sehr kranke Menschen, bedürfen viel Aufmerksamkeit und Pflege, da ist man durchgehend die Nacht beschäftigt."
Seit Beginn der Pandemie versorgt sie auch viele Coronapatienten. Doch mehr als die Arbeit zehrt das Hin und Her um ihren Aufenthaltsstatus an ihren Kräften.

Als Zweijährige kam sie nach Deutschland

"Ich bin immer noch auf der Duldung, die Duldung läuft am 30. September aus“, erläuitert sie. „Ich hoffe und bange sehr, dass die dann weiter verlängert wird – ohne Drohung, dass mir die Arbeitserlaubnis entzogen wird."
Seit 36 Jahren lebt und arbeitet sie in Deutschland. Dennoch würden ihr die Behörden das Gefühl vermitteln, sie sei nicht erwünscht und solle möglichst bald verschwinden.

Keine Identitätsnachweise aus dem Libanon

1986 flohen die Eltern mit ihr und ihrem Bruder aus dem Kriegschaos des Libanon. Die Situation beschreibt sie so:
"Sie kamen nicht mehr an Pässe ran. Ich hatte nur eine Geburtsbescheinigung. Ich bin eine Hausgeburt, was nicht selten ist im Libanon und mit dieser Bescheinigung der Hebamme, die auch vom Bürgermeister gestempelt und besiegelt war, hätten meine Eltern zu einem Amt gehen müssen."

Hören Sie auch den Beitrag von Vivien Leue über ein Projekt für Langzeit-Geduldete: "Bleibeperspektiven Köln"

Doch genau das war damals unmöglich, sodass Farah eine offizielle Geburtsbescheinigung fehlte – ein Manko, von dem niemand ahnen konnte, welche Auswirkungen das noch 38 Jahre nach ihrer Geburt haben würde.

Ohne Vorwarnung den Pass eingezogen

1991 sicherte ein neues Gesetz Geflüchteten aus dem Libanon ein Bleiberecht in Deutschland zu. Auch Familie Hareb erhielt in Hameln eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis – mit einem Pass für Staatenlose.
Dann musste Farah Hareb 2004, damals 21 Jahre alt, in der Ausländerbehörde erscheinen. Dort saß eine neue Sachbearbeiterin. Und die haben diesen Pass „ohne Vorwarnung“ eingezogen. Verbunden mit der Aufforderung, sich sofort aus dem Libanon Heimatpässe und Identitätsnachweise zu besorgen.

Perfider Fall

Kai Weber, Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrates, weist auf das Perfide dieses Falles hin – nämlich „dass die Behörden auf ein Dokument stoßen, von dem sie meinen, dass es eine türkische Staatsangehörigkeit der Familie beweise und mit mehr als zehnjähriger Verzögerung wird diese unbefristete Aufenthaltserlaubnis wieder entzogen."

Buchtipp zum Weiterlesen

Gunnar Menkens: "Nirgendwo ein Land – die Geschichte der staatenlosen Krankenschwester Farah Hareb"
Zu Klampen Verlag
100 Seiten, 14 Euro

Weber betreut seit Jahren den „Fall Farah Hareb“. Der Hintergrund: Im damals CDU-geführten Innenministerium in Hannover hatte man in der Türkei recherchiert und herausgefunden, dass es Verbindungen arabisch geprägter Dörfer in der Türkei zum Libanon gibt.

Menschen unter Generalverdacht

Kai Weber räumt ein, dass es durchaus Täuschungen der deutschen Behörden gegeben habe: Angehörige der arabischen Minderheit in der Türkei hätten sich als Libanesen ausgegeben.
"Dieser Verdacht wurde zum Generalverdacht für alle Menschen, die in diese Kategorie gehören. Man hat systematische Recherchen angestellt, Familienstammbäume aufgestellt, hat versucht nachzuweisen, dass Einzelpersonen womöglich doch Verwandte in der Türkei haben und dann nach Augenschein Aufenthaltserlaubnisse wieder eingezogen, und so auch in dieser Familie. Und in dieser Familie war der Vorwurf der Täuschung offensichtlich falsch." 
Sie seien Libanesen und sie sei im Libanon geboren, betont Farah Hareb immer wieder. Um zu beweisen, dass sie und ihre Eltern Libanesen sind, hätte sie nach Beirut fliegen müssen. Das wäre nach dem Ende des Bürgerkrieges auch möglich gewesen.

Allerdings: "Sie hatten aber von deutschen Behörden einen Pass ausgestellt bekommen, in dem als Bedingung formuliert war: Gilt nicht für den Libanon. Sie durften in den Libanon nicht einreisen."

Eine Auflage, die eigentlich nur für Menschen gilt, denen in ihrem Heimatland politische Verfolgung und Verhaftung droht. Das war aber bei den Harebs nicht der Fall.
"Insofern hätte eine Aufenthaltserlaubnis auch für den Libanon gelten können, ja müssen. Das halte ich für rechtswidrig. Ich vermute, dass die Behörden da einen Fehler gemacht haben. Ich halte das für falsch."

Weg in den Libanon war versperrt

Das bedeutete: Der Weg in den Libanon war versperrt. Im Raum stand weiter der Verdacht der Hamelner Ausländerbehörde, den Farah Hareb so zusammenfasst:
"Sie sind türkische Staatsbürgerin, Sie haben das Land betrogen, Sie haben eine falsche Identität angegeben, um Aufenthaltstitel zu erschleichen.“ Aber der Vorwurf sei aus der Luft gegriffen.
Die Krankenpflegerin ist mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit gegangen. Sie wird an der Medizinischen Hochschule Hannover von Kolleginnen und Kollegen unterstützt: Die sammeln 37.000 Unterschriften, damit Farah Hareb endlichen einen gesicherten Status erhält.

Der türkische Ort, an dem ich geboren sein soll, der kennt weder mich noch meine Familie.

Farah Hareb kämpft um ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland

Trotz der Unterstützung bleibt es dabei: Die Hamelner Ausländerbehörde und auch das niedersächsische Innenministerium berufen sich auf einen Registerauszug einer türkischen Behörde. Danach heiße sie eigentlich mit Nachnamen Demir. 
"Der türkische Ort, an dem ich geboren sein soll, der kennt weder mich noch meine Familie“, sagt die 38-Jährige, die von den deutschen Behörden die Auflage erhält, den Nachnamen Demir zu tragen.

Wie in einer Endlosschleife

Doch auch die türkischen Behörden zweifeln das von der Ausländerbehörde vorgelegte Dokument an, betont Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. 
Sie hätten das Papier als unseriös bezeichnet. „Und sie glaubten nicht, dass eine türkische Staatsangehörigkeit beschaffbar ist. Wenn sie das wollte, müsste sie in der Türkei ein Klageverfahren anstrengen, um auf der Grundlage des Papiers mit weiteren Dokumenten zu belegen, dass sie türkische Staatsangehörige ist. Diese Papiere hat sie nicht, weil sie keine Bezüge zur Türkei hat. Insofern hängt sie in der Schleife und kommt nicht weiter."
Ein absurdes Theater: Farah Hareb, die sagt, sie ist Libanesin, soll nun dem türkischen Staat beweisen, dass sie Türkin ist, weil die deutschen Behörden ihr das unterstellen.

Jetzt wollen sie einen DNA-Test

Neueste Wendung in dem Fall: Das Innenministerium in Hannover drängt Farah Hareb, einen DNA-Test zu machen, um eine genetische Verbindung mit mutmaßlichen türkischen Verwandten zu beweisen oder zu widerlegen. Unter dem Druck hat sie sich zu dem Test bereit erklärt.
Für sie ein „unfassbar schwieriger Moment. Weil: Sexualstraftäter, Mörder, die machen einen DNA-Test, aber nicht eine Krankenschwester. Ich finde es entwürdigend, wir haben nichts angestellt, um so behandelt zu werden".
Farah Hareb verlässt langsam der Mut: "Ich habe das Gefühl, es wird immer verzwickter, die Behörden verzwicken es noch mehr, als es schon verzwickt war." Jetzt muss sie abwarten, ob die vermeintlichen Verwandten in der Türkei überhaupt zu einem DNA-Test bereit sind. 

Die Behörden verweigern Interviews

Die Stadt Hameln und das niedersächsische Innenministerium waren zu keinem Interview bereit – aus datenschutzrechtlichen Gründen, heißt es. Möglich ist lediglich ein Hintergrundgespräch mit der Abteilungsleiterin Migration im Innenministerium, Susanne Graf. Zitiert werden darf Susanne Graf mit den Worten:
„Wir versuchen, Frau Demir in dem Verfahren durch verschiedene Unterstützungsangebote und Gespräche eine Brücke zu bauen.“
"Ich befürchte, diese Bemühungen um einen DNA-Test sind der Versuch, nicht nur eine Brücke zu bauen, sondern auch eine Ehrenrettung für die deutschen Behörden zu gewährleisten“, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Denn: "Man will nicht eingestehen, dass man hier schwerwiegende Fehler gemacht hat."

Die Migrationsforscherin schüttelt nur den Kopf

Die Wiener Migrationsforscherin Judith Kohlenberger hat soeben ein Buch „Über unseren widersprüchlichen Umgang mit Vertreibung und Vertriebenen“ geschrieben. Der Titel: „Das Fluchtparadox“. Angesprochen auf den Fall der Krankenpflegerin Farah Hareb kann sie nur den Kopf schütteln.
"Es wird ja derzeit viel Aufwand betrieben, nicht nur Fachkräfte, sondern überhaupt Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben, und dann hätte man hier ausgebildete Fachkräfte, die man aber nicht will, weil es an Formalutäten scheitert. Das ist in sich nicht kohärent, da verliert auch ein Staat, der so etwas zulässt, die Glaubwürdigkeit. Ich denke, dass der gemeine Bürger, der den Fall hört, sich fragt: Was ist das Problem? Warum kann man nicht eine pragmatische Lösung finden?"
Kohlenberger erwartet ein Entgegenkommen der Behörden: "Wir sehen, in einer Zeit der Polykrisen braucht es auch von behördlicher Seite mehr Beweglichkeit und Flexibilität als je zuvor, weil, diese Flexibilität fordern wir auch von den Bürgerinnen und Bürgern."
Jenseits des bürokratischen Beharrens könne man durchaus Lösungen finden, meint Kai Weber. So gebe es eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für ein gestaffeltes Vorgehen.
"Nachweis der Staatsangehörigkeitspapiere. Wenn das nicht geht: Nachweis der biometrischen Papiere. Wenn das nicht geht: Nachweis sonstiger Papiere, die eine Staatsangehörigkeit glaubhaft machen. Und wenn das alles nicht hilft: eine eidesstaatliche Erklärung. Ein Weg, der auch im Fall von Farah Hareb gut betreten werden könnte."

Niemand will den Fehler zugeben

Doch dieser Weg wird von den Behörden bislang nicht betreten: "Ich glaube, dass es hier um Gesichtswahrung geht. Jahrzehntelang hat hier eine Ausländerbehörde der Familie eine türkische Staatsangehörigkeit unterstellt, hat ihnen Betrug unterstellt, mit der Rückendeckung des Innenministeriums. In dieser Konstellation will man nicht einfach die Segel streichen und sagen: Wir haben einen Fehler gemacht."
(mkn)

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema