Abraham Yehoshua über seinen neuen Roman

"Es müsste viel mehr Tunnel geben zwischen den Menschen"

17:48 Minuten
Porträt des Autors Abraham Yehoshua. Er steht vor einer Steinwand und Kakteenpflanzen.
Der israelische Autor und Friedensaktivist Abraham Yehoshua. © imago / Leemage
Moderation: Frank Meyer · 19.11.2019
Audio herunterladen
Autor Abraham B. Yehoshua ist in Israel als linker Friedensaktivist bekannt. Der Titel des neuen Romans "Der Tunnel" ist symbolträchtig: Yehoshua glaubt nicht mehr an eine Zweistaatenlösung, wohl aber an Wege des Miteinanders zwischen Juden und Palästinensern.
Abraham B. Yehoshua ist eine bekannte Größe in Israel. Neben Amos Oz und David Grossmann ist er seit Jahrzehnten einer der linken Schriftsteller in dem Land und zudem ein engagierter Friedensaktivist. Yehoshua wurde 1936 in Jerusalem geboren, sein 1987 erschienener Roman "Die fünf Jahreszeiten des Molcho" wurde zu einem der zehn wichtigsten Bücher Israels gewählt. Er hat unter anderem die höchste Auszeichnung des Landes, den Israel-Preis bekommen.
Sein jüngster Roman heißt "Der Tunnel". Im vergangenen Jahr ist der in Israel erschienen und jetzt auch bei uns. Der Autor war vor der Sendung bei uns zu Gast. Im Gespräch sagt er, wie er den Alltag zwischen Juden und Palästinensern in Israel erlebt, warum er die Zweistaatenlösung für gescheitert hält und welche Bedeutung die Liebe eines Ehepaares für ihn hat.

Abraham B. Yehoshua: "Der Tunnel"
aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Nagel & Kimche, 2019, 368 Seiten, 24 Euro


Das Interview im Wortlaut:

Frank Meyer: Bevor wir über Ihr Buch reden wüsste ich gerne, wie es Ihnen geht nach der vergangenen Woche, in der hunderte Raketen aus dem Gaza-Streifen auf Israel abgefeuert wurden. Hatten Sie Angst um sich, um Ihre Familie, um Freunde?
Abraham B. Yehoshua: Also ganz ehrlich, nein, die Mehrheit der Raketen hat ja auch Zentralisrael gar nicht getroffen, und ich muss auch sagen, wir sind mittlerweile daran gewöhnt. Wir sind ein sehr starkes Land mit einer sehr starken Armee, trotzdem sind 600 Raketen auf uns abgeschossen worden, von denen die Mehrheit gar keinen Schaden angerichtet habt, weil sie uns nicht mal erreicht hat. Gott sei Dank wird fast auch nie jemand dabei getötet, aber es ist verletzend auf gewisse Weise, so beschossen zu werden.
Es ist für uns Israelis, aber genauso für die Palästinenser einfach verrückt, diese Situation, in der wir hier leben. Ich muss aber auch sagen, ich halte die Hamas wirklich für schuldig in diesem Fall. Das ist wohl auch der Grund, warum diese Zweistaatenlösung Israel-Palästina nicht mehr funktionieren kann, solange die Hamas im Gazastreifen das Sagen hat. Das sage ich als Linker, das sage ich als jemand, der für den Friedensprozess ist, aber in dem Fall muss ich ganz deutlich sagen, ich verurteile die Hamas und mache sie auch dafür verantwortlich für diese unhaltbare Situation. Sie haben es einfach nicht geschafft, einen Staat aufzubauen, der einen gewissen Reichtum an die eigenen Leute weitergibt, einen gewissen Wohlstand.

"Das große Problem ist die Apartheid in der West Bank"

Meyer: Jetzt sind wir gleich auf das Feld der Politik geraten, Herr Yehoshua. Dann bleiben wir noch einen Moment dabei, bevor wir über Ihren Roman sprechen. Sie haben viele überrascht in Israel, als Sie im vergangenen Jahr die Zweistaatenlösung, die Sie gerade angesprochen haben, für tot erklärt haben. Vielleicht können Sie uns das an der Stelle kurz erklären. Warum denken Sie, dass die Zweistaatenlösung keine Chance mehr hat?
Yehoshua: Wenn Sie wirklich wollen, dass ich darüber lang und breit Erklärungen abgebe, dann haben wir gar keine Zeit mehr, über mein Buch zu reden, aber ich versuche es mal. 50 Jahre lang war ich wirklich ein Partisan der Zweistaatenlösung, und ich habe seit 1967, wo viele in Israel nicht einmal zugestanden haben, dass es so etwas wie das palästinensische Volk gibt, habe ich mich dafür eingesetzt, dass es diese Zweistaatenlösung gibt, aber es hat Entwicklungen gegeben, wie die Annexion von Ostjerusalem, und dann vor allen Dingen das ganz große Problem in der West Bank mit den Siedlern. Auch da mache ich, ehrlich gesagt, die europäischen Staaten und auch die Amerikaner mit verantwortlich und verurteile einfach ihre Politik, dass sie sich nicht einfach vehement gegen diese Siedlungspolitik Israels ausgesprochen haben, dass sie nicht gesagt haben, wir verstehen euer Sicherheitsbedenken, wir verstehen, dass die Armee noch 100 Jahre da sein muss, aber ihr dürft auf keinen Fall dort Menschen ansiedeln. Das ist nicht geschehen, und das war ein riesengroßer Fehler, und jetzt ist einfach vieles zu spät.
Die Palästinenser haben dann ihres dazu beigetragen, dass es immer schwieriger geworden ist mit diesen zwei Staaten. Ich kann mich nur wiederholen: Ich komme von der Linken, ich komme aus der Friedensbewegung, und das große Problem heutzutage ist aber nicht, ob eine Zweistaatenlösung noch möglich ist, sondern das große Problem, das wir in Israel heute haben, ist die Apartheid in der West Bank. Das muss gelöst werden, das ist wie ein Krebsgeschwür, das sich immer weiter in die israelische Gesellschaft ausbreitet. Diese Apartheid, die muss man Schritt für Schritt abschaffen, man muss den Palästinensern mehr Rechte geben, auch mehr Bürgerrechte geben. Das ist zurzeit das, was aktuell ist. Auch bei den letzten Wahlen hat die Zweistaatenlösung bei keiner politischen Partei mehr eine Rolle gespielt, auch nicht mehr bei der politischen Linken.
Meyer: Aber es ist gut, dass wir darüber sprechen, weil wir gar nicht so weit weg von den Themen in Ihrem neuen Roman "Der Tunnel" sind. Aber ich würde gerne erst mal beim Anfang sozusagen anfangen. Es geht um mehrere große Themen in dem Buch: Es geht um die Demenzerkrankung eines älteren Mannes, um sein Leben mit seiner Frau und seiner Familie, aber es geht auch um das Zusammenleben von Juden und Palästinensern in Israel. Aber fangen wir erst mal mit dieser Grundlegung an, dieses Thema der Demenz. Warum haben Sie sich das vorgenommen für diesen Roman?
Yehoshua: Nun, wissen Sie, Demenz breitet sich ja immer mehr aus, weil wir Menschen auch immer länger leben. Es ist sozusagen die Krankheit der Zukunft. Was ich mit der Demenz auch ausdrücken wollte war, dass man so ein bisschen das Recht haben sollte zu vergessen. Denn was mich so ein bisschen nervt in letzter Zeit, das ist diese permanente Erinnerung an zurückliegende Dinge, dass man sich nur an das erinnert, was lange zurückliegt. Ich rede da ganz bewusst auch vom Holocaust oder auch von den Palästinensern, die immer von dem Recht reden, wieder zurückkehren zu dürfen und diese Erinnerung immer heraufbeschwören.
Wenn man heute sein Handy öffnet, ist man sofort in den 50er, in den 60er Jahren. Dann kommen all diese Erinnerungen, all diese Vergangenheit kommt dann wieder hervor, die natürlich auch mit Vorwürfen einhergeht. Diese Politik der eigenen Identität, der eigenen Identifikation, dass man sich nur noch selbst identifiziert über diese Vergangenheit, über diese Erinnerung, diese Vereinzelung, das halte ich für ein großes Problem, weil wir so viele neue Probleme haben. Es gibt so viele neue Entwicklungen, um die man sich kümmern sollte. Man sollte nicht immer nur in dieser Erinnerung verhaftet bleiben.

Nicht immer nur in der Erinnerung verhaftet bleiben

Meyer: In Ihrem Roman ist das ja tatsächlich auch für die Hauptfigur – das ist ein pensionierter Ingenieur, Zwi Luria heißt er –, für den ist seine Demenz ja tatsächlich auch eine Art Befreiung, oder? Er hat durch die Demenz die Möglichkeit, praktisch neu anzufangen in seinem Leben, oder?
Yehoshua: Ich beschreibe ja in meinem Roman den Beginn dieser Demenz. Also das ermöglicht mir ja auch, mit dem Humor zu spielen, und es ist in gewisser Weise auch nur die erste Phase dieser Demenz. Die Frau dieses Mannes, sie ist eine Ärztin, und sie schließt sich der Meinung des Neurologen an und sagt, jetzt bleibe nicht die ganze Zeit zu Hause, jetzt mach', bitte schön, was, arbeite. Der Ingenieur, der ehemalige Ingenieur, wehrt sich erst einmal dagegen und sagt, ich bin doch Rentner, und außerdem, ich bin ein Straßenbauingenieur. Wie soll ich denn jetzt, bitte, zu Hause Straßen entwerfen, das kann man ja nicht einfach so von zu Hause machen.
Dann findet seine Frau eine einmalige Lösung: Sie bringt ihn mit einem jungen Ingenieur zusammen. Und sagt zu diesem jungen Ingenieur, der ein Projekt in der Wüste hat: Nehmen Sie doch einfach die Erfahrungen, die Ratschläge und das Wissen meines Mannes, der ist wie ein unbezahlter Assistent für Sie, und dann können Sie auf diese Art und Weise zusammenarbeiten. So arbeiten dieser noch nicht ganz so alte ehemalige Ingenieur, der 73 Jahre alt ist, und dieser junge Ingenieur zusammen an einer sehr geheimen Straße, einem sehr populären Ort in der Wüste.

Ben Gurion sagte: Macht euch die Wüste nutzbar

Meyer: Und Sie arbeiten da zusammen an einem Tunnel. Das ist der Tunnel aus dem Titel Ihres Romans. Das ist einerseits ein normaler Straßentunnel, andererseits ist dieser Tunnel aber – ja, was –, es ist eine Art Botschaft oder eine Art Symbol. Können Sie uns erklären, wofür der Tunnel steht in Ihrem Buch?
Yehoshua: Zuerst, und das ist ja auch sehr wichtig, diese Zusammenarbeit dieser beiden Ingenieure findet ja in der Wüste statt, und man vergisst immer, dass Israel zur Hälfte Wüste ist, und das könnte man kultivieren. Ben Gurion, der ebenfalls irgendwo aus der Wüste kam, hat auch eigentlich immer geraten, wir Juden sollten nicht nur die Araber sozusagen aus ihren angestammten Territorien vertreiben, sondern wir sollten uns diese Wüste nutzbar machen, sie urbar machen, aber das hat man total vergessen, man hat überhaupt das negiert. Wenn wir diese Negev-Wüste nehmen, da könnten Menschen leben, da könnte man noch sehr viel tun, anstatt immer in die West Bank auszuweichen und da diese Siedler anzusiedeln.
Das ist natürlich etwas sehr Symbolhaftes, was mir diese Wüste bedeutet, aber es kommt noch etwas hinzu. Dieses geheime Projekt soll eine Militärstraße sein, und sie soll unter einem Hügel hindurchführen. Auf diesem Hügel leben drei Palästinenser, und zwar ein Ehepaar, ein 55-jähriger Mann, der seine Frau über alles liebt, die aber ein Herzproblem hat. Er möchte ihr eine Herztransplantation in Israel ermöglichen und musste sich dafür stark verschulden, und das Geld hat er nur so zusammenbekommen, dass er Land verkauft hat, palästinensisches Land, an Israelis, das ihm gar nicht gehört. Nun wird er von den Palästinensern gejagt, die würden ihn am Liebsten umbringen, weil er palästinensisches Land verkauft hat, das ihm nicht einmal gehörte.
Die Israelis wiederum wollen aber ihr Geld zurückhaben, weil der ganze Handel ja irgendwo nicht funktioniert hat. Es gibt aber einen Offizier, der diese palästinensische Familie schützen möchte. Und er versucht sie zu schützen, indem er sie auf dem Hügel angesiedelt hat, durch den jetzt dieser Tunnel führen soll. Natürlich ist das für mich symbolhaft. Das bedeutet, es müsste mehr Tunnel geben, es müsste viel mehr Tunnel geben zwischen den Menschen, anstatt immer so auf einer Identität zu beharren und fanatisch sich zu einer Identität zu bekennen. Was wir brauchen, sind Tunnel.

Vielzahl an Identitäten in Israel

Meyer: Wenn Sie das sagen, Tunnel zu schaffen zwischen verschiedenen Identitäten, was würde das denn heißen für eine jüdische Identität in Israel oder für eine palästinensische Identität, wenn man sozusagen, jetzt symbolisch gesprochen, da Tunnel drin anlegen würde?
Yehoshua: Wenn wir über Identitäten reden – das Verrückte zurzeit ist ja, wie viele Identitäten es gibt. Es gibt allein vier verschiedene religiöse Identitäten in Israel oder fünf verschiedene rechtsradikale Identitäten oder sechs linke Parteien, dann gibt es noch die Säkularen, und das ist für ein so kleines Land wie Israel, sind so viele verschiedene Identitäten einfach etwas total Verrücktes. Was ich finde, ist, wir müssen nach anderen Lösungen suchen. Es muss doch wieder möglich sein, dass das, was im Leben auch funktioniert, da können ja Israelis und Palästinenser zusammenleben. Wenn es jetzt vielleicht eine neue Regierung in Israel geben wird, wenn es ganz gelingen wird, eine Minderheitsregierung auf die Beine zu stellen, die dann eventuell von den Palästinensern toleriert wird, dann schafft das eventuell auch neue Möglichkeiten.
Andererseits leben wir in einem sehr bitteren Moment in unserer Geschichte zurzeit, weil wir einen Premierminister haben, Netanjahu, der zum dritten Mal hat wählen lassen, weil er Angst hat, ins Gefängnis zu wandern. Aber wo das schon funktioniert, dieses Zusammenleben, und zwar exemplarisch, das ist in Krankenhäusern. Das Krankenhaus ist der Ort, wo Palästinenser und Israelis gut zusammenarbeiten. Es gibt palästinensische Ärzte, die Israelis behandeln. Und es gibt jeden Tag Privatleute, die in die West Bank fahren, die sogar nach Gaza fahren während des Raketenbeschusses, kranke Kinder und überhaupt kranke Palästinenser nach Israel holen, die dort behandelt werden, und dann fahren sie sie wieder zurück. Also, da gibt es schon etwas, und das hat es auch schon immer gegeben. Seit den Anfängen des Zionismus war das Krankenhaus der Ort, an dem ein Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern nicht nur möglich war, sondern auch gut funktioniert hat.

"Das ist keine Utopie - das ist unser Leben"

Meyer: Von diesen Transporten von Freiwilligenorganisationen für Kranke aus den Palästinensergebieten, davon erzählen Sie auch in Ihrem Roman, und überhaupt spielt der Roman relativ viel auch in Krankenhäusern, auch durch die Krankheit der Hauptfigur. Was Sie uns beschreiben als eine Aufforderung, die in Ihrem Roman auch steckt, oder eine Art Utopie, wurde der Roman denn auch so verstanden in Israel? Er ist ja vor einem Jahr dort erschienen. Haben die Leser das auch als so einen Appell verstanden für ein friedlicheres Zusammenleben in Ihrem Land?
Yehoshua: Das ist überhaupt keine Utopie, sondern das ist unser Leben. Im Übrigen ist mein Buch sehr gut aufgenommen worden in Israel, es ist sehr gelobt worden, es ist ein großer Bestseller geworden. Aber wenn wir zurückblicken, wenn wir uns die letzten Jahrzehnte anschauen, dann hat es ja immer eine ganz große palästinensische Minderheit in Israel gegeben. Sie durften von Anfang an, seitdem es Israel gibt, durften sie innerhalb der letzten 70 Jahre an Wahlen teilnehmen. Und heute haben wir eine Minderheit, eine palästinensische Minderheit, sie besteht etwa aus zwei Millionen. Dazu kommen dann sechseinhalb Millionen Juden, also das sind klare Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse, aber die Koexistenz hat eigentlich immer funktioniert. Trotz aller Kriege, trotz der Intifada, trotz der Okkupation, trotz aller Probleme des Terrorismus hat diese Koexistenz eigentlich immerzu funktioniert.
Es hat einen Modus Vivendi gegeben, es hat einen Status quo gegeben, und es gab eine große Weisheit. Das halte ich auch für sehr ehrbar, dass es das gibt, dass es wirklich keine gewalttätigen Auseinandersetzungen dieser beiden Bevölkerungsgruppen gab. Da herrscht jetzt keine Liebe, wir lieben sie nicht, sie lieben uns nicht. Aber trotzdem achtet man sich in gewisser Weise und achtet vor allem diesen Status quo. Insofern ist es keine Utopie, sondern es ist die Realität. Das wird nur sehr gerne von der Presse nicht wahrgenommen. Ich rede jetzt auch nicht von der West Bank oder größeren Problemen, sondern ich rede wirklich von dem, was innerhalb der Grenzen Israels passiert.

"Meine wichtigsten Bücher habe ich mit 30, 40 geschrieben"

Meyer: Noch eine letzte Frage: Ihr deutscher Verlag, der hat in den Klappentext zu Ihrem Roman geschrieben: "Der Tunnel", das sei Ihr bislang bedeutendster Roman. Jetzt ist das jüngste Buch für einen Autor wahrscheinlich immer das beste Buch, das bedeutendste Buch, aber würden Sie das auch sagen, "Der Tunnel" ist Ihr bedeutendster Roman bis heute?
Yehoshua: Also das würde ich jetzt so nicht sagen, dass das mein bedeutendstes Buch ist. Ich habe 14 Romane geschrieben, ich habe Kurzgeschichten geschrieben. Das war jetzt hier ein sehr großer Erfolg. Aber mein wichtigstes Buch war das nicht. Ich würde sagen, meine wichtigsten Bücher habe ich geschrieben, als ich um die 30 oder 40 war. Da gab es ganz andere Titel. Aber wenn wir uns andere bedeutende Schriftsteller anschauen wie Faulkner oder Thomas Mann oder auch Günter Grass – ich würde in diesen Fällen immer behaupten, sie haben ihre besten Bücher geschrieben, als sie so in der Mitte ihres Lebens standen. Dann hat man noch etwas Unbekanntes in sich als Autor, man hat noch nicht alles in sich erforscht und perfektioniert, aber immer weiter das Handwerk des Schreibens. In der Phase entstehen eigentlich die besten Bücher.
Zweifelsohne hat dieses Buch hier einen sehr, sehr großen Erfolg gehabt, und ich liebe alle meine Kinder, aber ich bleibe objektiv. Ich weiß den Wert meiner Arbeiten, glaube ich, ganz gut einzuschätzen. Aber ein Thema, über das wir noch gar nicht gesprochen haben, in dem Buch, das ist ja diese ganz besondere Beziehung zwischen Zwi und seiner Frau, zwischen der Hauptfigur und seiner Frau. Da ist so viel Wärme und so viel Freundlichkeit noch zwischen den beiden, die seit ewig verheiratet sind. Das war wirklich so, dass meine Frau die ersten 70 Seiten meines Buches gelesen hat, und dann ist sie leider sehr, sehr schnell verstorben. Und für mich war das eine Katastrophe, weil wir 56 Jahre verheiratet waren und weil sie so immens wichtig für mich war. Ich wollte auch mal in diesem Buch zeigen, dass Ehen auch halten können. 50 Prozent der Ehen, die ich kenne, sind gute Ehen, in denen man freundschaftlich miteinander umgeht und wo es nicht nur um Krisen geht. Insofern hatte ich ganz bewusst auch etwas anderes zum Thema Ehe schreiben wollen. Es fiel mir dann sehr schwer, nach dem Tod meiner Frau die Arbeit fortzusetzen, aber andererseits war es auch die Möglichkeit, mich von meiner Trauer zu lösen und auch ein bisschen aus dieser Trauer zu fliehen.
Meyer: Wie schön, dass Sie dieses Thema auch noch eingebracht haben hier in unser Gespräch. Es ist in der Tat beeindruckend zu lesen, wie die beiden Hauptfiguren da einander lieben, auch miteinander kämpfen vor lauter Sorge umeinander. Das ist beeindruckend an Ihrem Roman.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema