Sitcom „Abbott Elementary“

Mit Engagement und Pragmatismus an der Bildungsfront

06:07 Minuten
Protagonisten aus der Serie "Abbott Elementary" stehen zusammen in einem Klassenzimmer.
Steigere dich nie zu tief in Kindersorgen hinein - sonst droht der Burnout. © ABC/ Disney
Von Stefan Mesch · 27.07.2022
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Im Mittelpunkt von „Abbott Elementary“ steht ein von Stress und einer herablassenden Rektorin geplagtes Lehrerkollegium. Eine warmherzige, schnelle Sitcom, die zum Überraschungs-Hit werden könnte.
Wie schön, dass Kinder hier keine große Rolle spielen: In bisher 13 Folgen zeigt die Comedyserie „Abbott Elementary“ den Stress und die hektischen Kompromisse von fünf Lehrkräften und einer herablassenden Rektorin. Eine warmherzige, schnelle Sitcom über eine US-Grundschule (Vorschule bis Klasse 6) in Philadelphia, die kaum Budget hat und vor allem von schwarzen Kindern besucht wird. Wären diese Kinder, wären ihre Sorgen und Träume für die Serie zentral, dann wäre die Moral jeder Folge einfach: Um einem Kind zu helfen, lohnt sich jedes persönliche Opfer. Doch wie lange halten Lehrkräfte durch, die für Kinder alles geben?

Die Rektorin träumt von Star-Ruhm

„Abbot Elementary“ zeigt bisher nur das Schulgelände und einen Klassenausflug in den Zoo: Die Wohnungen der Hauptfiguren und ihr Leben nach Feierabend sind ausgespart. Im Stil von Mockumentary-Sitcoms wie „The Office“ und „Modern Family“ scheint ein Filmteam alles zu begleiten. Alle Hauptrollen zwinkern in die wackelnde Kamera und geben oft nach einer Szene kurze Interviews. Bei „Modern Family“ blieb das ein Kunstgriff. In elf Staffeln gab es keinen Moment, in dem Figuren bestätigten: „Stimmt, unser Alltag wird ja öffentlich geteilt und ausgestrahlt, um uns herum sind Dreh-Teams, auch daheim.“
Bei „Abbott Elementary“ dagegen träumt Rektorin Ava davon, durch jene Kameras zum Star zu werden. Auch wenn die Dreharbeiten eigentlich nur zeigen sollen, wie das Schulsystem kaputtgespart wird. Ob das Material je ausgestrahlt wird und welche Feedback-Schleifen sich durchs Gefilmtwerden ergeben, bleibt bisher offen.

Die Livestyle-Diva, der Autist und die Mafiabraut

Spaß macht die Serie, weil jede Rolle eigene Strategien hat, um Störungen im Unterricht oder dauernde Enttäuschungen im maroden Schulgebäude zu überwinden: Pragmatikerin Melissa, weit über 50, macht auf rothaarige Mafiabraut und sagt, wäre ihr schnelles Geld wichtig, würde sie am Straßenstrich arbeiten statt in der zweiten Klasse.
Jacob ist schwul und will als „White Ally“, als progressiver weißer Verbündeter, bei den vier schwarzen Hauptfiguren punkten. Aushilfe Gregory wirkt überkorrekt. Sein Essverhalten und seine Beharrlichkeit legen nahe, dass die Figur Autist ist. Ava liebt TikTok, Reality-TV und thront im Rektorat wie eine Lifestyle-Diva.

Steigere dich nie zu tief in Kindersorgen hinein

Zentral aber ist das Miteinander zweier weiterer schwarzer Frauen: Barbara ist über 60, hat ihre Vorschulklasse im Griff und weiß recht gut, wo sie dazulernen, sich schonen, mit der Zeit gehen oder behaupten muss. Jeanine dagegen ist im zweiten Jahr Lehrerin, nennt Barbara „Work Mom“ und flötet, sie wäre gern der Robin-Side-Kick zu "Batman-Barbara". Jeanine ist eine übereifrige, oft selbstgerecht idealistische Streber-Heldin im Stil von Lisa Simpson oder Hermine, die sich in „Harry Potter“ um die Freiheitsrechte von Hauselfen bemüht, doch dabei von Autorin J. K. Rowling recht hämisch als „Social Justice Warrior“ vorgeführt wird, die aus persönlicher Eitelkeit das Leben von Schwächeren ungefragt verschlimmbessert.

Ambitionen und Kraftverluste

 „Steigere dich nie zu tief in Kindersorgen hinein! Sonst hast du Burnout und kannst niemandem mehr helfen“: Das müssen Jeanine und Jacob in fast jeder Folge vom Rest des Kollegiums neu lernen. Jedes Projekt, jeder riskante Schritt voran (ein Schulgarten, eine Stepptanz-AG, Tablet-Computer zur Leseförderung etc.) implodiert zum Ende der Folge mit der Moral: „Ambitionen fressen zu viel Kraft, die anderswo gebraucht wird, und sie sind eh meist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

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Darum ist noch nicht klar, wie kritisch „Abbott Elementary“ sein will: Das gewitzte, gebeutelte Kollegium weckt viel Empathie für Lehrkräfte. Doch wo genau das US-Schulsystem kaputt ist und was einzelne Angestellte tun können, um das zu ändern, das bleibt bislang auf süffisant-reaktionärem „Tja. Siehst du, Deine Hilfe macht den Hauselfen nur Ärger“-Niveau.

Überraschungs-Hit des Jahres?

Erdacht und geschrieben wird die Sitcom, die gerade für sieben Emmy Awards nominiert ist, von Quinta Brunson (32). Für 40 Jahre unterrichtete Brunsons Mutter Vorschulkinder in Philadelphia, und als Quinta ihr zuletzt beim Elternsprechtag Gesellschaft leistete, kam von 12 bis 20 Uhr niemand ins Zimmer - und dann eine einzige Person, um 19.58 Uhr.
Ursprünglich sollte „Abbott Elementary“ von der Figur getragen werden, die auf Brunsons Mutter basiert: Barbara, tief religiös und kurz vor der Rente. Jetzt aber ist „Hermine“ Jeanine, toll gespielt von Brunson selbst, der Fokus. Vielleicht ist „Abbott Elementary“ der Überraschungs-Hit des Jahres, weil Kinder hier oft stören, im Weg sind, gefährlich viel Kraft kosten. Sich für diese Kinder völlig aufzuopfern, macht die Serie klar, ist keine Lösung.
Aber: Was wäre eine Lösung? Für Staffel 2 sind ganze 22 Folgen veranschlagt. Genug Zeit also für Ideen, neue Impulse.

„Abbott Elementary“: 13 Folgen (Staffel 1)
ab 27. Juli 2022 auf Disney+

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