Ab in den Urlaub

Das English Theatre Berlin träumt sich auf die einsame Insel

05:20 Minuten
ISLANDS im English Theatre Berlin
ISLANDS im English Theatre Berlin © English Theatre Berlin / Stefania Migliorati
Von Barbara Behrendt · 03.07.2021
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Sehnsuchtsort und Höllenkammer - Inseln können vieles sein. Das English Theatre Berlin lotet all die Projektionen und Verkörperungen gedachter, empfundener und wirklicher Inseln aus.
Auf der Leinwand am Bühnenende blinkt eine Insel auf. Das könnte Großbritannien sein, zusammen mit Irland grün eingefärbt. Valerie Renay legt sich auf den Boden, ihr Mitspieler und ihre Mitspielerin schieben und biegen ihren Körper zurecht, sodass Valeries Schatten sich wie ein passgenaues Puzzleteil über die projizierte Insel legt. Dazu summen sie die britische Hymne "Land of Hope and Glory". Denn England, so erzählt Valerie, sei ihre erste große Liebe gewesen: "My first love: England! Joy Divison. Tears for Fears. Vivian Westwood. Kensington Market."

Inseln an Land entdecken

17 Jahre hat die Französin auf der Insel gelebt, bevor die hohen Mietpreise sie schließlich vertrieben haben. Doch nicht nur ein Land, auch eine Stadt kann eine Insel sein – Westberlin zum Beispiel, umschlossen von der DDR: für den Performer Alexander Schröder die Sehnsuchtsinsel der 80er-Jahre, wie er beim Probenbesuch erzählt: "Es gibt eben diese verlassenen Plätze, diese Brachen, die überall in Berlin in den 80er-Jahren und zum Teil ja auch noch in den 90-ern vorhanden waren, und die mich immer irgendwie berauscht haben, fasziniert haben. Wenn ich etwas vermisse aus der Insel Westberlin, dann sind es genau diese Inseln, die keine besondere Bestimmung haben, die eigentlich hungrig danach sind, bestimmt zu werden oder vielleicht noch erfunden werden können."
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Die Pandemie schafft neue Inseln

Die Pandemie hat Berlin für ihn wieder zu einer Insel voller neuer Entdeckungen gemacht: "Was muss ich denn eine Fernreise machen, wenn ich nicht mal Albrechts Teerofen kenne oder den Bestensee. Insofern bin ich der Pandemie in diesem Punkt jedenfalls sehr dankbar."
Zusammen mit Rafuska Marks stehen Schröder und Renay auf der Bühne des English Theatre als seien sie auf Safari-Tour in einem anderen Jahrhundert: Khaki-Hemden, dunkelgrüne Hosen aus der Kolonialzeit, auf dem Kopf einen futuristischen Tropenhut aus Metall – zeitlich ist das bewusst nicht einzuordnen, schließlich durchzieht die Insel-Tour nicht nur die Biografien der Performerinnen, sondern auch die Jahrhunderte.

Die Versprechen der Ferne

Die Brasilianerin Marks fasst den Kolonialismus der Seefahrermächte so zusammen: "When the white explorers started to sail around the globe, they didn't know what they would find. But inside their heads they had dreams of god, gold and glory." Die Entdecker hätten seit jeher nur von Gott, Gold und Ruhm geträumt.
Aber auch die Geschichte der Berliner Pfaueninsel als aristokratischer Kreativort spielt eine Rolle. Und Inseln, die das Meer bald verschluckt haben wird. Oder Inseln, die überall auf der Welt künstlich angelegt werden. Gedanklich gestartet ist das Team um die künstlerischen Leiter Max Schumacher und Daniel Brunet aber bei der North Sentinel Insel, auf der ein paar hundert Menschen völlig ohne Kenntnis der Zivilisation leben. 2018 geriet sie in die Schlagzeilen, als ein amerikanischer Missionar anreiste, um die Bewohner vom wahren Glauben zu überzeugen. Daniel Brunet: "Und er ist ums Leben gekommen. Ich fand es unglaublich, dass es heutzutage doch noch etwas gibt, das in einer ganz anderen Welt wohnt."

Die Abgeschiedenheit - Himmel und Hölle

Durch die Pandemie sei man dann allerdings viel stärker bei den Biografien der Spielerinnen verhaftet und habe deren Erfahrungen ins Zentrum gerückt - so auch das einschneidende Erlebnis von Valerie Renay, als ihr Vater, der von der Karibikinsel Martinique stammt, in seiner Midlife-Crisis von einem Tag auf den anderen in seine Heimat verschwunden war. Mutter und Tochter folgten ihm.
Das Projekt gleicht einem bunten Kaleidoskop, das so viele Inselaspekte wie möglich aufgreifen möchte. Auch die Gedanken des französischen Soziologen Bruno Latour fließen ein. Das Leitmotiv von der Insel als Himmel und Hölle zugleich stammt von der Autorin Judith Schalansky sagt Daniel Brunet: "Das Paradies ist eine Insel. Die Hölle auch."

Die Bühne selbst als Insel

Die Insel als Hölle – im Stück zum Beispiel in Form der Ferienbadespaßoase "Tropical Island" in Brandenburg, wo den kurzurlaubenden Massen ein Südseeparadies vorgegaukelt wird. Und als Gegenstück dazu die Geschichte des Mannes, dem jede Insel, auf der er lebte, zu voll und zu groß erschien, bis er ganz allein auf der winzigsten, einsamsten Insel angekommen war, so Daniel Brunet: "And there he eventually died as a happy man."
Dabei gilt ja: Kein Mensch ist eine Insel – oder etwa doch? Rafuska Marks Lieblingsinseln jedenfalls sind die Berliner Bühnen, auch wenn es da nicht immer paradiesisch zugeht: "Berlin is an island and the stage is an island."
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