70. Jahrestag der Befreiung

Die Überlebenden

Ein Auschwitz-Überlebender auf der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers durch die sowjetische Armee wischt sich mit einem Taschentuch Tränen aus dem Auge.
Ein Auschwitz-Überlebender auf der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers durch die sowjetische Armee © picture alliance / dpa / Tim Brakemeier
Von Margarete Wohlan und Sabine Gerlach · 30.01.2015
"Ich jammere nicht, dass ich drin war, ich jubel, dass ich rausgekommen bin", sagt der Auschwitz-Überlebende Coco Schumann. Das Trauma der Davongekommenen wirkt bis heute und macht das Reden darüber schwer, aber die Überlebenden sind die wichtigsten Zeugen für die damaligen Gräuel.
"Alles, was wir wissen, alle Informationen, die wir haben zu Vernichtungsaktionen, zu Vernichtungsanlagen im Lager Auschwitz, sind Berichte von Überlebenden."
Erzählt Jacek Lech einer Besuchergruppe, die er durch die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau führt. Doch nicht nur die Berichte der Überlebenden, sondern auch die der Toten gaben Aufschluss über das nationalsozialistische Vernichtungslager.
Bevor sie ermordet wurden, haben sie alles aufgeschrieben, was sie miterlebt hatten bei der Arbeit hier, das alles wurde dann in Form Fragmente von Tagebüchern, Handschriften vergraben in der Nähe von den Vernichtungsanlagen, in Einmachgläsern versteckt und dann nach dem Krieg gefunden.
Diese Berichte sind ein Element, um das Unvorstellbare Schritt für Schritt fassbarer und dann auch beweisbar zu machen. Doch erst zwei Jahre nach der Befreiung der Häftlinge von Auschwitz-Birkenau finden die ersten Prozesse gegen ihre Mörder statt – 1947 in Polen. Jozef Paczynski – von Juni 1940 bis Januar ‘45 politischer Häftling in Auschwitz – tritt bei einem der Prozesse in Krakau als Zeuge auf. Angeklagt sind 40 SS-Wächter.
"Sie haben mich alle gekannt, weil ich ja fünf Jahre lang unter ihnen gearbeitet habe. Der Vorsitzende des Tribunals fragte zum Schluss, ob die Angeklagten Fragen an den Zeugen hätten. Grabner, Chef der politischen Abteilung, sagte: Erinnert sich der Zeuge Paczynski, dass ich ihn freilassen wollte? Ja, es stimmte, er sagte im Lager öfter: Josef, mach so weiter, kommst du bald nach Hause. Josef, mach so weiter, kommst du bald nach Hause. Aber ich bin nirgendwo hingegangen! Ich blieb dort bis zum Schluss."
Hinrichtung von SS-Männern als Trost
20 der angeklagten SS-Männer werden hingerichtet, die anderen zu Haftstrafen verurteilt. Ein kleiner Trost für Jozef Paczynski und seine Mithäftlinge. In der "Ambulanz" – einer Beratungsstelle im polnischen Krakau – treffen sie sich und erzählen davon den Besuchern, die aus aller Welt kommen und Fragen stellen.
FRAGE: "Wenn man sieht, dass viele Täter davongekommen sind, wird man da nicht fürchterlich wütend? Oder wie geht man damit um?"
ANTWORT: "Thümmler zum Beispiel, Richter im Standgericht, hat über 1200 Häftlinge im Block 11 zu Tode verurteilt – er starb vor etwa eineinhalb Jahren, denn die deutschen Gerichte entschieden, dass er nach dem damals geltenden Recht gehandelt hat. Tja, c’est la vie, sagen die Franzosen."
Tadeusz Smreczyński ist Zeuge, als die 1200 Häftlinge im Block 11 von Auschwitz-Birkenau ins Gas geschickt werden. Nur weil er jung und kräftig ist, entgeht er dem Tod. Eine der vielen Geschichten, die er und die anderen Überlebenden in der Ambulanz immer wieder erzählen.
"Es gibt von uns mittlerweile nur noch sehr wenige! Früher gab es hier einzelne Gruppen: Überlebende von Auschwitz, Mauthausen, Ravensbrück und so weiter. Das ist jetzt nicht mehr so, die Leute sterben aus.
Aber diese Treffen hier mit den Deutschen sind schon noch wichtig. Sie helfen uns, die Schwere abzuladen, das Leid und den Schmerz. Vergessen, das geht nicht, aber lindern, das geht. Und die Treffen versöhnen und vertiefen die Freundschaft – das ist wichtig."
Trauma von Auschwitz wirkt bis heute
Bilder, Gerüche, Angstanfälle – das Trauma von Auschwitz lässt sie bis heute nicht los. Auf diese Erinnerungen hat die Zeit keinen Einfluss, auch wenn man sich nicht erinnern will. Asher Aud hat Auschwitz überlebt und ist nach Israel ausgewandert. Er hat seinen Kindern jahrzehntelang nichts erzählt, heute leitet er den Verband der Holocaustopfer in Jerusalem:
"Wir haben mehr denn 50 Jahre nicht gesprochen, weil wir wollten das vergessen, wenn wir sind gekommen nach Israel nach dem Krieg, wir wollen weitergehen, weiterleben, haben wir nicht zu reden, weil wenn reden: ich lebe das durch, ich seh alles, was ich erzähle vor meine Augen. Mit dem kann man nicht viele Jahre weitermachen! Aber jetzt kamen Gruppen, die sagen, dass der Holocaust ist eine jüdische Legende, sind wir gekommen zu Entscheidung, dass wir haben zu reden! Auch wenn ich erzähle, ich sehe es auch als mein Victory."
Diese Freude, davongekommen zu sein, ist immer wieder in den Gesprächen mit den Überlebenden zu spüren. Coco Schumann, der mit Hilfe seiner Musik Auschwitz überlebte, bringt es so auf den Punkt:
"Ich jammere nicht, dass ich drin war, ich jubel, dass ich rausgekommen bin."
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