70. Jahrestag der Befreiung

Bewahren für die Nachgeborenen

Taschen und Koffer von Opfern im Konzentrationslager Auschwitz
Taschen und Koffer von Opfern im Konzentrationslager Auschwitz © picture alliance / dpa / Foto: Patrick Van Katwijk
Von Margarete Wohlan und Sabine Gerlach · 31.01.2015
Bald werden keine Zeitzeugen mehr da sein, die über die Schrecken und Verbrechen der Nazis im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau berichten können. Die Gedenkstätte entwickelt deshalb auch neue Konzepte, um die nächsten Generationen zu informieren und zu mahnen.
"Wir sind jetzt in einer Wohnbaracke im Quarantänelager für Neuzugänge."
Jacek Lech ist einer von etwa 280 Museumsführern, die heute in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau arbeiten. Knapp eineinhalb Millionen Besucher kommen jährlich hierher, es gibt Führungen in 15 Sprachen: von deutsch über japanisch bis zu hebräisch. Seit 13 Jahren ist Jacek Lech dabei.
"Ich persönlich begreife mich als Vermittler zwischen dem, was ich gelesen habe und was ich erfahren habe von den Zeitzeugen, von den Überlebenden des Lagers Auschwitz und ein Vermittler gleichzeitig zwischen den Besuchern und dem Ort. Das ist, glaube ich, meine Rolle als Guide in der Gedenkstätte Auschwitz."
Sie sind wichtig, die Guides oder Museumsführer in Auschwitz, denn sie liefern die Fakten über das Ausmaß der planmäßigen Massenvernichtung. Aber es ist der Ort, der die Besucher vor allem in ihren Bann zieht – wie Nora Weber-Schöndorfer, 1989 in Berlin geboren, die zum ersten Mal in Auschwitz ist.
"Das Setting hier ist ein anderes, also, man überlegt sich, hier hat wirklich ein Mensch schlafen müssen, arbeiten müssen, in den Baracken, hier ist das passiert. Und wenn man dazu dann die Bilder sieht oder auch die Sachen, die da gesammelt wurden, also die Brillen oder die Haare, da konnte ich fast nicht hingucken. Das macht‘s dann irgendwie realer, weil‘s eben an diesem Ort ist und nicht an einem Museum ganz woanders."
Filmausschnitte mit brüllenden Nazis
Block 27, ein roter Backsteinbau. Innen laufen Filmausschnitte mit brüllenden Nazis, davor stehen junge Juden aus Israel und sehen sie sich an. Michael Bude aus Hessen, 49, beobachtet die Szene und geht hinaus.
"Ich fühle mich, weil ich auch nicht zu der Generation gehöre, nicht wirklich schuldig, hab aber doch besonders in der Ausstellung, in der die vielen israelischen Jugendlichen waren und diese Originalzitate von Goebbels sehr laut vorgetragen wurden, so was wie Scham empfunden, dass das hier passiert ist und dass das … Menschen aus meinem Land diesen Menschen angetan haben. Dafür hab ich mich schon ein Stückweit geschämt, so ne Art von Fremdschämen. Aber Scham."
Die Reise von Michael und Nora hat der "Freundeskreis der Lagergemeinschaft Auschwitz" organisiert – eine von nur noch wenigen Organisationen, die geführte Reisen nach Auschwitz anbieten. Vor gut 35 Jahren von ehemaligen Auschwitz-Häftlingen gegründet, hat sie erst seit 1998 solche Studienfahrten regelmäßig im Programm, erzählt ihr Vorsitzender Uwe Hartwig:
"Dann hat sich sehr schnell rausgestellt, dass es in unserer Gesellschaft ein Bedürfnis gibt, zwar nicht ein sehr massenhaft breites, aber doch so, dass immer wieder Leute anfragen: ich bin jetzt soweit, nach Auschwitz zu fahren, aufgrund meines Alters, oder weil ich in einer Situation bin, wo ich mir das zutraue, genug Anfragen, dass man es riskieren kann, so eine Fahrt zu organisieren, regelmäßig."
Fester Bestandteil der Reisen mit dem "Freundeskreis der Lagergemeinschaft Auschwitz" sind Gespräche mit Überlebenden – in der "Ambulanz", einer Beratungsstelle in Krakau. Fragen, wie man damit weiterleben kann, stehen dabei im Vordergrund.
"Hatten Sie Hilfe, die Bilder loszuwerden? / Ich leide darunter bis heute – sehe meine Kumpels, wer starb, wer ins Gas ging, alles! Und das quält mich."
Für Klaus Auls aus Hessen sind solche Gespräche unverzichtbar, um zu "begreifen".
"Die Begegnung mit den Zeitzeugen hat mich so berührt, dass ich mit den Tränen kämpfen musste. Dass sie den Mut aufbringen und die Kraft mitbringen, darüber zu sprechen. Denn ich glaube, wenn man so was durchmacht, ich kämpfe jetzt auch schon, ja?! Dann wird die Wiederholung des Erlebten im Erzählen deren Seelen neu aufreißen, aber es ist wichtig, dass andere Menschen es mitspüren können."
Die letzten Zeitzeugen
Doch was, wenn es die Überlebenden nicht mehr gibt? Wenn Exponate wie Haare, Brillen und Koffer "vergehen"? Wie konserviert man dann Erinnerung?
Die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau geht neue Wege – sie ist bei Facebook aktiv, bietet Online-Führungen an, bringt die Comic-Reihe "Episoden aus dem KZ Auschwitz" heraus. Und doch ersetzt nichts den Besuch dieses Ortes, meint Museumsführer Jacek Lech. Wenn es die Zeitzeugen nicht mehr gibt, müssen Menschen wie er ihren Auftrag übernehmen.
"Ohne Möglichkeit, Fragen zu stellen usw., mit Audioguides – dann können Sie sicherlich die geplanten Vorhaben überhaupt nicht erreichen. Bei den Führungen sehen wir, dass das, was geplant war, in ganz andere Richtung sich dann entwickelt. Im Grunde genommen erzählen wir immer dasselbe, aber mit ganz anderen Schwerpunkten – je nach der Gruppe und je nach dem Alter sieht die Besichtigung bisschen anders auch aus."
Denn die, die nach Auschwitz kommen, nehmen den Ort ihre persönliche Art an. Für Jacek Lech bedeutet das, sie bei ihren Erwartungen abzuholen.
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