65. Geburtstag der US-Fotografin

Wie Cindy Sherman die Kunstwelt verstört

Von Kai Clement · 19.01.2019
Cindy Sherman sei echter Punkrock, sagt die Schlagzeugerin von "Babes in Toyland". Ihre verstörenden Fotografien sind zu Plattencovern der Band geworden. Shermans Bilder ließen die Kunstwelt explodieren. Heute experimentiert die 65-Jährige auch mit Apps.
"My name is Cindy Sherman and I was born in New Jersey, 1954 … I live in New York now and … I'm a photographer."
Als freundlich und zugewandt, gilt die heute in New York lebende Fotografin Cindy Sherman, schnell hat sie ein Lächeln auf dem Gesicht. Lori Barbero aber von der Band "Babes in Toyland" beschreibt sie als echten "Punkrock".
Das Musikvideo zu "Bruise Violet" ist teilweise in Shermans Loft auf der 12. Etage in New Yorks Stadtteil Soho entstanden. Und die verstörenden Fotografien Shermans sind zu Plattencovern der Band geworden.

Cindy Shermans fotografisches Frankenstein-Labor

Das Landei aus New Jersey, die Spätgeborene einer Großfamilie, hat die Kunstwelt explodieren lassen: mit ihrem fotografischen Frankenstein-Labor.
"I love my camera. It's just a tool."
Sherman ist mit ihren bizarr-verformten Selbstporträts ihre eigene Leinwand. Ihr Gesicht, so hat es die Zeitung "The Guardian" mal geschrieben, habe Tausende Doktorarbeiten zu Gender-Studien ausgelöst. Sie ist eine Frau, die sich - und ihr Publikum - immer wieder neu fordert und herausfordert.
"Als ich die Serie 'History Pictures' machte, das war ein Wendepunkt für mich. Ich hatte auch zuvor schon Erfolg bei den Kritikern, aber diese Ausstellung war so unglaublich populär, dass ich mich geradezu schuldig fühlte. Danach habe ich die Reihe 'Sex Pictures' fotografiert. Ich musste etwas machen, das mich mehr herausfordert. Etwas Schwieriges. Etwas, das es dem Publikum schwer macht, zu applaudieren und die Arme hochzureißen."
Eine Besucherin der Ausstellung "Untitled Horrors" schaut sich die Fotografie  im Kunsthaus Zürich an.
Bizarr und schön: "Untitled 544" von der US-Künstlerin Cindy Sherman© picture alliance / dpa / Walter Bieri
Der Schock des Publikums ist ihr gelungen: Sie arrangiert nicht zusammengehörige Körperteile von medizinischen Puppen zu pseudo-erotischen Posen. Die später folgenden "Horror-Bilder" mit dämonischen Fratzen und Hautfetzen sind noch verstörender. Es ist eine Anti-Ästhetik, die die Lust des Schauens herausfordert.

Gesichtsverformungen auch mithilfe von Apps

Snapchat, Instagram und die Besessenheit mit dem eigenen Bild - all das scheint Cindy Sherman lange vorweg genommen zu haben. Social Media aber habe sie zunächst als "so vulgär" empfunden, hat sie einmal gesagt. Heute folgen ihr 230.000 Menschen auf Instagram und Sherman nutzt die Bildbearbeitung von Apps, um einmal mehr ihr Gesicht zu verformen.
Die Beziehung mit dem Talking-Heads-Sänger David Byrne endete vor einigen Jahren im Schmerz. Heute lebt Cindy Sherman allein. Das Alter, sagt die 65-Jährige, habe etwas Verstörendes: Sie könne sich zwar in eine Hundertjährige verwandeln, für eine Verjüngung aber gäbe es deutliche Grenzen.
Dennoch aber dürfte es ein gutes neues Jahr für Cindy Sherman werden: die National Portrait Gallery in London widmet der Erfolgskünstlerin eine große Retrospektive. Frankfurt verleiht ihr den Max-Beckmann Preis. Die Meisterin der Selbstverwandlung wird sicher neue Wege finden, ihre Arbeit zu genießen - um es dann doch wieder alles viel zu einfach zu finden.
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