60. Geburtstag von Nils Landgren

Alleskönner mit roter Posaune

Jazz ohne Grenzen - das Multitalent Nils Landgren im Gespräch.
Jazz ohne Grenzen - das Multitalent Nils Landgren im Gespräch © Sebastian Schmidt
Moderation: Vincent Neumann · 15.02.2016
Nils Landgren ist ein Multitalent, das nicht nur den Jazz beherrscht. Mit uns blickt der Schwede zurück auf Begegnungen mit Miles Davis und erklärt, warum sein neues Album mit Stücken von Leonard Bernstein bestens zu seinem Alter passt.
Vincent Neumann: Nils Landgren, der 60. Geburtstag ist ja im Allgemeinen ein willkommener Anlass, mal zurückzublicken, einige Dinge und Lebensabschnitte Revue passieren zu lassen. Hatten Sie schon Gelegenheit dazu, oder sind Sie jemand, der ausschließlich in der Gegenwart lebt?
Nils Landgren: Mehr so als zurück zu gucken. Das werde ich wahrscheinlich irgendwann machen, Aber bisher bin ich lieber da, genau wo ich bin, statt entweder gestern oder morgen.
Neumann: Wann kommt das dann?
Landgren: Keine Ahnung. Irgendwann schlägt es mir auf den Hinterkopf, glaube ich. Dann ist es da. Aber momentan versuche ich, genau da zu sein, wo ich bin. Und ich finde das am besten, weil es kostet ja nicht so viel Zeit.
Neumann: Über das, was Sie momentan tun und noch tun werden, darüber reden wir gleich noch. Ich versuche es trotzdem noch mal: Hätten Sie rückblickend vielleicht ein paar Sachen anders gemacht, oder gibt es, vielleicht andersrum, einen Moment, auf den Sie besonders stolz sind in Ihrer Karriere?
Landgren: Das Beste, was ich gemacht habe, ist, mich mit meiner Frau zu verheiraten. Das ist absolut das Beste. Das zweite ist, dass ich angefangen habe, Posaune zu spielen. Das dritte ist, dass ich angefangen habe, zu singen. Und natürlich hätte ich gerne Sachen anders gemacht, als ich das gemacht habe, aber ich bin nicht sicher, ob das besser wäre oder nicht. Anders wäre es geworden. Aber besser? Keine Ahnung. Ich glaube, da soll man sich nicht so viele Gedanken machen. Das, was man gemacht hat, hat man gemacht.

Begeistert von Miles Davis' Trompete

Neumann: Ursprünglich haben Sie aber klassische Posaune gespielt, habe ich gelesen. Haben Sie sich mal überlegt, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie dabei geblieben wären und nicht zum Jazz gewechselt wären?
Landgren: Ja. Wenn ich eine Stelle bekommen hätte, dann wäre ich wahrscheinlich viel nervöser geworden. Auch vielleicht ein bisschen weniger neugierig, als ich jetzt bin. Ich suche ja die ganze Zeit neue Sachen. Und es kommt von mir, meistens, nicht, dass jemand mir sagt genau, was ich machen muss die nächsten 30 Jahre.
Neumann: Also die künstlerische Freiheit als Jazz-Musiker. Seit wann spielen Sie eigentlich diese rote Posaune, die Ihnen ja den Spitznamen verpasst hat, Mr. Redhorn?
Landgren: Seit 86. Eine lange Zeit.
Neumann: Immer die gleiche Posaune?
Landgren: Ja, die gleiche.
Neumann: Wie kommt man denn eigentlich auf die Idee, eine Posaune rot zu färben, oder war die von sich aus schon rot, haben Sie die einfach geschenkt bekommen?
Landgren: Nein, der japanische Hersteller Yamaha hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, auf seinen Instrumenten zu spielen. 85. Und ich sagte: "Gerne. Aber dann muss es besser sein als das, was ich jetzt spiele. Und es muss rot sein." Und das Rote, das kommt davon ... Ich habe ja schon in den 70er-Jahren Miles Davis gesehen mit seiner Trompete. Der hatte eine orange-schwarze Trompete und dann eine grüne Trompete. Und ich fand: Das ist ja toll, das ist etwas anderes als normal. Weil alle waren ja sonst gelb. Und Yamaha hat "ja" gesagt, und ein halbes Jahr später haben die das geliefert, genau so, wie ich das haben wollte. Weil es ist ja ein bisschen ein anderes Design auch, wie die Posaune gebaut ist. Und seitdem spiele ich das. Und das ist ja die Farbe von Liebe und meinem Fußballverein. Das ist wirklich in der Mitte von gar nichts in Schweden.
Neumann: Macht es denn auch klanglich einen Unterschied, die Farbe der Posaune, die Bauweise?
Landgren: Das könnte das schlechter machen. Aber in diesem Fall hat es die Posaune wahrscheinlich verbessert. Das weiß man nicht, das hängt ja mit dem Lack zusammen. Aber ich bin sicher, in meinem Fall ist es besser geworden. Ich habe andere gehabt, die waren viel schlechter - mit Lack.
Neumann: Dem Ruf hat es auf jeden Fall auch nicht geschadet, Mr. Redhorn.
Landgren: Nein.

"Die Musik passt in mein Alter"

Neumann: Und diese rote Posaune ... Ist sie irgendwann mal verloren gegangen, oder ist sie immer ganz streng bewacht in Ihrem Besitz geblieben?
Landgren: Das ist einmal verloren gegangen. Ich war unterwegs zu meiner ersten Studioaufnahme für ACT. Das war mit einem Trommler aus den USA, Bernard Purdie, in Köln mit der WDR Big Band. Und ich kam an, und ich sollte direkt ins Studio, und meine Posaune ist nach Oslo gefahren. Weil ich habe das ein Mal im Kofferraum geschickt. Seitdem mache ich das nie wieder. Und da musste ich dann eine Posaune leihen, und die kam erst am nächsten Tag.
Neumann: Und die hatten bestimmt keine rote da.
Landgren: Nein. Die Farbe spielt nicht so eine große Rolle, wenn man im Studio ist. Aber das ist ja mein persönliches Instrument. Später habe ich das auch nach einer Jam-Session im Fenster von einem Jazz-Club in Kempten vergessen. Und am nächsten Morgen riefen die an und sagten: "Hey, da steht eine Posaune im Fenster. Gehört das Herrn Landgren?" Und ich habe nichts gemerkt, weil meine Tasche wiegt ohne Posaune genauso viel wie mit.
Neumann: Bisher hat man ja absolut nicht den Eindruck, dass Sie es etwas ruhiger angehen lassen, jetzt im gesetzten Alter von fast 60 Jahren. Im Gegenteil – immer wieder erlebt man sie mit neuen Projekten, neuen Projektpartnern. Ganz aktuell haben Sie gemeinsam mit der Sängerin Janis Siegel und auch den Bochumer Sinfonikern ein "Tribute to Leonard Bernstein" aufgenommen. Inwieweit war das jetzt genau das richtige Album für den 60. Geburtstag?
Landgren: Ich glaube aus vielen Aspekten. Ich habe ja einen Wunsch und einen Traum gehabt, ein ganzes Album mehr oder weniger mit Orchester aufzunehmen. Und als mein Plattenfirma-Chef, Siggi Loch, das vorgeschlagen hat mit Leonard-Bernstein-Musik, dachte ich: "Das würde ja perfekt passen. Vielleicht können wir hier eine Orchester-Begleitung finden." Und mit dem richtigen Dirigenten und Arrangeur, Vince Mendoza aus den USA - der hat ja für Melody Gardot und Björk und Joni Mitchell und so arrangiert - , dann haben wir die richtige Umgebung für mich und auch eine Sängerin. Und dann fiel unsere Wahl auf Janis Siegel aus "Manhattan Transfer" aus den USA. Und ich finde, die Musik passt zu uns, und die Musik passt in mein Alter - das hätte sicher auch zum 25. gepasst –, aber ich kann ja erst jetzt auf die Idee, dadurch, dass Siggi das vorgeschlagen hat.
Neumann: Welche Bedeutung hat denn Leonard Bernstein für Sie und vielleicht auch für den Jazz?
Landgren: Er hat eine Riesen-Bedeutung. Er war immer jemand, der sich für Jazz eingesetzt hat. Er war immer für improvisierte Musik, für den Jazz als Kunstausdruck Nummer eins in den USA. Und er hat auch oft Jazz-Elemente benutzt in seiner Musik, auch wenn es kein Jazz ist meiner Meinung. Und er war auch ein großer Humanist: Er hat sich um andere Leute gekümmert, er hat sich um andere Musikbewegungen gekümmert, nicht nur um klassische Musik. Weil er hat gemeint: Wir gehören alle zu der gleichen Familie, und Jazz und Klassik haben den gleichen Wert.
Neumann: Nils Landgren mit Musik von Leonard Bernstein kann man bald auch auf Tour erleben.
Landgren: Ja, ab dem 2. März sind wir auf Tour und spielen dann in Konzerthäusern in ganz Deutschland. Das freut mich natürlich total, das wir das machen können. Und ich glaube, das wird richtig schön.
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