300 Jahre "Robinson Crusoe"

Kein harmloser Abenteuerroman

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Ein undatiertes Sammelbild: Robinson Crusoe weiht Freitag in den Gebrauch von Feuerwaffen ein.
Alles andere als eine Begegnung auf Augenhöhe: Robinson Crusoe und Freitag in einer Illustration aus dem 19. Jahrhundert. © picture alliance / dpa
Susan Arndt im Gespräch mit Dieter Kassel · 25.04.2019
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"Du Freitag. Ich Herr. Wir Freunde." Für die Anglistin Susan Arndt spiegelt sich im Verhältnis von Robinson Crusoe und Freitag vor allem die "Logik einer Sklavenhalterordnung" wider. Dass der Roman bis heute gelesen wird, findet sie erstaunlich.
Genau vor 300 Jahren, am 25. April 1719, erschien Daniel Defoes Roman "Robinson Crusoe". Die Geschichte des Schiffbrüchigen, der schließlich auf einer Karibikinsel strandet und mit einem Eingeborenen eine Art Freundschaft schließt. Das Buch war bei seiner Veröffentlichung eine Sensation. Bis heute fasziniert der Stoff viele und dient immer wieder als Vorlage für Filme, Romane und Video-Spiele.
Die Anglistin und Afrikanistin Susan Arndt von der Universität Bayreuth findet es dagegen erstaunlich, dass der Roman immer noch gelesen wird. Zum einen, weil er "sehr bürokratisch, technokratisch" geschrieben sei und gar nicht die Dramatik und Spannung der Verfilmungen habe.

"Kannibalismus ist ein kolonialistischer Mythos"

Zum anderen sei Robinson Crusoe alles andere als eine harmlose Abenteuergeschichte. Vielmehr stecke darin auf vielen Ebenen eine rassistische Logik. "Robinson begegnet eben diesem Menschen, den er angeblich befreit, weil er andere Menschen umbringt, die ihn fressen wollen", sagt Arndt. "Da geht es schon los: Kannibalismus ist ein kolonialistischer Mythos, der benutzt wurde, um die eigenen Kolonialverbrechen zu legitimieren."
Aufnahme von alten Exemplaren der Bücher "Robinson", "Lederstrumpf" und "Rübezahl".
Robinson Crusoe gehört zu den Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur.© imago /Chromorange
Auch dass das Verhältnis von Robinson und Freitag sowohl im Buch als auch in den Verfilmungen als Freundschaft dargestellt wird, kritisiert die Anglistin und Afrikawissenschaftlerin. Denn: "Eine Freundschaft basiert natürlich auf Gegenseitigkeit, auf Augenhöhe."
Stattdessen lehre Robinson Freitag gleich die "Logik einer Sklavenhalterordnung", so Arndt. "Er fragt nicht: Wie heißt du eigentlich? Welche Sprache sprichst du? Wer bist du? Sondern er benennt ihn, ganz im ökonomischen Sinne sozusagen, nach dem Tag, an dem sie sich das erste Mal begegneten."

Vorschlag für einen Perspektivwechsel

Arndts Kritik richtet sich weniger gegen den Originaltext von Defoe, der eine "wichtige Quelle" sei, "um überhaupt dieses 18. Jahrhundert, die Frühaufklärung und die Faszination zu verstehen, warum die Leute mehrheitlich in Europa Sklaverei und Kolonialismus gar nicht schlimm fanden". Doch die Kinder- und Jugendbuchausgaben von Robinson Crusoe seien oft "Nacherzählungen dieser Begegnung von Robinson und Freitag, die eben nicht das problematisieren, dass Menschen dort versklavt werden".
In einer Verfilmung wäre es ganz einfach, eine akzeptable Perspektive zu finden, meint Arndt. "Weil der Roman ja sehr monologisch erzählt ist. Alles, was passiert, alles, was gesehen wird, wird aus der Perspektive Robinson Crusoes gesehen." Und warum nicht einmal die Geschichte aus der Perspektive Freitags erzählen? Seine Gedanken hören, seine Ängste, seine Sorgen, seine Wunden? "Dann ist die gleiche Geschichte sofort eine komplett andere, weil sie dann sofort die Gewalt, die in dieser vermeintlichen Freundschaft ganz tragend ist, aufs Tableau hebt und sichtbar macht."
(uko)
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