30 Jahre Tiananmen-Massaker

Nur Hongkong trauert und erinnert

03:08 Minuten
Vor der Hochhauskulisse Hongkongs stehen zehntausende Menschen mit Kerzen in den Händen, um des Tiananmen-Massakers von 1989 zu gedenken.
Zehntausende kamen am 4. Juni 2016 zur Mahnwache im Gedenken an das Tiananmen-Massaker zusammen. Auch für heute werden wieder zahlreiche Demonstranten erwartet. © picture alliance / dpa/ MAXPPP
Von Steffen Wurzel · 04.06.2019
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Blutig schlug die chinesische Führung vor 30 Jahren die Demokratiebewegung nieder. Aufgearbeitet wurde das Tiananmen-Massaker nie, und auch das Gedenken an das Verbrechen ist im ganzen Land tabu. Außer in Hongkong. Dort darf getrauert werden - noch.
Mit einem kurzen Essay erinnert die Hongkonger Schriftstellerin Tammy Ho an die gewaltsame Niederschlagung der chinesischen Demokratie-Bewegung am 4. Juni 1989. Auch 30 Jahre danach sei nicht zu erwarten, dass Chinas Staats- und Parteiführung die Verbrechen von damals aufarbeiten werde, sagt sie.
Ebenso hoffnungslos sei es, darauf zu warten, dass Chinas Führung erkläre, wie viele Menschen damals wirklich getötet wurden. Dann bleibt der Präsidentin des Hongkonger PEN-Clubs die Stimme weg. Und genauso geht es den rund 70 Besuchern der Lesung in einem kleinen Buchladen im Hongkonger Stadtteil Kowloon.
Blick auf die Zuhörer der Lesung von Tammy Ho in einer Buchhandlung. Die Zuschauer sitzen  dichtgedrängt auf Stühlen, Tischen oder auf dem BOden. Viele haben SMartphones in der Hand. Die Wände sind mit Bücherregalen vollgestellt.
Etwa 70 Menschen sind zur Lesung in den kleinen Buchladen im Hongkonger Stadtteil Kowloon gekommen.© Steffen Wurzel / ARD-Hörfunk-Shanghai
Es sind Momente wie diese, in denen klar wird, welche besondere Bedeutung die Stadt Hongkong für China hat. Denn als frühere britische Kolonie genießt die Stadt Autonomie-Status. So dürfen die Menschen hier – noch – offen ihre Meinung sagen, die chinesische Zentralregierung kritisieren und an das Tiananmen-Massaker vor 30 Jahren erinnern.

Der Einfluss der chinesischen Führung nimmt zu

Auch Lian-Hee Wee ist zur Lesung in die kleine Buchhandlung gekommen. Es sei ihm wichtig, offen an das Tiananmen-Massaker zu erinnern, betont der Linguistik-Professor von der Hong Kong Baptist University.
An vielen Orten könne man das nicht mehr, und auch in Hongkong fragten sich viele: Wie lange dürfen wir das noch?
Tatsächlich nimmt der Einfluss der chinesischen Staatsführung auf die eigentlich autonom regierte Stadt stetig zu. Mindestens zwei prominenten Tiananmen-Aktivisten wurde in den vergangenen Tagen die Einreise verweigert.
Die Schriftstellerin Tammy Ho spricht während ihrer Lesung in einer Hongkonger Buchhandlung in ein Mikrofon .
In Hongkong dürfen Autoren wie Tammy Ho offen an das Tiananmen-Massager erinnern - aber wie lange noch? © Steffen Wurzel / ARD-Hörfunk Shanghai
Auch einige ihrer Freunde, darunter Schriftsteller und Publizisten, trauten sich heute nicht mehr, offen ihre Meinung zu sagen in Hongkong, sagt die Autorin Tammy Ho.
"Wenn mehr und mehr Hongkonger bemerken: Moment mal, ich bringe mich damit möglicherweise in Gefahr, dann weiß ich auch nicht, was passiert. Ich hoffe aber, dass es auch künftig Menschen in Hongkong gibt, die für die gute Sache kämpfen."

Zehntausende zur Mahnwache erwartet

Dass Hongkongs Zivilgesellschaft noch funktioniert, wird sich heute Abend zeigen. Im zentralen Victoria-Park werden zehntausende Menschen zur traditionellen Tiananmen-Mahnwache erwartet. Viele der Organisatoren setzen sich seit den frühen 90er-Jahren ein für das Erinnern an Chinas gescheiterte Demokratiebewegung. So wie die 67-jährige Sozialarbeiterin Ivy Lai.
"Dieses Engagement, das sind kleine Nadelstichen in die Herzen der Anführer der chinesischen Zentralregierung. Die sollen in Peking mitbekommen, dass selbst jetzt, wo es schwieriger wird, die Menschen in Hongkong das Tiananmen-Massaker nicht vergessen haben."
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