30 Jahre "Ökodorf Brodowin"

Erfolgreiche biologische Ost-West-Kooperation

11:02 Minuten
Blick auf das Ökodorf Brodowin im Landkreis Barnim, im Vordergrund eine Wiese darüber blauer Himmel.
Mit dem "Ökodorf Brodowin" ist ein biologisch-dynamisches Komplettpaket in den vergangen 30 Jahren entstanden. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Patrick Pleul
Von Ernst-Ludwig von Aster · 06.08.2021
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Das "Ökodorf Brodowin" – eigentlich ein Ökohof mit Wurzeln in einer LPG – ist in Brandenburg einer der größten Demeter-Betriebe Deutschlands. Anteil daran hat auch eine besondere Zusammenarbeit von Menschen aus West und Ost. Nun liegen die Probleme anderswo.
Neun Uhr morgens im brandenburgischen 500-Seelen-Ort Brodowin: Ein alter Zetor-Trecker tuckert über das Kopfsteinpflaster und ein silber-glänzendes Elektroauto schnurrt über die Dorfstraße. Am Ende des Ortes in der Uckermark, unweit des Klosters Chorin: auf beiden Seiten grüne Weiden, auf denen Kühe grasen. Das sind Flächen des Ökohofs Brodowin, einer der größten deutschen Demeterhöfe. Seit 30 Jahren heißt er "Ökodorf Brodowin" – obwohl es eigentlich ein Ökohof ist.

Hof, Café und Lieferservice

"Der besteht, ganz grob gesagt, aus Landwirtschaft, Milchkühen, Milchziegen, Legehennen, Gemüseanbau. Und Ackerbau", sagt Ludolf von Maltzan, der Chef des Hofs. "Dann unsere Molkerei, in der wir die eigene Milch und die Milch von anderen Landwirten verarbeiten."
Außerdem der Vertrieb mit den verschiedenen Verkaufsstätten wie dem Hofladen, dem Klostercafé oder dem Theater am Rand, aber auch aus dem Lieferservice für Biolebensmittel.
Es ist ein biologisch-dynamisches Komplettpaket, entstanden in den vergangenen 30 Jahren. Ludolf von Maltzan hat die zweite Hälfte mitgestaltet. 2005 kam der Landwirt hierher. Zuvor hatte er in Mecklenburg-Vorpommern einen Biobetrieb gemanagt.
In der Brodowiner Dorfstraße wohnt der Mann, der von Maltzan damals, als er das erste Mal in das Dorf kam, über den Hof führte. Peter Krentz sitzt auf der Terrasse, blickt Richtung Ökohof. Ein kräftiger Mann, graues Haar, große Hände, kariertes Hemd. Krentz lebt schon ewig hier, seine Frau ist alteingesessene Brodowinerin.
Die ersten 15 Jahre war er Geschäftsführer des Betriebes. Maltzan war ihm gleich sympathisch, erzählt er. Ganz anders als die Interessenten, die vorher auf den Hof kamen: "Natürlich sollte alles nichts kosten, was wir gemacht haben, hat alles keinen Wert gehabt. Und das hat uns natürlich alle, vor allem mich persönlich, der die ganzen Jahre Herzblut und unheimlich viel Energie reingegeben hat, unheimlich verletzt."
Blick auf ein Feld mit Salat, im Hintergrund sind Menschen beim ernten zu sehen
Die Bauern bekamen ihr Land zurück und brachten es in eine Genossenschaft ein.© picture alliance / DUMONT Bildarchiv / Johann Scheibner
Flächen her, Kühe weg: Das war der Plan vieler Interessenten. Und das schmerzte nicht nur Peter Krentz, sondern viele Brodowiner. Denn fast alle sind hier Teil der Geschichte. Zu DDR-Zeiten gab es die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) Tierzucht und Pflanzenbau, die mit viel Chemie versuchten, aus den kargen Böden das Maximum herauszuholen. Modelle, die nach der Wende in der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr funktionieren konnten.

Ökologischer Aufbruch in Brodowin

"Dann kam die Quotierung, Milchquote und so weiter." Die Viehbestände seien zusammengebrochen, erzählt Peter Krentz. "Das war dann schon ganz schön: von 600 Kühe, runter auf 300, alles halbiert, Schafe weg, Schweine weg, alles kein Wert." Das sei eine sehr harte Zeit gewesen. Mehr als zwei Drittel der Belegschaft mussten gehen, von 150 blieben 28.
Die Bauern bekamen ihr Land zurück, brachten es in eine Genossenschaft ein. Die 180 Mitglieder wählten schließlich Peter Krentz, den Agraringenieur, zum Geschäftsführer.
Für sie sei damals schon sehr früh klar gewesen, dass sie ökologisch wirtschaften wollten. Das Dorf sei sehr von ökologischem Input geprägt gewesen. Es gab den "Brodowiner Kirchensommer" mit Musik, Vorträgen, Diskussionen, Kleinkunst. Und der Schriftsteller Reimar Gilsenbach brachte Wissenschaftler und ökologisch Interesse ins Dorf. Das gab Rückenwind für den ökologischen Aufbruch in Brodowin. Und für den Blick nach Westen.

Geld für Investitionen fehlte

"Dort haben wir drei Höfe besucht", so Krentz. Alles Demeterhöfe, 50-Hektar-Betriebe, kleine Strukturen. "Natürlich eine unheimliche Direktvermarktung, viele Kinder, wir haben da zu essen gekriegt, wir wurden da beköstigt." Auch das ein oder andere Glas wurde geleert: biologisch-dynamisch-alkoholisch. Ein überzeugendes Gesamtprogramm:
"Zum Schluss sind wir mit dem Bus nach Haus gefahren, alle glücklich beseelt, und haben gesagt: Was die da machen, kann nicht verkehrt sein. Dann machen wir das auch und dann war das Demeter."
Die Brodowiner Wende. Ideologiesicher setzte der Agraringenieur Krentz mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun die anthroposophischen Ideen um. Aber das Geld für größere Investitionen fehlte. Dann meldete sich ein Investor aus Berlin, der mit Immobilien reich geworden war.
Die Upmeiers brachten Geld und neue Marketing-Ideen – die nahegelegene Hauptstadt fest im Blick. Die Brodowiner investierten. Bauten eine eigene Molkerei, lieferten nun auch Milch und Käse.
Als die Upmeiers aus Altersgründen verkauften, stieg Ludolf von Maltzahn ein. Er ist bisher weit herumgekommen. Geboren in Südafrika, Studium in Deutschland, Leitung von Biobetrieben in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Und jetzt Brodowin.

Bekenntnis zu den Tieren

"Wir hatten schon Mal 220 Milchkühe", erklärt er. Aber unter anderem wegen der Trockenheit der vergangenen drei Jahre seien es jetzt nur noch 180. Durch die Trockenheit hätten sie nicht genug Futter gehabt. Und die Demeter-Richtlinien besagen: Weniger Futter heißt dann, weniger Kühe.
"Ich bin kein Anthroposoph", so von Maltzan. Trotzdem hat den Landwirt die Agrar-Philosophie überzeugt. Das Wirtschaften in Kreisläufen, der Einsatz von Tieren als Nährstofflieferanten. Für Pflanze und Mensch.
Er habe gelernt, eine Betriebsstruktur anders zu betrachten. Und das klare Bekenntnis zu Tieren in der Landwirtschaft. "Und eben wenn man Tiere hält, die Verantwortung für die Tiere, aber eben auch das Bewusstsein, dass das Fleischessen dazugehört, wenn man Demeter-Landwirt ist."
Mittlerweile arbeiten mehr als 200 Festangestellte auf dem Hof, erzählt Ludolf von Maltzan. Manchmal kann er es selbst kaum glauben. Aber sein Betrieb wächst weiter. Und mit ihm der ökologische Anbau in der Region.
Eine Kuh steht grasend auf der Weide. Im Hintergrund ist der Kirchturm von Brodowin zu sehen.
Das "Ökodorf Brodowin" hatte schon mal 220 Kühe, aber unter anderem wegen der Trockenheit der vergangenen Jahre sind es nun nur noch 180. © imago / Lars Reimann
"Vor anderthalb Jahren hat eine benachbarte Genossenschaft uns angerufen und gefragt ob wir Interesse hätten. Alle sind ins Alter gekommen, und der Betrieb sollte in andere Hände übergeben werden." Mit Hilfe der Bioboden-Genossenschaft haben sie dann übernommen. Das Ziel der Genossenschaft ist es, im Agrarflächen-Monopoly möglichst viel Land für die ökologische Bewirtschaftung zu sichern. Damit vergrößern sich die Brodowiner Flächen noch einmal um ein Drittel auf jetzt mehr als 2500 Hektar.
Der ehemalige Geschäftsführer des Hofes, Peter Krentz, blick von seiner Terrasse Richtung Brodowin. Die Kollegen vom Agrarbetrieb trifft er oft, sagt er. Aber der 60-Jährige hält sich mit Ratschlägen zurück. Spätestens als ihn ein Rettungshubschrauber nach einem Herzinfarkt abtransportieren musste, wurde auch ihm klar, dass endgültig Feierabend ist. Und ein bisschen Ökohof geht nicht als Geschäftsführer.
Jetzt geht Peter Krentz öfter Angeln, kümmert sich um sein Damwild. Und hin und wieder freut er sich. Über die Entscheidung, die sie vor 30 Jahren getroffen haben. Und über die gelungene Ost-West-Kooperation. Die biologisch-dynamische Zusammenarbeit in Brodowin.
(abr)
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