150 Jahre Periodensystem

Die Entdecker eines prophetischen Chemie-Baukastens

08:20 Minuten
Eine Montage zeigt Porträts von Dmitri Mendelejew und Lothar Meyer in Schwarz-Weiß nebeneinander.
Die "Väter" des Periodensystems: Der russische Chemiker Dmitri Mendelejew (l.) und sein deutscher Kollege Lothar Meyer © picture-alliance / akg-images / Montage Deutschlandradio
Von Frank Kaspar und Jennifer Rieger · 06.03.2019
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Periodensystem nannte Dmitri Mendelejew seine Tabelle: Vor 150 Jahren brachte der russische Chemiker 63 Elemente in eine sinnvolle Ordnung - vom leichtesten zum schwersten. Genauso ging zur selben Zeit sein deutscher Kollege Lothar Meyer vor.
Wer zählt die Stoffe, nennt die Namen? – Im Periodensystem der Elemente ist alles zu finden, woraus unsere Welt gemacht ist: Luft und Wasser, Sand und Steine, Pflanzen, Tiere und Menschen bestehen aus denselben Grundsubstanzen.
"Das Periodensystem gibt einen unwahrscheinlichen Einblick in den Aufbau unserer Welt, gibt ein Verständnis dafür, dass es bestimmte Regeln gibt, um eine Ordnung in unser materielles Dasein zu bringen."
Eine Ordnung, die nicht selbstverständlich ist, sagt Gisela Boeck von der Fachgruppe Geschichte in der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Sieben Zeilen, 18 Spalten, darin jede Menge Zahlen und Symbole: Die Tafel der Elemente sieht auf den ersten Blick so aus wie ein ziemlich voller Stundenplan.

Im Jahr 1869 in einem Lehrbuch veröffentlicht

Erfunden hat diese Art der Darstellung der russische Chemiker Dmitri Mendelejew. Als er sein Schaubild 1869 in einem Chemie-Lehrbuch veröffentlicht, nennt er es "Periodensystem".
"Es heißt 'Periodensystem', weil sich die Eigenschaften von den Elementen quasi in bestimmten Abständen wiederholen", erklärt Gisela Boeck.
63 Elemente sind bekannt als Mendelejew sein System entwirft. Zur selben Zeit arbeitet auch der deutsche Chemiker Lothar Meyer an einer Übersicht der Elemente. Dass die beiden Forscher gerade zu dieser Zeit versuchen, Ordnung in die Chemie zu bringen, kommt nicht von ungefähr – das Periodensystem hat sich über Jahrzehnte angeschlichen.
Zu Mendelejews und Meyers Zeiten hat sich der Begriff des Elements als Grundstoff gefestigt – ein Stoff, der sich nicht in weitere Bestandteile zerlegen lässt. Im beginnenden 19. Jahrhundert bemerken Chemiker, dass es einen Zusammenhang zu geben scheint, zwischen den chemischen Eigenschaften der Elemente und ihren Atomgewichten.
"Da gibt es eine recht frühe Ordnung von einem Chemiker aus Jena, dem Herrn Döbereiner, der auch versucht hat anhand von Atommassen Ordnungen zu finden", sagt Gisela Boeck. "Und er hat dann festgestellt, dass es da sogenannte Triaden gibt. Wenn wir jetzt auf Lithium, Natrium und Kalium schauen..."
...Alkalimetalle, die heftig mit Wasser reagieren...
"...hat er festgestellt, dass die Atommasse von Natrium quasi der Mittelwert der Atommassen von Lithium und Kalium ist."

Viele andere Chemiker suchten nach einer Ordnung

Neben Johann Döbereiner suchen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele andere Chemiker nach einer Ordnung der Elemente. Doch es sind Meyer und Mendelejew, die die Elemente vom leichtesten zum schwersten nach ihrem Atomgewicht sortieren. Sie geben ihnen fortlaufende Nummern: die "Ordnungszahlen".
"Über die Ordnungszahl kann ich sofort ermitteln wieviel Elektronen in einem Atom sind", erläutert Gisela Boeck. "Und wenn ich dann auf diese Alkalimetalle schaue, dann weiß ich heute: Die haben alle ein Elektron sehr weit außen, und deshalb sind sie sich eben auch sehr ähnlich. Sie wollen sogar alle dieses eine Elektron loswerden. Und deshalb können wir Natrium auf Wasser geben, weil dann Natrium sein Elektron abgibt und dieses Elektron von dem Proton des Wassers aufgenommen werden kann, und es bildet sich Wasserstoff."
An der Position im Periodensystem lässt sich der atomare Aufbau aller bekannten Stoffe ablesen: Die Ordnungszahl jedes Elements gibt an, wie viele Protonen das Atom im Kern hat und wie viele Elektronen in der Hülle.

Das Atommodell war noch gar nicht bekannt

Erstaunlich ist allerdings, dass das Atommodell noch gar nicht bekannt war, als Mendelejew und Meyer die Ordnungszahlen festlegten, sagt der Chemiker Roger Alberto von der Uni Zürich:
"Die haben nicht gewusst, was ein Atomkern ist, Mendelejew hatte keine Ahnung von Elektronen, man hat die Elementarteilchen überhaupt nicht gekannt. Und trotzdem haben sie – mit Intuition wahrscheinlich, mit viel, viel empirischem Stoffwissen – dieses ganze doch komplexe System eigentlich aufgestellt."
Ein System, das nicht nur Ordnung in der Welt der Stoffe stiftet, sondern ganz bewusst auch Lücken lässt: Für Elemente, die bis zum Jahr 1869 noch niemand nachgewiesen hat. Mendelejew riskiert sogar ziemlich genaue Vorhersagen über diese Unbekannten.
"Mendelejew hat das Periodensystem insofern konsequent weiterverfolgt, als er zum Beispiel vorausgesagt hat, was das Germanium für Eigenschaften haben sollte", sagt Roger Alberto: "Also das Element, was unterhalb vom Silizium steht – oder das Gallium oder das Hafnium: chemische Eigenschaften, physikalische Eigenschaften wie Schmelzpunkt und so. Und viele dieser Voraussagen haben sich nachher auch als absolut richtig erwiesen."

Mendelejew und Meyer erhielten die Davy-Medaille

1882 erhalten Mendelejew und Meyer für die Entwicklung des Periodensystems die Davy-Medaille, die höchste britische Auszeichnung auf dem Gebiet der Chemie.
"Sie haben ein Schema gefunden, nach dem man die Elemente und ihre Zusammen-hänge erklären kann", erzählt Gisela Boeck." Deshalb finde ich es schön, wenn wir beider Gelehrten gedenken in diesem Jahr des Periodensystems. Mendelejew ist präsent, Meyer ist weniger präsent, hat aber auch sehr viel dazu getan, ging in manchen Dingen sogar weiter als Mendelejew hinsichtlich der Anordnung der Elemente."
Ein Periodensystem der Elemente hängt an einer Wand.
Das Periodensystem ist Sinnbild einer Forschung, die die Wirklichkeit erfassen will.© Ralf Hirschberger/dpa
Hat das Periodensystem die natürliche Ordnung der Elemente enthüllt, oder ist es eher ein Modell unseres Denkens – stellt es also eine Ordnung her?
"Ich glaube, es gibt gar keine Wissenschaft, ohne dass man in die Wirklichkeit eingreift. Sie können gar keine Erfahrung machen als Mensch, ohne in die Wirklichkeit einzugreifen," sagt Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.
"Ob ich nun Galilei heiße und eine schiefe Ebene oder ein Pendel nehme, um genauer zu verstehen, wie etwa die Fall-Bewegung funktioniert, oder ob ich im CERN ein Teilchen auf das andere schieße: Beides sind Eingriffe in die Wirklichkeit, und insofern wird die Wirklichkeit mit jedem Experiment verändert. Und das gilt sogar für die Theorie.
Man entwickelt die auch in einer bestimmten Richtung, weil man bestimmte Fragestellungen hat, und dann stößt man an Grenzen, die man vorher nicht geahnt hat. Das Ganze ist ein Auslotungs-, Erprobungs-, Explorations-Prozess, bei dem wir immer wieder versuchen, auf die Widerstände der Wirklichkeit zu stoßen und sie dabei zu verändern, gar keine Frage!"

Beginn des Siegeszuges der Naturwissenschaften

Sein Anspruch, alle Bausteine der Welt in einem Raster zu versammeln, macht das Periodensystem zum Sinnbild einer Forschung, die die Wirklichkeit erfassen will – und handhabbar macht. Mit derartigen Ordnungssystemen begann auch der Siegeszug der Naturwissenschaften und der Weg ins Industriezeitalter.
Das Ausloten und Erproben kommt damit so bald wohl an kein Ende. Auf den bisher letzten Plätzen im Periodensystem stehen Elemente, die in Teilchenbeschleunigern und Kernreaktoren künstlich erzeugt wurden. Was passiert, wenn die achte Periode anbricht, ist noch nicht abzusehen. Doch bisher konnte keine neue Entdeckung die Ordnung der Stoffe ins Wanken bringen.
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