150. Geburtstag von Komitas Vardapet

Der Vater der armenischen Musik

07:23 Minuten
Das Komitas-Denkmal in dem kleinen Ort Vardablur in der Provinz Lori in Armenien
Erinnert an den größten Musiker Armeniens: das Komitas-Denkmal in dem kleinen Ort Vardablur © Volker Michael
Von Volker Michael · 08.10.2019
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Komitas Vardapet hat die armenische Musik beeinflusst wie kein anderer. Und er hat einen Rang als Nationalheiligtum noch vor allen anderen Musikerinnen und Musikern aus Armenien. Vor 150 Jahren wurde er in Anatolien geboren.
Viele Menschen werden vielleicht Aram Chatschaturjan oder Charles Aznavour für die berühmtesten armenischen Musiker halten – oder die Sängerin Lena Schamamjan aus Syrien, die heute in Paris lebt. Doch es gibt eine andere Person, die alle überragt: Am 8. Oktober vor 150 Jahren wurde Soghomon Gevorki Soghomian geboren, heute bekannt als Komitas. Er hat die armenische Musik beeinflusst wie kein anderer.
Der syrisch-armenische Sänger und Musiker Ibrahim Keivo hält Komitas für den berühmtesten armenischen Musiker überhaupt. Denn Komitas inspiriert bis heute durch das, was er gemacht hat. Volks- und Kunstmusik zu sammeln, aufzuzeichnen und in neuen Werken den Menschen das alte Erbe zurückzugeben.

Geistlicher, Musiker, Sammler

Komitas Vardapet versinnbildlicht in mehrfacher Hinsicht, was armenische Kultur und Musik bedeuten – sie haben eine christlich-spirituelle, eine ethnische, eine sprachliche und eine politische Bedeutung. All das vereint Komitas in seiner Person, denn er war Geistlicher, Dichter, Musiker, Künstler, Erneuerer und Opfer der türkischen Verfolgung.
Das Kloster Chor Virap ("tiefes Verlies") fotografiert am 27.06.2014 in Armenien. Das Kloster hat für die Armenier eine besondere Bedeutung. Als die endgültige Grenze zwischen der Türkei und der Sowjetunion (der Armenischen SSR) gezogen wurde, wurde der Berg Ararat, das Nationalsymbol der Armenier, der Türkei zugeschlagen und Chor Virap wurde zur nächstgelegenen Stelle auf armenischem Gebiet. Foto: Jens Kalaene | Verwendung weltweit
Komitas Vardapets Musik ist eng verbunden mit der armenischen Landschaft und Kultur: hier der Berg Ararat.© dpa-Zentralbild
Komitas wurde ein Opfer des jungtürkischen Völkermordes an den Armeniern. 1915 kam er wie viele armenische Intellektuelle im Osmanischen Reich in Gefangenschaft und wurde misshandelt. Komitas überlebte, aber er war schwer gezeichnet und starb zwanzig Jahre später in einer Pariser Nervenheilanstalt.

Drei Jahre Studium in Berlin

Als ganz junger Mann war er aus seinem Geburtsort im westlichen Anatolien ins Zentrum der armenischen Kirche, nach Etschmiadzin gegangen. Von dort kam er nach Berlin Ende des 19. Jahrhunderts, um an der heutigen Humboldt-Universität Komposition und Musikwissenschaften zu studieren. Aus dieser Zeit stammen seine Klavierlieder auf deutsche Gedichte. Nach seinen Studien in Berlin kehrte Komitas zurück ins Zentrum der armenisch-apostolischen Kirche, nach Etschmiadzin im damaligen Russland. Er reformierte die armenische Liturgie in theologischer und musikalischer Hinsicht. Seine Bearbeitungen und Transkriptionen alter armenischer Liturgie sind bis heute gebräuchlich. Mehr noch, Komitas hat sie vor dem Vergessen bewahrt und sie für den heutigen Alltag singbar gemacht.
Komitas trat auch immer als bürgerlicher Musiker und Komponist in Erscheinung. Er hat noch einige Jahre vor Béla Bartók und Zoltán Kodály Volksmusik in den Dörfern und Städten seiner Heimat gesammelt. Dass er daraus Kunstmusik nach eigenen Maßstäben gemacht hat, brachte ihn bisweilen in Konflikt mit der Leitung der apostolischen Kirche Armeniens.

Minimalistische Klavierstücke

Es sind minimalistisch anmutende Klavierstücke, die nach Liedern und Tänzen bestimmter Regionen benannt sind. Het u Araj, Unabi, Marali, Manushaki, Schuschiki oder Jerangi - Tanz aus Jerewan, so lauten ihre Titel. Das armenische Gurdjieff- Ensemble hat in unseren Tagen den Weg zurück genommen. Es spielt Stücke von Komitas auf authentischen Instrumenten der orientalisch-armenischen Musik. Der Leiter des Ensembles und Arrangeur dieser Musikstücke heißt Levon Eskenian. Er hat sich behutsam der Musik von Komitas genähert.
Levon Eskenian sagte im Deutschlandfunk Kultur: "Komitas hat eine umfassende Ausbildung in westlicher Musik bekommen. Aber er kannte sich auch sehr gut mit armenischer, orientalischer und asiatischer Musik aus. Deshalb konnte er besonders gut die Eigenheiten der armenischen Musik beschreiben und hörbar werden lassen. Er hat in vielen Dörfern unzählige Melodien gesammelt. Dann hat er daraus Klavierstücke, Klavierlieder und Chorstücke gemacht, ohne die Melodien und Rhythmen wesentlich zu verändern. Er hat wirklich die originalen Melodien und Rhythmen beibehalten. Bei jedem Klavierstück gibt es Informationen darüber, welches Instrument der Pianist jeweils nachahmen soll. Hier soll es wie ein Tar klingen, dort wie eine Duduk oder ein Daf. Ich habe das immer beachtet, wenn ich die Stücke für unser Ensemble zurückarrangiert habe. Das Klangergebnis mag sehr ungewöhnlich wirken. Zweimal ist diese Musik schließlich umgewandelt worden, von der Volksmusik in Klaviermusik und dann wieder zurück für traditionelle Instrumente. Aber sie klingt trotzdem natürlich, weil sie ja den authentischen Quellen dieser Stücke entspricht. Einige Instrumente haben wir sogar rekonstruiert, weil sie heute gar nicht mehr gespielt wurden."

Dank an den Ochsen vor dem Pflug

"Lorva Gutanerg", ein Lied aus der Provinz Lori im Norden des heutigen Armenien ist ein besonders bekanntes Stück von Komitas: Ein Bauer singt es seinem Ochsen. Er treibt ihn zum Pflügen an, empfindet aber auch Dankbarkeit dem Tier gegenüber. Komitas hat das Lied dem Bauern damals abgelauscht und aufgeschrieben. Doch erst beim zweiten Besuch, das erste Mal war der Komponist zum falschen Zeitpunkt gekommen. Der Bauer hatte gesagt, ich kann jetzt nicht singen, weil keine Zeit ist zu pflügen. Ohne die Arbeit gäbe es auch keinen Gesang. Heute erinnert ein einfaches, aber liebevolles Denkmal in dem kleinen sympathischen Ort Vardablur an diesen Moment.
Das Lied "Lorva Gutanerg" lebt weiter. Komitas selbst hat 1912 in Paris für eine Schallplatte eingesungen. Und das Gurdjieff Ensemble hat es rearrangiert. Die armenische Popsängerin Sirusho wiederum hat vor sieben Jahren genau dieses Lied für einen simplen Popsong benutzt. Damit erntete sie viel Kritik. Von Inhalt und Musik blieb nämlich nicht viel übrig. Doch der Erfolg gab der Popdiva Sirusho in gewisser Weise Recht – das Video auf einer großen Internetplattform erzielte bis heute 8,6 Millionen Aufrufe. Für ein kleines Land wie Armenien eine beachtliche Zahl. Aber vielleicht haben viele Armenierinnen und Armenier in der Diaspora, in Frankreich und in den USA, diesen Dance Song gehört, allein wegen Komitas.

Ost und West in einer Musik

Der armenische Komponist Komitas wurde heute vor genau 150 Jahren in Anatolien geboren, in einer kleinen Industriestadt, die heute von einem Bürgermeister der rechtsextremen türkischen MHP regiert wird. Von denen, die abstreiten, dass die Armenier ermordet und vertrieben wurden. Komitas ist bis heute ein Symbol armenischer Kultur, in ihrem Reichtum, in ihrer Tragik und ihrer Vielfalt. Seine Musik klingt bis jetzt noch modern, in Zeiten, da uns die Minimal Music schon altmodisch erscheint. Und da sich Ost und West intensiv begegnen, weil sie sich nicht aus dem Wege gehen können. Von einem armenischen Künstler, der schon im Berlin von 1899 über türkische, kurdische und armenische Musik geforscht hat, können wir heute noch sehr viel lernen.
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